Interviews
28.08.2018 Julia Nemesheimer  
Kettcar - Erik Langer

"Am Schluss ging es gut aus"

​​Kettcar sind endlich wieder zurück! Nach einer ausgesprochen erfolgreichen Tour zu Beginn des Jahres kommen die Hamburger noch einmal ins Saarland. Beim Rockaway Beach - Festival am 31. August 2018 spielt die Band ihren Festivalabschluss. hunderttausend.de hatte die Gelegenheit sich mit Gitarrist Erik Langer vorab zu unterhalten. ​​​

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​hunderttausend.de: Hi Erik, schön, dass das noch geklappt hat vor eurem Tourabschluss kommende Woche. Wie ist es denn für euch, wieder auf der Bühne zu stehen und gemeinsam Musik zu machen?

Erik Langer: Vergangene Woche waren wir in Jamel, diesem Nazi-Dorf und es war gleichermaßen schön dort zu spielen wie es ekelhaft war, sich das anzusehen, dass es das wirklich gibt. Das steckt uns jetzt noch ein wenig in den Knochen. Aber ansonsten haben wir jede Menge Spaß zusammen und es geht uns sehr gut.

Tatsächlich seid ihr lange Zeit von der Bildfläche verschwunden gewesen. Kettcar haben vor fünf Jahren beschlossen, zu pausieren. Wie kam es dazu, dass ihr euch dafür entschieden habt?

Wir waren einfach ausgebrannt. Nach vier Platten und zwölf gemeinsamen Jahren hatten wir uns ein bisschen als Band verloren, daher war das dringend nötig, einmal eine längere Auszeit zu nehmen. Rückblickend betrachtet hat sie uns auch sehr gut getan.

Dabei habt ihr aber nicht von Anfang an gesagt: Kettcar Ende, sondern nur Kettcar Pause. Hattet ihr nicht ein wenig die Befürchtung, dass es so laufen könnte wie in Beziehungspausen, die ja in der Regel auch eher ein verzögertes Ende darstellen?

So schlimm war es dann doch nicht um die Band bestellt (lacht). Durch den langen, gemeinsamen Weg haben wir uns auch etwas aufgebaut und das ist uns natürlich immer noch sehr viel Wert. Auch in schwierigen Zeiten haben wir noch gerne zusammen Musik gemacht. Aber es war einfach klar, dass etwas passieren muss. Dadurch war die Pause für uns ein legitimer Weg. Doch an dem Punkt, dass wir die Band auflösen wollten, waren wir noch nicht angelangt. So eine lange Pause ist natürlich immer ein Unsicherheitsfaktor, denn in den – wie bei uns – fünf Jahren kann jede Menge passieren, das ein Weiterbestehen unmöglich macht. Das letzte Konzert vor der Pause war entsprechend auch ein einschneidendes Erlebnis, denn es hätte genauso gut sein können, dass es das allerletzte Kettcar-Konzert werden würde.
Als wir uns dann wieder getroffen haben, ging es auch nicht gleich damit los, dass wir sofort anfingen an der neuen Platte zu arbeiten. Das war ein langsames Abtasten, ein vorsichtiges Erwägen, welche Themen wir anpacken möchten und wie es klingen sollte. Es war ein großer Prozess und es war nie klar, ob es funktionieren würde – aber am Schluss ging es gut aus.

Darf ich denn fragen, was ihr in der Zwischenzeit so getrieben habt? Marcus Wiebusch hat seine Solo-Platte veröffentlicht, aber der Rest von euch wird auch nicht untätig gewesen sein?

Klar, also Reimer (Bustorff, Bass) ist und war viel mit dem Plattenlabel Grand Hotel van Cleef beschäftigt zusammen mit Thees (Uhlmann, ehemals Tomte) und Marcus. Unser Schlagzeuger Christian gibt Unterricht an der Musikschule und unser Keyboarder Lars hat ja seit einiger Zeit die Fischräucherei von Opa Wiebusch übernommen und da seine Freizeit reingesteckt. Ich selbst hab unter anderem endlich mal Unterricht genommen in Harmonielehre und Musiktheorie. Früher dachte ich immer, dass ich das gar nicht möchte und brauche. Aber bei einem Besuch im Proberaum einer befreundeten Band hatte ich absolut gar nichts verstanden, wovon die sprachen. Daher hab ich den Entschluss gefasst, mich da mehr zu bilden. Das lässt mich Songs mit ganz neuen Augen sehen. Endlich hab ich verstanden, was ich mir da über Jahre autodidaktisch beigebracht hatte (lacht). Und die Motivation fürs Songwriting ist auch wieder größer geworden.

Da wäre auch die Frage, wie es denn dieses Mal abgelaufen ist beim Songwriting? Schreibt ihr zusammen oder jeder für sich und erst später wird zusammengebastelt? Daneben sind die Texte bei Ich vs. Wir sehr viel politischer als auf den vorherigen Platten, wo diese Seite eher im Hintergrund zu spüren war.

