hunderttausend.de: Vielen Dank zunächst einmal für das Buch selbst. Wie kam es dazu, dass du dich überhaupt als Autor versuchen durftest?
Nicholas Müller: Dürfen ist eine gute
Frage. Die Idee, ein Buch zu schreiben, hab ich schon seit 25 Jahren.
Damals hab ich von meinem Onkel eine Schreibmaschine geschenkt
bekommen und der Wunsch war da, das zu machen. Nach meinem Ausstieg
bei Jupiter Jones war es so, dass ich ja viel über das Thema
gesprochen habe und die Verlage kamen auf mich zu. Im Endeffekt wurde
es Knaur. Für die war es okay, dass ich so schreibe, wie ich es
geschrieben habe. Denn es sollte kein Sachbuch und keine
Autobiographie, sondern eher eine Mischung aus beidem
werden.
War es nicht seltsam
für dich fast schon einen Seelenstrip hinzulegen?
Ganz hundertprozentig
ist es das ja nicht geworden, denn Angst hat immer einen sehr
tiefliegenden Ursprung. Den verrate ich auch nicht, stattdessen ist
es mehr die Geschichte aus der Zeit, in der ich Angst hatte. Und
daher ist es für mich auch kein richtiger Seelenstrip. Aber man kann es
natürlich so interpretieren.
Wie lange hast du an
dem Buch geschrieben?
Von dem Zeitpunkt an
dem beschlossen wurde, dass ich ein Buch schreibe, bis zu dem Punkt
als es in den Druck gegangen ist, hatte ich eigentlich ein Jahr lang
Zeit. Im Endeffekt habe ich aber nur die letzten drei Monate daran
geschrieben. Für mich hat das am meisten Sinn gemacht. So konnte ich
selber im Thema bleiben und wenn ich das über ein ganzes Jahr
gestreckt hätte, hätte es vermutlich nicht gut funktioniert. Also
drei Monate, die dann aber mit Power.
Das Thema „ein Buch
schreiben“ ist ja damit von der Bucket-List gestrichen. Ist das
damit für dich abgehakt oder würdest du deine Karriere als Autor
gerne weiter vertiefen?
Oh, das will ich
unbedingt. Als nächstes will ich gerne ein Kinderbuch schreiben, da
hab ich auch schon eine gute Idee für. Danach ein Jugendbuch, weil
ich die selbst immer noch gerne lese. Und so ein richtiger
Roman, das wäre auch was. Das wird dann sicherlich auch derbe
Kost, weil ich das privat ziemlich mag. Ich sag also mal, da kommt noch
was. Was schreiben werde ich in jedem Fall, ob das dann
veröffentlicht wird, das sehen wir dann.
Wenn du selbst sagst,
du liest sehr viel, woran sitzt du aktuell?
Gerade ein Jugendbuch,
das heißt „Eine wie Alaska“ (von John Green, A.d.R.) und eine
Briefsammlung von Harry Rowohlt, „Nicht weggeschmissene Briefe“.
Bist du dann jemand,
der oft mehrere Bücher parallel liest?
Ja, ganz oft. Ich hab
auch klassisch Toilettenlektüre und solche Geschichten. Ich kauf
immer ein Buch, wenn ich das interessant finde, das liegt dann
verpackt im Regal, manchmal für Jahre, bis ich es wiederentdecke.
Aber Bücher kann man ja nie genug haben und eigentlich immer kaufen.
Also bist du eher der
analoge Leser?
Ich find kindle oder
solche ebook-Reader ganz furchtbar! Wenn ich jetzt nicht gerade auf
Weltreise gehe und deswegen zehn Bücher mitnehmen muss, dann pack
ich doch das eine Buch eben in den Rucksack. Solang das nicht gerade
„Unendlicher Spaß“ (von David Foster Wallace, mit 1552 Seiten,
A.d.R.) ist, das vermutlich eh keiner zu Ende liest, sollte das ja
kein Problem sein. Ich brauch einfach was in der Hand, das Papier,
die Flecken, die Knicke. Ich mach zwar keine Eselsohren rein, aber
gelesen und abgenutzt sehen meine Bücher schon immer aus.
