Interviews
27.01.2016 Nemesheimer/Sarnelli  
Tom Leick-Burns

"Alles braucht seine Zeit"

​​​Vergangene Woche durfte hunderttausend.de mit dem neuen Intendanten Tom Leick-Burns der Théâtres de la Ville de Luxembourg ein morgendliches Gespräch über Änderungen im Betriebsablauf, die aktuelle und kommende Spielzeit, die Zusammenarbeit mit anderen Theatern und vieles mehr führen. 

 
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​hunderttausend.de: Was machen Sie morgens als Erstes? Haben Sie ein Morgenritual?

Tom Leick-Burns: Das hat sich inzwischen ein wenig geändert. Früher war es sicherlich der Gang zur Kaffeemaschine. Heute stehen aber meine einjährigen Zwillingstöchter an erster Stelle.

Digital oder analog?

Irgendwas dazwischen, wobei ich von Natur aus wohl eher analog bin. Meine auf Papier geschriebene Agenda kann ich irgendwie noch nicht loslassen, darum habe ich beides – digital und analog.

Fahrrad oder Stadtbus?

Oh, eher mit dem Bus, der hält direkt vor der Haustür und man kann den Kinderwagen einfacher mitnehmen. Mit dem Rad müsste ich außerdem inzwischen einen ziemlich steilen Berg hinauffahren und so gut ist es mit der Fitness dann doch nicht mehr (lacht).

Sie bleiben im Aufzug stecken – lieber mit Dürrenmatt oder mit Molière?

Mit Molière. Ich denke, das könnte witziger sein. Gerade in unseren ernsten Zeiten muss man auch mal lachen können – auch über sich selbst und Molière könnte die Wartezeit sicherlich verkürzen.

Wofür geben Sie zu viel Geld aus?

Es gibt ja tatsächlich eine Vor- und Nachkinderzeit. Früher hätte ich gesagt, Kleidung. Wobei ich weniger ein „Fashionvictim" bin, vielmehr lege ich Wert auf Qualität. Heute stehen, wie schon erwähnt, die Mädels an erster Stelle, also könnte man vielleicht auch sagen, Kinderkleidung (lacht).

Wofür kann man nicht genug Geld ausgeben?

Für Bildung, Kultur, Erfahrungen und Horizonterweiterung. Ich habe zwar Schauspiel studiert, musste aber, um diese Stelle zu bekommen, meinen Master nachschieben. Es war zwar seltsam, mit 40 Jahren nochmal an die Universität zurückzukehren, aber auch jeden einzelnen Cent wert, den ich dafür investiert habe.

Morgen geht die Welt unter – Wie verbringen Sie Ihren letzten Abend?

Ich würde vermutlich nichts Großes ändern. Mit den Leuten, die ich liebe, also meiner Familie, würde ich was Schönes kochen, gemeinsam essen, aber ich würde nichts Verrücktes machen.

Was gäbe es dazu zu trinken?

Eine Flasche Champagner würden wir uns dann doch noch genehmigen (lacht).

Kommen wir darauf zu sprechen, dass Sie seit gut einem halben Jahr nun die Leitung über die Théâtres de la Ville haben. Möchten Sie kurz über diese Startphase resümieren? Wie ist alles bisher gelaufen?

Ich bin jetzt zehn Jahre am Haus und habe mit dem vorherigen Intendanten Frank Feitler eng zusammengearbeitet, trotzdem ist es natürlich etwas ganz Anderes, alles jetzt aus dieser neuen Position zu sehen. Aber wir hatten so viele Highlights bisher, so viele ausverkaufte Vorstellungen und jede Menge positiver Resonanz. Ich habe auch das große Glück, ein gut aufgestelltes Gefüge zu übernehmen. Und ich hatte auch direkt zu Beginn gesagt, dass ich keine Revolution starten möchte, sondern vielmehr auf Kontinuität setze. Wir bleiben bei internationalen Co-Produktionen und eigenen Produktionen mit lokalen Künstlern mit einem großen Fokus auf Qualität. Die Messlatte liegt hoch und diese zu halten, ist eine enorme Herausforderung, aber die bisherigen positiven Reaktionen, die Motivation und Unterstützung durch das Team tragen stark dazu bei, dass man sich dieser Aufgabe sehr gerne widmet.

