Interviews
13.11.2016 Vincenzo Sarnelli Vincenzo Sarnelli
Wolfgang Niedecken von Bap im Interview

"Es gibt wohl doch eine Zugabe"

Er steht seit 40 Jahren mit der Band Bap auf der Bühne und ist vielleicht, wie kein anderer, ein Botschafter für die Stadt Köln und die "Kölsche Sproch". Wir sprachen vor den Konzerten von Bap in der Rockhal Luxemburg am 23. November und in der Saarlandhalle Saarbrücken am 24. November 2016 mit Sänger Wolfgang Niedecken über seine Stadt, seinen Erfolg und Bruce Springsteen. 

 
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hunderttausend.de: Herr Niedecken, grade hatten die Kollegen von SWR 1 Rheinland-Pfalz ihre sehr beliebte Hitparade. Die meist gewünschten 1000 Songs der Rheinland-Pfälzer. Bap wurde mit 14 Titeln zur meist gewünschten deutschen Band. Und das als kölschsprachige Gruppe. International sind Sie übrigens auf Platz 5 zusammen mit AC/DC.
 
Wolfgang Niedecken: Wow. Das ehrt mich sehr. Wunderbar.
 
Woher kommt diese Begeisterung bei den Rheinland-Pfälzern für Ihre Band?
 
Wir sind seit 1980 überregional unterwegs und haben die Leben von vielen Menschen begleitet. Viele Menschen haben autobiographische Bezüge zu unseren Songs. Mir geht das ja auch so. Bei verschiedenen Songs denke ich an Momente, in denen ich glücklich oder traurig war. Musik ist halt eine emotionale Angelegenheit. Dadurch, dass wir auch immer viel live in der Region gespielt haben, verbinden viele Leute Konzerterlebnisse mit uns. Man sagt ja nicht umsonst: Musik verbindet.
 
Und es gibt eine weitere Verbindung wenn man so möchte zu Rheinland-Pfalz und Trier. Nicht nur, dass Nicholas Müller Teile von Bap als Liveband nutzt, Sie haben auch beim Song „Dä Herrjott meint et joot met mir“ mit ihm zusammen gearbeitet. Wie kam es dazu?
 
Der Nicholas hat ja beim Thomas D. auf dem M.A.R.S. produziert. Anne de Wolff und Ulle  Rode haben die gesamte Produktion mit begleitet. Damals stand noch nicht fest, dass Sönke Reich der neue Drummer von BAP sein würde. Es hat sich also einfach gut getroffen. Nicholas ist ein sehr kreativer Mensch. Ich habe ihn schon mit Jupiter Jones, seiner Vorgänger-Band, verfolgt. Er hat auch in Berlin im Heimathafen „Dä Herrjott“ mitgesungen, als wir das Album vorgestellt haben. Und er ist einfach ein ernstzunehmender Künstler.
 
Auf jeden Fall.
 
Vor allen Dingen ein intelligenter Mann, der sich nichts aus dem Reimlexikon zusammen reimt. Er sieht das mit dem Songwriting ähnlich wie ich.
 
Sie sind derzeit auf Tour. Was hätten Sie gesagt, wenn man Ihnen vor 40 Jahren gesagt hätte, dass Sie 2016 Konzerte mit Bap in Luxemburg und Saarbrücken geben?
 
Vor vierzig Jahren hätte ich das nicht für möglich gehalten. Aber wir haben es ja dann bereits vier Jahre später bereits tatsächlich getan. Da waren wir dann auch in Trier, Luxemburg oder Saarbrücken. Das passierte dann schon relativ schnell. Ich hätte eher nicht geglaubt, dass ich das im Jahr 2016 immer noch tun würde. Ich hätte gedacht, dass ich da schon lange wieder hinter meiner Staffelei gelandet wäre und meinen gelernten Beruf ausüben würde. Aber es hat sich alles organisch ergeben und so hab ich es auch am allerliebsten.
 
Im Song „Unendlichkeit“ heißt es „Lebenslänglich sucht man Zuversicht“. Man könnte meinen, dass es eine niederschmetternde Erkenntnis ist….
 
Ich finde nicht. Es gibt zuversichtliche Momente. Manchmal denkt man, man hätte etwas gefunden. Und manchmal ist das sicher auch so. Aber andere Sachen flutschen einem immer wieder weg. Aber das ist halt das Leben. Also ich hatte einen meiner zuversichtlichsten Momente, als ich nach meinem Schlaganfall aus der Narkose aufgewacht bin. Und meine drei Damen neben mir am Bett stehen hatte und wirklich gedacht habe, denn sprechen konnte ich zu dem Zeitpunkt noch nicht, „Wow, es gibt wohl doch noch eine Zugabe“.
 
Ein prägender Moment…
 
Sehr prägend. Der Moment vorher, als ich in die Narkose versetzt wurde, war niederschmetternd. Ich dachte nur: „Hoffentlich wirst du nochmal wach“. Doch ganz ehrlich: Die Zuversicht in dem Moment, als ich wach wurde, die reicht auch (lacht).
 