Gibt es, um wieder zum
Thema Angst zurückzukommen, Bücher, die du da empfehlen würdest?
Es gibt ja viele
Ratgeber, darunter auch viele tolle Werke. Es gibt „Das Angstbuch“
von Borwin Bandelow, der ist ein ganz bekannter Psychiater, der sich
der Angst verschrieben hat. Im Buch lernt man viel über die Prozesse
der Angst, es ist ein bisschen oldschool, aber das finde ich auch
wichtig. Man sollte aber immer bedenken, dass es zwar tolle Ratgeber
gibt, aber das ist nicht die ultima ratio. In den meisten Fällen ist
das nicht die Lösung. Man kann diese Werke nutzen, um sich über die
Krankheit zu informieren, sie kennenzulernen, aber wichtiger ist es,
sich dann auch in Therapie zu begeben.
Jetzt ist es ja so,
dass es bis zur Therapie oft ein weiter Weg ist. Am Anfang steht man
oft komplett ratlos da, eine meist langwierige
Odyssee durch etliche Arztpraxen steht an, es wird getestet
und geprüft, bis dann irgendwann kommt „Haben Sie schon mal daran
gedacht, dass Ihre Beschwerden psychischer Natur sein könnten?“
und man schließlich beim Psychiater landet. Gibt es eine
Erleichterung oder Hilfe in und bei diesem Weg, die du empfehlen
würdest?
Es ist schon wichtig,
dass dieser Marsch durch die medizinischen Instanzen da ist, das ist
nicht zwingend verkehrt. Es könnte ja tatsächlich etwas
Körperliches vorliegen, das da gefunden werden kann. Wenn dann aber
die Diagnose gestellt ist – und das sage ich jetzt nicht nur, weil
ich mit ihr verbandelt bin, sondern weil sie einfach einen
großartigen Job machen - dann empfehle ich die Deutsche
Angstselbsthilfe (DASH). Der Verein sitzt in München, betreut über hundert
Selbsthilfegruppen in ganz Deutschland und bietet viele Informationen
auf der Webseite an, daneben gibt es auch eine Hotline, bei der man
anrufen kann. Das ist definitiv eine Anlaufstelle. Ich mein, wir
haben ein tolles Gesundheitssystem, den Menschen wird geholfen und es
ist an vielen Stellen nicht amerikanisch, aber es fehlen einfach
Ressourcen was seelische Leiden angeht. Man wartet oft über ein
halbes Jahr auf eine probatorische Sitzung beim Therapeuten und das
kann eigentlich nicht sein. Wenn man sich die Zahlen vor Augen führt
– 10 Millionen Angstkranke plus Dunkelziffer, die vermutlich hoch
ist, weil die Krankheit einfach so schambehaftet ist – und dann
wartet man ein halbes Jahr auf eine Probesitzung. Das darf eigentlich
gar nicht sein. Ich mein, ich wohn in Münster, da gibt es den
Studiengang Psychologie und die Hörsäle sind jedes Jahr
proppenvoll. Da kommen Leute raus, die qualifiziert sind und die
bleiben ja nicht alle in Münster. Es wäre einfach wichtig, dass
jeder ohne Anträge, ohne die ganze Krankenkassenbürokratie zum
Psychologen gehen könnte, damit schnell geholfen wird.
Vor kurzem habe ich in
einem Spiegel-Artikel über Erste-Hilfe-Kurse für psychische Leiden
gelesen. Die gibt es in verschiedenen Ländern, sind aber bisher noch
nicht in Deutschland angekommen. Für wie sinnvoll erachtest du
solche Kurse?
Meiner Meinung nach
sollte sowieso jeder die Möglichkeit haben, seine seelischen
Probleme an Menschen heranzutragen, ohne sich dabei Gedanken zu
machen, dass er jetzt etwas auf anderer Leuts Schultern legt. Es ist
gut zu wissen, dass es Leute gibt, die sich das als Beruf ausgesucht
haben und die darin ausgebildet sind. Bei mir zu Hause liegt zum
Beispiel ein Zertifikat herum, das mir bescheinigt, dass ich ein
„Heilpraktiker für Psychotherapie“ bin. Ich werde niemals
praktizieren, ich hab das nur gemacht, damit ich weiß, was mit mir
los ist, um das zu lernen und was ich machen soll, wenn andere Leute
um mich herum abschmieren. Denn das passiert ständig, andauernd und
darum wären solche Kurse wichtig.