Wie fühlt es sich an, wenn man schon längere Zeit am Haus ist und man dann plötzlich den Chef raushängen lassen muss?

Es ist nicht mein Stil den Chef raushängen zu lassen aber es stimmt dass ich nun viel mehr Veranwortung habe. Auch für die Kollegen ist es sicherlich anders da ich nun der Ansprechpartner für alles bin. Man muss aber auch beachten, dass wir hier ein kleines Team sind und relativ flache Hierarchien haben.

Was ich allerdings nach wie vor lernen muss, ist, dass manchmal Entscheidungen einfach getroffen werden müssen. Man kann es nicht immer jedem Recht machen. Gerade wenn man, wie ich, ein relativ harmoniebedürftiger Mensch ist, kann das sehr schwierig sein. Allerdings sehe ich auch kein Problem darin, die Verantwortung zu übernehmen, wenn mal was schiefläuft.

Hat das Auswirkungen auf Ihr Privatleben? Wie leicht fällt es Ihnen, Probleme auf der Arbeit zu lassen und nicht mit nach Hause zu nehmen?

Das ist natürlich schwierig. Bei zwei Häusern und drei Bühnen und mir als einzigem Chef, der immer auch im Fokus der Öffentlichkeit steht - da kann man nicht einfach so abschalten. Auch wenn ich mal nicht im Haus bin, aber weiß, dass eine Vorstellung stattfindet, dann hoffe ich doch, dass alles glatt läuft und mache mir Gedanken darüber. Früher, als Schauspieler, war es viel einfacher – für die Bühne schlüpft man in eine andere Rolle, aber sobald man wieder hinter dem Vorhang ist, kann man das einfach ablegen und ist wieder man selbst. Heutzutage kommt auch noch die vernetzte Welt hinzu – überall ist man erreichbar, das wird ja auch erwartet. Darum gibt es bei uns auch keine Tablets am Kaffeetisch (lacht). Gerade durch die beiden Mädels muss man die Elektronik auch mal weglegen und sich um die Familie kümmern. Ich glaube, wenn sie nicht da wären, würde ich meinen Mann auch gar nicht mehr sehen (lacht). Die Mäuse machen es einem einfacher, mal abzuschalten und lassen einen nochmal den großen Sinn im Leben sehen. Wie ich auch oft zu meinen Leuten hier sage: Wir sind ein Theater und kein Krankenhaus – wir entscheiden nicht über Leben und Tod, wir sorgen „nur" für Unterhaltung und dass die Leute eine angenehme Zeit hier verbringen können, aber gleichzeitig auch einen differenzierten Blick auf die Gesellschaft erhalten und neue Kunstformen entdecken.

Auch wenn Sie eben von Kontinuität gesprochen haben – gibt es Änderungen, die man bereits sieht oder die noch kommen werden?

Als Grand Théâtre der Hauptstadt eines europäischen Landes mit drei Sparten – Oper, Tanz und Theater - und dem derzeitigen Niveau mit den aktuellen Besucherzahlen – da macht es wenig Sinn, alles komplett umzukrempeln. Natürlich sind wir weiter auf der Suche nach neuen Künstlern, wir werden weiterhin unsere Beziehungen zu anderen Häusern pflegen und neue Verbindungen knüpfen. Im Kapuzinertheater hingegen wird man im Juni 2016 eine Neuerung erleben können. Dort möchte ich die Identität des Hauses ein wenig verändern, denn 2011 kam es unter unsere Führung und durch Renovierungen und vieles Organisatorische mehr war bisher nicht die Zeit das Haus über eine dritte Spielstätte hinaus in seinen Aktivitäten weiter zu entwickeln. Nun werden wir hier ein Talent-Lab veranstalten, eine Plattform für junge Künstler. Während zehn Tagen stellen wir vier Teams einen Raum zur Verfügung, um an einem Projekt zu arbeiten und es weiterzuentwickeln. Dazu stehen professionelle Choreographen, Regisseure, Dramaturgen und was man sonst noch so braucht, bereit, um helfend unter die Arme zu greifen und eine Mentorenrolle zu übernehmen. Danach wird es zu einer Präsentation mit geladenen Gästen und Publikum kommen bei der jedes Team 20 Minuten des Projektes zeigen kann. Dasjenige Projekt mit dem meisten Potential wird in der Spielzeit 2016-2017 eine weitere Entwicklungsperiode am Kapuzinertheater bekommen . Die Nachwuchsförderung ist wirklich enorm wichtig. An Schauspielern mangelt es nicht so sehr, aber vielmehr in den anderen Berufen hinter der Bühne und das muss populärer gemacht werden. Mit solchen Projekten kann man den jungen Künstlern erfahrenere Leute an die Seite stellen und somit eine Plattform entwickeln für neue, frische Produktionen. Vor allen Dingen gibt man den Jüngeren so die Möglichkeit, sich zu entwickeln, auch mal was auszuprobieren mit genug Probenzeit und Unterstützung.