Im Song „Absurdistan“ singen Sie: „Zynisch un cool sinn ess nit die Kunst.“ Wie schafft man es denn älter, aber nicht zynischer zu werden?
 
Ich gebe mir Mühe (lacht). An der Stelle bin ich einfach unglaublich trotzig. Ich will nicht zum Zyniker werden und vor allen Dingen nicht resignieren. Ich bin natürlich auch sehr sehr oft ratlos. Ich weiß oft nicht, wie das alles weitergehen soll. Aber trotzdem will ich nicht resignieren. Ich habs dann vielleicht auch ein bisschen mit Luther: „Wenn ich wüßte, dass ich morgen sterben würde, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen“. Dieses Luther-Wort hat mir sehr früh eingeleuchtet. Uns bleibt ja auch gar nichts anderes übrig. Jedenfalls wenn wir an unsere Kinder denken und die Generationen, die nach uns kommen. Wir haben dafür zu sorgen, dass die auch noch eine lebenswerte Welt haben. Wir dürfen einfach nicht schlapp machen. Wir haben da einen Generationen-Vertrag.
 
Der Song enthält hochdeutsche Passagen. Ein Stilmittel für Klartext?
 
Nein. Die Situation werde ich auch nie vergessen. Wir waren im Studio und ich hab den Text auf Kölsch gesungen, wie immer, und kam mir an einigen Stellen plötzlich unangemessen albern vor. Wie ein Mundart-Pfleger, der auf jeden Fall den kölschesten Begriff singen muss. Das hat mir nicht gefallen. Ich hab dann versucht es hochdeutscher zu machen und irgendwann sind meine Nackenhaare unten geblieben, da wusste ich, jetzt gehts. Man muss das übrigens auch mal von der anderen Seite sehen: Dialekte sterben ja aus. Es ist auf jeden Fall bei mir im Umfeld so. Ich kann froh sein, wenn ich noch einmal in der Woche mit jemandem instinktiv nur kölsch reden kann.
 
Eigentlich schade…
 
Sehr, sehr schade. Ich kann in meiner Familie und meinem Bekanntenkreis diejenigen, mit denen ich nur kölsch reden kann, an einer Hand abzählen. Das war mal anders. Als wir mit BAP angefangen haben, wurde nur kölsch geredet. Wir wären nie auf die Idee gekommen hochdeutsch zu sprechen. Warum auch? Kölsch war unsere Muttersprache. Mittlerweile hat sich da viel verändert. Das ist aber nicht nur eine Entwicklung bei BAP. Einige Fans waren ja sogar konsterniert, nach dem Motto: “Was ist denn jetzt los?“ Aber genauso wie ich kein Ersatzleben für andere führen will, will ich keine Illusion aufrecht erhalten, als könnte ich mit Ach und Krach hochdeutsch reden. Mein Tonfall ist rheinisch und meine Muttersprache ist kölsch. Ich finde das immer ganz schlimm, wenn ich in Radio-Sendungen von entsprechenden Moderatoren genötigt werde‚ ‘mal was auf Kölsch zu sagen‘ (lacht). Das ist für mich eine Qual. Aber es gibt Menschen mit denen ich kein hochdeutsch sprechen kann, wenn ich sie treffe. Mit Tommy Engel, der bei den Blääck Föös gesungen hat, zum Beispiel. Oder mit Freunden, mit denen ich zum Fußball gehe. Da kommt kein hochdeutsches Wort aus mir raus.
 
Anderes Wort, passt aber zum Klartext: Ihr Engagement mit „Arsch Huh, Zäng Ussenander“ ist nach wie vor groß und weithin bekannt. Die Initiative entstand 1992. War Ihnen damals schon klar, dass die Themen, die behandelt wurden bis heute relevant sind?
 
Man darf bei diesen Themen nicht nachlassen. Ich fände es wunderbar, wenn unser Song „Kristallnaach“ irgendwann mal unaktuell würde. Aber dieser Illusion möchte ich mich nicht hingeben. Das Ding wird wohl ewig aktuell bleiben, weil die Menschen so sind. Wir Musiker können unseren Teil dazu beitragen, dass die Menschen nicht verhärten, aber wir können sie nicht dazu bringen irgendwas zu begreifen. Das wäre auch unverschämt. Die sollen bitte selbst denken. Das ist nämlich eine sehr schöne Beschäftigung (lacht).
 
Man könnte meinen, dass es in Köln da etwas anders zugeht. Diese Dinge wie Lokalpatriotismus und Themen wie Heimat scheinen da ungezwungener daher zu kommen. Eine Gratwanderung?
 