Wäre das etwas, was
dann auch etwa von der Deutschen Angstselbsthilfe angeboten werden
würde?
Das machen die schon
seit Jahren. Ich will da gar nicht zynisch werden, aber die betreuen
über hundert Selbsthilfegruppen, die machen das alles publik, die
publizieren auch die DAZ, die Deutsche Angst-Zeitschrift, die einmal
im Monat raus kommt. Das sind drei Leute im Büro und sie scheitern bei
jeder Jahresabrechnung an einer Hürde, die lächerlich ist. Wir
haben mal auf einer Gala der Aids-Hilfe gespielt und ich glaube, da
hat der Sektempfang mehr gekostet, als diese finanzielle Hürde, an
der die DASH scheitert. Dabei ist ja der Bedarf da! Aber die Scham
ist immer noch so groß! Und sobald die weg ist, dann könnten wir
das hinbekommen. Dabei ist das ein Urinstinkt, die Angst. Dass darüber niemand
spricht, ist wirklich traurig.
Man sollte also in
erster Linie spenden, um diese paar Leute, die natürlich viele
freiwillige Helfer haben, zu unterstützen.
Unbedingt. Für die
Arbeit, die hier geleistet wird und gemacht werden muss, müssten
eigentlich zwanzig Leute in dem Büro sitzen und nicht nur drei. Es
wäre einfach schön zu wissen, dass diese Menschen am Schluss nicht
mit einem riesigen Fragezeichen da sitzen.
Inzwischen geht es dir
ja auch wieder besser, soweit man das mitbekommt. Kann man von
Heilung sprechen oder siehst du es eher als ein „Es ist erträglich
und weniger geworden, ich weiß, wie ich damit umgehen muss und komme
damit klar“?
Ich setz das gleich. Es
gibt Leute die
inzwischen angstfrei leben. Für mich ist die Tatsache, dass ich ein
ganz normales Leben führen kann und an schlechten Tagen mal eine
Panikattacke bekomme, ein Gefühl von gesund. Ich vergleiche das
immer mit einer verheilten Narbe. So eine große OP-Narbe, die ja auch hin und
wieder juckt oder wehtut, wenn sich das Wetter ändert. Und so ist
das mit meiner Angst.
Jetzt bist du mit
deinem Buch auf großer Lesetour und wochenlang unterwegs. Wie laufen
deine Lesungen ab? Immer nach dem gleichen Schema?
Ja, eigentlich schon.
Ich lese ja gute zwei Stunden, da braucht man eine feste Abfolge,
sonst wird man ganz rammdösig. Allerdings, und das sage ich immer
ganz zu Anfang, ist mir bewusst, dass Leute kommen, die selbst
betroffen sind und ich möchte, dass Fragen gestellt werden. Gerade
wenn man sich zum ersten Mal mit dem Thema auseinandersetzt, dann
kommen solche Fragen auf und die sollen dann auch direkt beantwortet
werden.
Zum Schluss noch ein
kurzer Exkurs zu deiner, inzwischen nicht mehr ganz so neuen, Band:
Wann können wir uns auf neues Material von von Brücken freuen?
Wir machen so schnell
wir können und es wird im Laufe des nächsten Jahres ein neues Album
kommen. Wir haben Bock und viele gute Ideen. Auch wenn ich gerade auf
Lesetour bin, sitzt Tobi im Studio und arbeitet an den Songs, wir
stehen da auch ständig im Austausch. Also es läuft und so bald wie
möglich kommt dann neue Musik mit dazugehöriger Tour.
Herzlichen Dank für deine Zeit und viel Erfolg mit der Lesetour sowie dem kommenden Album!
Nicholas Müller macht auch in Trier Halt. Am 25. Oktober 2017 liest er im Kasino Kornmarkt. Noch gibt es einige Karten für die Veranstaltung.