Wie schwer ist es, eine eigene Duftmarke zu setzen, seinen eigenen Stil zu finden? Trägt allein schon der Generationswechsel dazu bei? Immerhin trennen Sie von Herrn Feitler rund zwanzig Jahre.

Ich glaube es hängt weniger mit der Generation zusammen, als vielmehr mit der Person. Als Schauspieler, der selbst am Kapuzinertheater die ersten Schritte gemacht hat, weiß ich, wie es ist, wenn man mal seine ersten Ideen hat, die aber nie umgesetzt werden. Ich hab mich auch zu Beginn nicht in eine einsame Blockhütte gesetzt und mir überlegt, wie ich diese Intendanz gestalte. Vielmehr habe ich mich durch das Haus selbst inspirieren lassen. Das Theater hat eine ganz eigene Seele, alle sind herzlich, heißen die Leute willkommen und bieten ihnen die Möglichkeit, sich auszuleben. Ich glaube, eine Person, die von außen hier rein kommt, die weiß nicht, wie viel im Haus drin steckt und wüsste daher auch nicht, welches Potential versteckt ist. Darum habe ich mich auch für den Posten beworben, auch wenn ich selbst schon zehn Jahre hier bin und dementsprechend auch Altlasten mit mir bringe. Ich spüre auch keinen enormen Druck, wie die Presse oft suggeriert, und es ist auch nicht so, dass ich keine Ideen hätte. Alles braucht seine Zeit und dadurch, dass ich hier kein "Problemtheater" übernehme, war es für mich einfach, mich für den Job zu bewerben. Außerdem ist der Wechsel wirklich gut gelaufen – als Wunschkandidat, mit Vorerfahrung am Haus – viele standen auf meiner Seite und haben mich positiv aufgenommen. Mit der Zeit wird sich meine Handschrift auch konkreter abzeichnen, gerade weil ich hier ja auch einen unbegrenzten Vertrag habe und dieser nicht wie in anderen Häusern auf fünf oder zehn Jahre begrenzt ist.

Welche Rolle spielt die Quattropole und wie wichtig ist diese für das Programm? Wie läuft die Zusammenarbeit?

Es ist sehr wichtig, dass es die Quattropole gibt. Es ist wichtig, dass ich die Kontakte knüpfe und pflege. Ohne die Großregion ist es für Luxemburg auch nicht denkbar. So kann man erfolgreiche Stücke auch mal woanders aufführen lassen. Außerdem gibt es immer auch einen Austausch an Publikum. Für uns, da wir so klein sind, können wir mit all den Kooperationen nur gewinnen. Es ist auch wichtig, dass wir internationale Großprojekte einladen, aber auch mit den anderen Quattropole-Städten kooperieren, und unseren lokalen Mitarbeitern so die Möglichkeit geben, etwas an Erfahrung daraus mitzunehmen. Aber natürlich ist die Zusammenarbeit auch nicht immer einfach, schließlich muss man sich auf das Stück einigen, die Finanzierung klären und vieles weitere.

Wie muss man sich denn so ein Treffen mit anderen Intendanten vorstellen? Läuft das dann eher formell ab oder ist das mehr ein Austausch an Problemen? Gerade mit Karl Sibelius zum Beispiel, der ja gleichzeitig mit Ihnen die leitende Stelle in Trier neu übernommen hat.

