hunderttausend.de: 2018 findet in Trier das große Jubiläum anlässlich des 200. Geburtstages von Karl Marx statt. In Ihrem Stadtführer-Repertoire spielt er ja bereits seit geraumer Zeit eine größere Rolle, jetzt erscheint das Buch „Wie der Wein Karl Marx zum Kommunisten machte". War es leichter, anlässlich des Jubiläums das Buch zu schreiben?
Jens Baumeister: Die wissenschaftliche Arbeit ist natürlich die gleiche, aber die Motivation ist größer, wenn es einen konkreten Anlass gibt. Das Interesse der Öffentlichkeit an dem Buch zeigt, dass es der Zeitpunkt für eine Veröffentlichung ist.
Auch wenn das Buch populärwissenschaftlich an die Thematik herantritt und Fußnoten sowie Literaturverweise fehlen, bedeutet es dennoch jede Menge Recherche und Vorbereitung. Wie lange dauerte es, bis das Werk fertiggestellt war?
Der Text ist über eine lange Zeitspanne entstanden. Seit meiner ersten Führung zu Marx & Wein 2004 ist das Material immer weiter angewachsen. Die Entscheidung, keine Fußnoten etc. zu verwenden, ist erst ganz am Ende gefallen. Ursprünglich hatte ich den Text so angelegt, als würde ich ein „normales" wissenschaftliches Buch schreiben. Den Text ohne Fußnoten weiterhin verständlich zu halten, hat sich als verzwickte Aufgabe entpuppt. Insofern war genau so viel oder sogar mehr Recherchearbeit nötig als bei meinen kunsthistorischen Schriften.
Was ist für Sie persönlich angenehmer? Die vorhergehende Recherche oder das anschließende Verfassen des Buches selbst?
Es hat beides seinen Reiz: Während der Recherche habe ich mich über viele neue Erkenntnisse gefreut, wenn auch nur ein Teil davon in das Buch eingegangen ist. Beim Schreiben habe ich mit Worten gespielt, manchmal auch gerungen – mit Marx' Worten und mit meinen eigenen. Kommt am Ende ein interessanter und gut lesbarer Abschnitt dabei heraus, ist das genauso befriedigend wie ein Neufund bei der Recherche.
Das Buch selbst beinhaltet ja sowohl die bewegende Geschichte des Moselweinbaus im 19. Jahrhundert als auch Marx' erste Begegnungen mit selbigem und seine jungen Jahre. Sie selbst sind Weindozent, Stadtführer und Kunsthistoriker. Wiegt eines der Themen schwerer für Sie?
Meine verschiedenen Interessen lassen sich kaum trennen, weil ich vieles von dem, was ich bei einer kulturhistorischen Recherche herausfinde, später meinen Gästen erzähle. Oft ist es auch umgekehrt: eine Führung wird zum Ausgangspunkt einer Publikation.
Würden Sie „Wie der Wein Karl Marx zum Kommunisten machte" eher Weinliebhabern oder Marx-Fans empfehlen? Oder können auch Menschen, die weder mit Marx noch mit Moselweinen oder Wein allgemein etwas zu tun haben, hier ihre ersten Erfahrungen mit den beiden Themen sammeln?
Das Buch wendet sich eigentlich an alle Kulturinteressierten. Natürlich kann eine gewisse Affinität zum Wein nicht schaden. Schön fände ich, wenn Leute, die sich bisher noch nicht mit Marx auseinandergesetzt haben, durch mein Buch inspiriert würden, dies zu tun.
Relativ am Anfang des Buches schreiben Sie, dass über die Jugend von Marx meist wenig geschrieben würde, in der Regel werde diese in einem kurzen Kapitel schnell abgehandelt. Vor wenigen Monaten kam der Film „Der junge Karl Marx" in die Kinos. Haben Sie ihn sich angesehen und falls ja, wie fanden Sie ihn?
Ich bin sogar zu der Trierer Premiere eingeladen worden und habe bei der anschließenden Diskussion neben Malu Dreyer auf dem Podium gesessen. Zuerst einmal ist es natürlich positiv, dass es überhaupt einen Film über den jungen Marx gibt. Mir persönlich kam Trier in dem Film arg zu kurz und die Darsteller sind fast alle erheblich älter als die Protagonisten damals wirklich waren. August Diehl ist etwa 15 Jahre älter als Marx zu Beginn seiner Pariser Zeit. Dennoch fand ich ihn großartig – Diehl spielt nicht Marx, er ist Marx. Bei der Diskussion hat er die Idee eingebracht, einen zweiten Film über den ganz jungen Marx zu drehen, bei dem Trier eine größere Rolle spielen würde.
Anfang 2018 soll mit „Karl Marx zwischen Pfandhaus und Champagner. Wie die Familie Marx sich durchs Leben schlug" ein zweites Buch von Ihnen erscheinen. Der Titel klingt, als würde es darin sehr viel weniger um Wein gehen, als vielmehr um ein biographisches Werk?
Tatsächlich hat das Buch fast gar nichts mit Wein zu tun. Bei dem Titel handelt es sich um ein leicht abgeändertes Zitat eines Spions, der über Marx' Leben Bericht erstattet. Es geht um die Frage, wie die Familie Marx sich mit List und Tücke, oft auch unter großen Entbehrungen, durchgeschlagen hat. Es ist also tatsächlich ein biographisches Buch, aber keine Biographie, denn ich greife nur einige Aspekte des Marx'schen Daseins heraus.
Dazu gibt es im kommenden Jahr und auch schon 2017 viele Führungen und Events zu unterschiedlichen Themen von Ihnen, die allesamt auch bei uns im Veranstaltungskalender zu finden sind. Gibt es einzelne Veranstaltungen, auf die Sie sich besonders freuen?
Ich habe insgesamt über 20 verschiedene Module zum Thema ‚Karl Marx und das lange 19. Jahrhundert' im Portfolio. Dabei habe ich natürlich auch meine persönlichen Steckenpferde berücksichtigt. Bei der Führung „Die Erfindung des Klassenkampfes" verbinde ich Marx und seine Ideen zur Anthropologie mit Exponaten des Rheinischen Landesmuseums. Es geht um die Frage, wann die Ungleichheit in die menschliche Gesellschaft kam. Damit begebe ich mich an den Kern des Marx'schen Denkens und kehre zugleich zu meinen eigenen Wurzeln zurück, denn mein Hauptfach an der Uni war Klassische Archäologie.
Daneben freue ich mich auf die Veranstaltungen meiner Frau zu Marx & Engels in Manchester und London. 2018 werden zu dem Thema zwei VHS-Fahrten nach England stattfinden.
Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg mit dem Buch und den Führungen!
Jens Baumeister stellt sein Buch am Freitag, den 05. Mai 2017 um 18:18 im Stadtmuseum Simeonstift vor. Der Eintritt ist frei, im Anschluss folgt eine kleine Weinprobe.
Foto: Walter Baumeister