Wie anfangs schon angeklungen haben wir uns, bevor wir uns überhaupt an neues Material gewagt haben, erstmal vorsichtig wieder herangetastet. Entsprechend haben wir uns immer mal wieder auf ein Bier oder mehr zusammengesetzt, gemeinsam Musik gehört und auch eigene Ideen vorgespielt. Zu dem Zeitpunkt haben wir auch schon über die textliche Ausrichtung gesprochen. Das war so 2015 als die Flüchtlingskrise schon in vollem Gange waren war und da war uns auch klar, dass es eine politische Platte werden muss. Wie du schon sagtest, wir hatten schon immer, nicht nur als Privatpersonen, sondern auch als Band, eine klare politische Haltung. Wir hatten das Gefühl, dass wir das hinbekommen können. Mit Marcus und Reimer haben wir auch Texter, die solche Themen sicher in Songs verpacken können. Wie die einzelnen Lieder dann zustande kamen, das war bei uns schon immer unterschiedlich. Dieses Mal gab es oft kleinere Teams, dass sich also Marcus und Reimer oft getroffen haben, Christian und ich haben auch häufig zusammengesessen und an Ideen gefeilt. Und danach werden diese Grundideen weiter ausgearbeitet.
Konkretes Beispiel bei Sommer `89, das gefiel Marcus musikalisch total gut, aber er meinte zu Beginn, dass er dazu nicht singen könne. Nach einigen Wochen kam er dann plötzlich an und meinte „Ey, ich singe einfach nicht. Ich spreche in den Strophen“ (lacht). Und so haben wir den Song doch noch hinbekommen.

Womit es das wichtige Lied zum Glück auf die Platte geschafft hat! Wenn man jetzt aber das Gesamte nochmal betrachtet und realisiert, wie lange fünf Jahre sein können, gerade auch im Musikbusiness – hattet ihr denn mit Ich vs. Wir das Gefühl, dass ihr die alten Fans nochmal neu gewinnen müsst?

Ja! Auf jeden Fall. Dieses Gefühl war sehr präsent. Es war, als müssten wir komplett von vorne anfangen. Dazu waren wir auch bereit und am Schluss wurden wir butterweich aufgefangen (lacht). Die ausverkaufte, lange Tour in großen Hallen – da sind offenbar viele von den alten Leuten geblieben und neue Menschen dazugekommen. Es war schon der totale Wahnsinn und wir haben uns Mühe gegeben, was zu bieten. Dadurch kamen wir auf die Idee mit den LED-Wänden, damit wir Bilder und Videos darauf projizieren konnten. Das Video für Benzin und Kartoffelchips wurde extra für die Tour noch fertig gestellt. Insgesamt hat bei der Tour so viel gepasst, genauso wie bei der Platte. Wir hatten ein großartiges Team im Rücken. Etwa bei Zwischen den Runden hat einiges nicht mehr gepasst und dieses Gefühl hatten und haben wir momentan nicht mehr.

Und es hat sich definitiv gelohnt. Ich war beim Tourauftakt in Saarbrücken dabei und man hat euch angemerkt, wie viel Spielfreude ihr wieder habt...

Danke! Das freut uns zu hören. In Saarbrücken sind wir tatsächlich gerne. Das ist bereits unser zweiter Tourauftakt im Saarland gewesen. Dadurch, dass wir Kai (Veranstalter) sehr
gut kennen, sind wir dieses Mal auch einen Tag früher angereist und haben alles schon aufgebaut und ausprobiert.

Ich muss ja auch sagen, dass ich die Mischung aus alten und neuen Songs gut gewählt fand. Wie schwierig ist es denn inzwischen, die Setlist zusammenzustellen?

Das ist immer schwierig. Bei der Tour zu Zwischen den Runden hatten wir das Gefühl, dass wir zu viele neue Sachen gespielt hatten. Daher dachten wir eigentlich, dass wir nur vier neue Songs mit reinnehmen möchten, haben den Plan aber doch wieder über den Haufen geworfen. Wir hatten solche Lust auf die Lieder und auch auf die Platte. Daher reden wir auch jeden Abend nochmal neu darüber. Das sind meist nur einzelne Songs, die dann gespielt werden sollen oder eben nicht. Teilweise gehen wir auch auf die Reaktion vom Publikum ein oder auf die jeweilige Location. In Jamel war es zum Beispiel sehr wichtig, dass Den Revolver entsichern unbedingt mit auf die Setlist muss. 

Und jetzt steht der Abschluss der Festival-Saison wieder bevor...

Genau, und das passenderweise wieder im Saarland (lacht).

Habt ihr denn beim Rockaway Beach andere Bands, auf die ihr euch freut?

Da sind ziemlich viele befreundete Band mit am Start, Label-Kollegen halt (lacht). Fjørt, Fortuna Ehrenfeld und Adam Angst werden auch spielen. Auf Lygo bin ich sehr gespannt. Die hab ich vor einigen Jahren schonmal gehört und das fand ich sehr interessant. Und The Baboon Show soll eine hervorragende Liveband sein. Da erwarte ich also einiges! Spannendes Line-Up mit viel Abwechslung. Und das letzte Konzert von Kettcar für die nächsten paar Monate.

Wenn ihr dann nicht auf Tour seid, können wir uns dann eventuell gar auf neues Material freuen oder ist es noch zu früh, da was zu sagen?

Ach, das ist noch etwas zu früh. Aber wir erleben als Band gerade wieder eine Blütezeit.

Man muss sich also nicht wieder darauf einstellen, dass ihr jetzt nochmal sagt, „Gut, das wars jetzt, in fünf Jahren kommen wir dann nochmal wieder“?

Nee, das liegt uns im Moment wirklich wahnsinnig fern (lacht).

Das sind doch schon mal gute News. Ich wünsch euch einen wunderbaren Festivalabschluss im Saarland beim Rockaway Beach und bin gespannt, was da in nächster Zeit noch von euch kommen wird!

Vielen Dank, wir freuen uns schon sehr darauf!​

Kettcar spielen am 31. August 2018 beim Rockaway Beach Festival in Losheim am See. Karten für das Konzert gibt es ​für 40,75 Euro. Einlass ist ab 15 Uhr. 


Foto: Andreas Hornoff

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