Interviews
13.06.2019 Janine Köppel  
Broadway Filmtheater

Ein apokalyptischer Schauplatz

​Der Dokumentarfilm Welcome to Sodom – Dein Smartphone ist schon hier lässt die Zuschauer hinter die Kulissen von Europas größter Müllhalde mitten in Afrika blicken und portraitiert die Verlierer der digitalen Revolution.

UIlnmygnYvQ&t=2
Image

​„Sodom“ nennt man den Teil der ghanaischen Hauptstadt Accra, den nur jene betreten, die unbedingt müssen. Die Deponie von Agbogbloshie ist Endstation für Computer, Monitore und anderen Elektroschrott aus Europa und aller Welt. Rund 250.000 Tonnen ausrangierte Computer, Smartphones, Drucker und andere Geräte aus einer weit entfernten, elektrifizierten und digitalisierten Welt gelangen Jahr für Jahr hierher.

Die Austrian Film Commission hat sich mit den Regisseuren Florian Weigensamer und Christian Krönes über die Entstehung von Welcome to Sodom – Dein Smartphone ist schon hier unterhalten:

Austrian Film Commission: Agbogbloshie ist alles andere als ein angenehmer und einfacher Ort, um Recherchen durchzuführen. Wie kann man sich Ihre Erkundungs- und Recherchephase vorstellen? Wie sahen Ihre ersten Eindrücke dort aus?

Regisseure: Ich erinnere mich an die erste Nacht unserer Recherchereise 2014, in der wir nicht geschlafen haben, sondern versuchten, unsere Eindrücke des Tages in einer Art therapeutischem Gespräch zu verarbeiten. Wir waren einen Monat dort um zu recherchieren, zwei weitere um zu drehen. Wir wollten über einen längeren Zeitraum in den einzigartigen Kosmos von Agbogbloshie eintauchen und die Geschichte von diesem Schauplatz ausgehend entwickeln. Es erschlägt einen alles, wenn man Agbogbloshie betritt. Der Lärm, die Arbeitsbedingungen, der Dreck, man hat ständig einen metallischen Geschmack im Mund, man hat keinerlei Orientierung auf diesem endlosen Areal. Begonnen hat es Anfang der 2000-er Jahre, als im Rahmen eines Entwicklungshilfe-Projekts gebrauchte elektronische Geräte nach Ghana exportiert wurden. Findige Geschäftemacher erkannten schnell, dass daneben mit dem Export von Schrott gute Geschäfte zu machen sind. Gemäß der Baseler Konvention ist der Export von Elektromüll aus der EU zwar verboten. Die Geräte werden aber nicht als Schrott, sondern als gebraucht deklariert. Die ankommenden Container sind voller Bildschirme und Computer, keiner kann kontrollieren, was davon funktionsfähig, was davon nicht mehr verwendbar ist. Es ist eine sehr billige Weise, das Zeug loszuwerden. Eine fachgerechte Entsorgung in Europa wäre um ein Vielfaches teurer. Aber wo sich Geld verdienen lässt, da drückt man in Europa nur allzu gerne mal ein Auge zu.

Sie haben Beziehungen an einem Ort aufgebaut, der in ständiger Bewegung zu sein scheint, wo Menschen keine fixe Bleibe haben und den die Menschen dort selbst als No Man's Land bezeichnen. Wie haben Sie dort Protagonisten gefunden, auf die Sie auch für den Dreh zählen konnten?

Es ist ein Ort des permanenten Wandels und es war unsere größte Befürchtung, dass wir unsere Protagonisten, die wir während der Recherche kennen lernten, nicht mehr finden würden. Denn die Menschen verlassen, sobald genug Geld vorhanden ist, für eine Zeit Agbogbloshie und verbringen diese meist bei ihren Familien im Norden des Landes. Doch sie kommen immer wieder zurück. Für unsere Dreharbeiten waren gewiss auch Zufall und Glück im Spiel, dass wir einige der entscheidenden Protagonisten wiedergetroffen haben. Womit man allerdings schon rechnen musste, waren Dinge organisatorischer Natur, die nicht so funktionierten, wie wir uns das vorstellten. Wenn wir z.B. bei Sonnenaufgang drehen wollten und unser Freund gerade keine Lust hatte aufzutauchen, dann ging es eben nicht. Man muss sich natürlich sehr flexibel auf die dortige Lebensweise einstellen. Beim Dreh waren wir zwei Monate jeden Tag auf der Halde, das war unabdingbar. Nicht nur um zu viel Distanz zu vermeiden, es ging vor allem darum, den Leuten dort zu signalisieren, dass man bereit ist, ihren Alltag zu teilen, damit sie sich öffnen.

Standen Sie zu Beginn vor der grundlegenden Frage, wie kann man sich einem surrealen Ort dokumentarisch annähern?

Agbogbloshie ist in seiner ganzen Dimension weder in Bildern noch in Worten fassbar. Wir sind mit einem Grundsatz in die Dreharbeiten gegangen und haben ihn auch konsequent umgesetzt: nämlich nichts zu inszenieren, sondern genau und sensibel zu dokumentieren. Wir wollten den Betrachtern dieses Films dasselbe Gefühl vermitteln, das wir während der ersten Zeit verspürten, wenn wir da durchgegangen sind. Entdecken, schauen, nicht verstehen. Wir wollten nicht allzu sehr leiten, das machen die Protagonisten zum Teil selbst, sie waren völlig frei in dem, was sie vor der Kamera tun.