Wir kennen uns ja mittlerweile schon ein wenig. Natürlich treffen da zwei Schauspieler mit vielen Ideen und jeder Menge Energie aufeinander. Wir sind zwar beide neu, haben aber eine komplett unterschiedliche Grundlage. Das verbindet natürlich. Bis es zu einer Zusammenarbeit kommt, muss diese aber vor allen Dingen Sinn machen und keine enorme Belastung für einen oder beide Parts darstellen. Gerade hat er sehr viel zu tun, aber wir werden uns beim kommenden Treffen vorwiegend darüber austauschen, was jeweils in den kommenden Spielzeiten passieren wird.

Gibt es denn generell eine Absprache zwischen den einzelnen Häusern der Großregion, was den Spielplan angeht?

Das ist ein großes Thema, das auch oft wieder auf den Tisch kommt. Aber Tatsache ist, dass es in der Realität nicht stattfindet. Außer jetzt beim Termin mit Karl Sibelius zum Beispiel, aber der Spielplan 16/17 steht ja schon, Ende des Monats wird der fest sein. Ich muss ja allein schon sehen, dass meine Spielzeit ausgewogen ist, bei drei Sparten und Produktionen in vier verschiedenen Sprachen ist es schwierig, allein das unter einen Hut zu bringen. Manchmal ist es sogar eine Herausforderung sich mit der Philharmonie abzustimmen, die direkt um die Ecke gelegen ist. Dann auch noch national und international zu schauen, das wäre wirklich utopisch. Glücklicherweise ist aber jede Inszenierung wieder anders, setzt neue Schwerpunkte und auch wenn die Thematik gleichbleibt, so hat man doch zumeist etwas Neues gesehen. Wenigstens über die ganz großen Projekte tauscht man sich aber oft aus.  

Geben Sie uns einen Ausblick auf die verbleibende Spielzeit – Was sind Ihre Highlights, die Sie dem Trierer Publikum empfehlen würden?

Im März ist das Deutsche Theater Berlin für eine Woche zu Gast, hier kann man natürlich deutsches Theater vom Feinsten erleben. In dieser Spielzeit zeigt das Ensemble Dürrenmatts Besuch der Alten Dame und zwei zeitgenössische Stücke mit Gaunerstück und Transit, die aktuelle Themen besprechen. Außerdem sei jedem das Stück Van den Vos ans Herz gelegt, ein sehr spannendes Projekt von einem belgischen Theaterkollektiv namens FC Bergman. Hier wurde die Fabel von Reinecke Fuchs komplett neu inszeniert und die ganze Bühne muss komplett umgebaut werden. Auch Tanzhighlights wird es geben, Barbarians von Hofesh Shechter und vieles mehr. Demnächst kommt auch Salome als Oper, die jetzt ihre Uraufführung in Berlin hat und das ist vielleicht gerade für Neulinge ganz attraktiv, weil das Stück nur anderthalb Stunden dauert. Es ist wirklich schwer, da Highlights zu nennen, denn jedes Stück für sich ist schon ein Höhepunkt.

 Wie sieht es denn in der nächsten Spielzeit aus? Können Sie dazu schon etwas sagen?

Da darf ich natürlich noch wenig verraten. Aber am 09. Mai wird die neue Spielzeit vorgestellt werden. Was ich sagen kann, ist, dass wir es auch für das kommende Jahr geschafft haben, international erfolgreiche Projekte zu gewinnen, neue Talente und Produktionen gefunden haben und musikalisch werden wir eine Zeitreise vom Barock bis hin ins Zeitgenössische geben. Somit wird für jeden etwas dabei sein und ein Musical wird auch nicht fehlen.

 Vielen Dank für das Gespräch und noch viel Erfolg für die verbleibende Spielzeit. 

Foto: Marian Majik

Les Théâtres de la Ville de Luxembourg
Grand Théâtre
1, rond-point Schuman
L-2525 Luxembourg
Théâtre des Capucins
9, place du Théâtre
L-2613 Luxembourg
E-Mail: lestheatres@vdl.lu​
 
Homepage: www.lestheatres.lu


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