Es ist eine Gratwanderung. Es ist ja so mit diesen Heimathirschen, wie ich sie nenne: So lange man aus seiner Heimat keinen ausschließt ist das alles wunderbar. Man darf auch ruhig lokalpatriotische Lieder singen, wenn man eben niemanden ausschließt. Denn wer das tut, der hat dieses kölsche Prinzip einfach nicht begriffen. Ich mag das total gerne, wenn zum Beispiel im Fußballstadion kölsch gesungen wird. Das erzeugt ein unfassbares Zusammengehörigkeitsgefühl. Wenn nach einem verlorenen Spiel in der Südkurve der Klassiker „En unserem Veedel“ gesungen wird: „Wat och passiert, he hält man zusamme“, da krieg ich eine Gänsehaut. Ich finde das sensationell.
 
Eine Sache, die schon oft besprochen wurde, die ich aber dennoch fragen muss: Wie kam es dazu, dass Sie im Musikvideo zu Hungry Heart von Bruce Springsteen neben dem Boss auf der Bühne stehen, 1995 in Berlin? Ein Gänsehautmoment Ihrer Karriere im Rückblick?
 
Das war auch unfassbar. Total klasse. Also ich hatte den Bruce einen Monat vorher in New York kennen gelernt. Ich habe ihn für die ARD interviewt und wir haben uns angefreundet. Dann kam eine Woche vor dem Videodreh die Anfrage. Ich war damals mit der Leopardenfell-Band unterwegs, die Band, mit der ich lauter Bob Dylan-Songs aufgenommen habe. Ich hatte Bruce unser Album gegeben. Eins davon hat der übrigens auch an Dylan selbst weiter gegeben (lacht). Wahnsinn. Dann kam also der Anruf, ob wir nicht die Band in seinem “Hungry Heart“-Video sein wollten. Er wollte das nämlich in Berlin aufnehmen. Für ihn ist „Hungry Heart“ ein Song über Veränderung und keine Stadt würde so für Veränderung stehen wie Berlin. Das Video wurde damals in einer Kneipe namens Eckstein am Prenzlauer Berg gedreht. Die Kneipe heißt übrigens heute Café Butter, falls mal jemand da vorbei gehen möchte. Wir haben natürlich zugesagt. Am Abend vorher meinte Bruce dann, dass wir die ganzen Leute da nicht wie Statisten behandeln können, die nur da stehen und uns zujubeln. Er lies mich dann eine Liste von Songs schreiben, die wir nicht proben mussten. Da waren dann so Songs wie „Honky Tonk Women“, „Knocking On Heavens Door“, „Jumping Jack Flash“ und Nummern von ihm oder Chuck Berry Nummern drauf. Immer dann, wenn zwischen den einzelnen Takes die Kameras umgebaut werden mussten, haben wir dann zwei, drei Stücke von der Liste gespielt und dann wieder Hungry Heart. Der Song wurde zwar auch Playback im Hintergrund gespielt, aber wenn man genau hinhört bei der Aufnahme, dann hört man, dass wir mit der Live-Version irgendwann lauter waren als das Playback. Riesig. Ich hab natürlich fortwährend gedacht, dass jeden Moment der Wecker klingelt und ich den Müll runter bringen muss oder so was. Aber es war tatsächlich real. Und es war gut (lacht).
 
Vor kurzem kam die Autobiografie „Born to Run“. Berührend und sehr offen. Ein Wahnsinnsbuch über ein Wahnsinnsleben.
 
Es ist wunderbar, ich lese es grade. Es sind so schöne Erkenntnisse drin, die man nur wenn man demütig ist, so erleben kann. Ich hab gestern die Stelle gelesen, wo er sagt, dass Abermillionen von Menschen damals den Stones und den Beatles zugehört haben. Und von diesen Abermillionen haben sich die Hälfte die Platte gekauft. Und davon haben sich dann so und so viele gedacht, dass könnten wir auch machen. Und so hat er das immer weiter runter gebrochen. Und das denkt er bei einer Introduction in die Rock`n Roll Hall of Fame wo er zwischen George Harrison und Mick Jagger steht und singt. Und das sind genau meine Gedanken. Was für ein unfassbares Schwein hat er gehabt im internationalen, globalen Zusammenhang. Und ich in meinem, auf den deutschsprachigen Raum begrenzten Aktionsradius. Was hab ich für ein Glück gehabt. Und das demütig zur Kenntnis zu nehmen und nicht weil man so toll ist oder weiß der Geier. Deshalb sage ich ja auch für mich: „Dä Herrjott hätt et joot met mir jemeint“.
 
Ihr Tipp für das DFB-Pokalspiel vom 1. FC Köln gegen Hoffenheim?
 
Wir gewinnen das. Ich bin natürlich zugegen. Das ist ja wohl klar (lacht). Wobei der junge Trainer von Hoffenheim sehr in meiner Achtung gestiegen ist, wegen der sehr besonnen Reaktion auf die dämlichen Ausfälle von Roger Schmidt, dem Leverkusener Trainer. Mein lieber Mann, da habe ich den Hut gezückt. Da hätte er total was draus machen können, aber nein, nein. Chapeau. 
 
Herr Niedecken, Vielen Dank für das Gespräch. 

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