Punkto Kameraarbeit haben Sie sich dafür entschieden, in sehr lange Einstellungen auf gewissen, wahrscheinlich sehr repräsentativen Tätigkeiten zu verweilen und auch die Körperlichkeit der Arbeit sehr spürbar zu machen: Ich denke an das Kind, das mit einem Magneten das Metall sammelt oder auch das Verbrennen der Kabelballen.

Es war für uns in der Erkundungsphase sehr spannend, diese Tätigkeiten zu entdecken und diese Wahrnehmungen wollten wir auch mit der Kamera transportieren. Je mehr man diese Bilder in kürzeren Sequenzen schneiden würde, umso schneller ginge die Spannung verloren. Wir wollten unsere Eindrücke vermitteln, ohne je inhaltlich erklärend oder kommentierend zu sein. Wir wollen ja weder teacher noch preacher sein. Durch die subtile Kameraarbeit von Christian Kermer wird dieser apokalyptische Schauplatz, werden die Lebensumstände der Menschen für den Zuseher erfahrbar. Um diesen Un-Ort zu verstehen muss man tiefer blicken. Das gelingt nicht mit Bildern die schockieren oder noch schlimmer, die Armut ästhetisieren. Wir wollten den Zuschauer in dieses unwirkliche Setting eintauchen und fühlen lassen, was Arbeit und Leben an einem so gnadenlosen Ort bedeutet.

Das Verbrennen von Kabeln selbst, die Flammen, die Rauchschwaden – all das gibt extrem spektakuläre Bilder her. Auch wenn man sich von oberflächlichen TV-Dokumentation distanzieren will, bleibt die Versuchung des Spektakulären. Wie konnte man ihr widerstehen?

Das war gewiss die schwierigste Gratwanderung: einerseits Realität zu zeigen und gleichzeitig nie spekulativ zu werden. Vor allem wollten wir vermeiden, dass unsere Bilder schnell ein „Oh wie furchtbar“ bewirken und alles beim Verlassen des Kinos schon wieder vergessen ist. Die Eindrücke dort sind visuell so mächtig, dass die Bilder unweigerlich drastisch sind. In unserer Erzählung auf Augenhöhe der Menschen zu bleiben, war alles andere als einfach. Durch lange Einstellungen in der Totale haben wir versucht, die Dramatik wieder aufzulösen, von einem Draufzeigen wegzukommen, hin zu einem Entdecken-Lassen, das jeder Zuschauer für sich selbst erlebt. Diese Gratwanderung hat Christian Kermer an der Kamera, wie auch später im Schnitt sehr eindrucksvoll und einfühlsam umgesetzt.

Sie haben die grundsätzliche Entscheidung gefällt, niemanden vor der Kamera sprechen zu lassen, es gibt nur Stimmen aus dem Off. Wie entstanden die Texte, besonders jene, die von Ihrer jungen Protagonistin gesprochen wurden?

Spontan vor der Kamera wären diese Statements nicht machbar gewesen. Bei gewissen Fragen muss man ja Zeit haben, um darüber nachzudenken. Wir haben unseren Protagonist*innen Anstöße für Überlegungen gegeben und sie am nächsten Tag aufgenommen. Tonaufnahmen an diesem Ort durchzuführen war alles andere als einfach. Der Krach dort ist unvorstellbar. Wir haben uns immer Freitage und Sonntage ausgesucht, die jeweiligen religiösen Feiertage der am stärksten vertretenen Gruppen, wo weniger Betrieb war und sind weitab der Deponie zu einem Hühnerstall gegangen – einem Blechverschlag, aus dem wir die Tiere kurzfristig ausquartiert haben, um unsere O-Töne aufzunehmen.

Mit welchen Gefühlen haben Sie Agbogbloshie wieder verlassen? Wie sehen die Perspektiven für diesen Ort aus?

Wenn man so lange dort ist und zu den Menschen ein Naheverhältnis entsteht, dann ist es ein ziemlich beklemmendes Gefühl wieder wegzufahren. Wir konnten während unseres Aufenthaltes sicher in der einen oder anderen Notlage helfen und ein wenig Unterstützung geben. Man verlässt das Land mit dem Wissen, das die Menschen keine Wahl haben, dortbleiben müssen und man ihnen keine nachhaltige Hilfestellung geben kann. Der emotional schwierigste Moment war sicher, als uns eine Frau bat ihre Tochter mitzunehmen. Wie verzweifelt muss eine Mutter sein, einem Fremden das Kind anzuvertrauen. Für sie war es nicht nachvollziehbar, warum es unmöglich ist. Dem nicht nachkommen zu können, war schon ziemlich belastend. Die schwierige Frage, wie man den Menschen wohl effizient helfen könnte, bleibt. Es gibt einige Hilfsorganisationen und unzählige selbsternannte NGOs, die aber nicht sehr vertrauenserweckend agieren. In Ghana hat sich aufgrund seines Reichtums auch ein korruptes System entwickelt. Das Land steht an der Kippe, wo die Gesellschaft immer mehr auseinanderdriftet und keinerlei soziale Netze vorhanden sind. Natürlich gibt es die Regierung, die Stadtverwaltung, aber es gibt auch eine sehr ausgeprägte Paralleladministration. Jede kleinste Gruppe auf der Halde hat einen Chief, der wieder einen übergeordneten Chief hat usw. Das sind die Leute, die etwas zu sagen haben. Davon hatten wir, als wir ankamen, keine Ahnung.

 

Der Film läuft am Dienstag den 18. Juni um 19:30 Uhr im Broadway.

Filmpaten und Nachgespräch:

  • NABU Region Trier
  • Greenpeace
  • AG Frieden

 

Foto: Broadway

Bildgalerie



Karte anzeigen