Interviews
17.09.2016 Julia Nemesheimer Julia Nemesheimer
Stefan Maurer

"Das ist ein Spiel"

​Der Regisseur Stefan Maurer inszeniert zu Beginn der Spielzeit 2016/17 im Théâtre des Capucins das Stück "≈ [ungefähr gleich]" des schwedischen Autoren Jonas Hassen Khemiri. Die Premiere findet am 27. September 2016 statt. hunderttausend.de hat sich im Vorfeld mit dem Theatermacher unterhalten. 

 
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hunderttausend.de: Herr Maurer, möchten Sie uns zu Beginn etwas über das Stück und seine Besonderheiten erzählen? Worauf lassen die Zuschauer sich ein?

Stefan Maurer: Das Stück ist von einem relativ jungen schwedischen Autor geschrieben. Jonas Hassen Khemiri hat einen tunesischen Vater und eine schwedische Mutter. Die Erzählung                  "≈ [ungefähr gleich]" ist in vier Erzählungen aufgeteilt. Im ersten und zweiten Akt steht jeweils eine Person im Mittelpunkt, im dritten zwei. Die Besonderheit ist, dass Khemiri über diese Erzählung hinaus mit einem gewissen Theaterpomp anfängt. Abgesehen davon, dass die einfach reden, hat man auch Bilder und dabei handelt es sich um Innenbilder. Das beginnt sehr theatralisch, karikaturenhaft, äußerlich. Und durch diese Äußerlichkeiten entstehen sukzessive tatsächliche Menschen. Man hat darüber fast mehr Einblick in den Menschen als man es vielleicht nur bei einer guten Figurenzeichnung hätte. So gibt es mehr Möglichkeiten, viele Zerrbilder. Diese Entwicklung spiegelt sich also auch in den Akten wieder. Es fängt groß und grob an, wird im Laufe des Stückes aber immer feiner und detaillierter. Man kommt also immer mehr ins gewohnte Figurenbild, das man vom Theater her kennt.

Eine weitere Besonderheit an "≈ [ungefähr gleich]" ist außerdem, dass eine Figur zwei Seelen innewohnen hat, das wird bei uns auch durch zwei Schauspielerinnen dargestellt, im zweiten Akt.

Diese zersplitterte Form von Einzelheiten kann erstmal sehr verwirrend sein. Das Ziel ist aber fast traditionelles Theater, dass man Menschen in ihrer Not sieht. Der Konflikt bei “≈ [ungefähr gleich]“ ist die Frage nach Freiheit und Geld: Verschafft Geld Freiheit oder ist man ohne Geld frei? Diese Menschen mit ihren Utopien begegnen dadurch unserer Realität, in der das Geld ja eine immense Rolle spielt, und reiben sich daran auf oder arrangieren sich mit ihr. Auch die unterschiedliche Herkunft spielt eine Rolle in dem Stück und ich vermute fast, dass das etwas mit Khemiris persönlicher Biografie zu tun hat. Auch sein Studium der Ökonomie hinterlässt Spuren und zieht sich durch das Stück.

War "≈ [ungefähr gleich]" von Beginn an für die Bühne vorgesehen oder handelt es sich dabei um einen Roman?

Das Stück war direkt als Theaterstück konzipiert. Khemiri ist zwar primär Autor von Romanen, doch in diesem Fall hat er mit dem Theater Stockholm zusammengearbeitet und dieses Theaterstück entwickelt, teils wohl auch in Kooperation mit der Theaterleitung, sodass ihm ein Thema vorgegeben wurde. Inzwischen wurde das Stück auch oft in Deutschland gespielt, zuerst im Herbst 2015. Es ist dabei nicht im Zeitgeschehen aktuell, aber im Zeitempfinden.

Haben Sie das Stück bereits gesehen? Und wie kamen Sie überhaupt dazu, eben dieses in Luxemburg inszenieren zu wollen?

Bisher habe ich das Stück noch gar nicht gesehen in anderen Inszenierungen. Das war ein Findungsprozess mit dem hiesigen Theater Luxemburg. Es sollte ein zeitgenössisches Stück sein, dann haben wir die Thematik eingegrenzt und per Ausschlussverfahren sind wir dann zu diesem Stück ungefähr gleichgekommen.

Wie ist es bei anderen, bekannteren, oft gespielten Werken? Wenn Sie diese selbst auf die Bühne bringen, haben Sie dann eine andere Herangehensweise an ein Stück, als wenn Sie es noch nie sahen?

Man ist ja die Summe von allen Eindrücken, von daher wäre es ja Quatsch sich von allem loslösen zu wollen. Aber das hängt auch vom Stück ab. Wenn man jetzt Kleist nimmt, die Sichtweise auf diesen Autor trage ich schon so lange in mir und habe so viele Ideen dazu. Die wurden sicherlich durch andere Inszenierungen beeinflusst. Aber es gibt ja schon ein eigenes Wachstum davor. Insofern ist das ein ganz anderer Prozess als bei diesem Stück, wo ich dem Autor ja eher blank begegne und die Besonderheiten erst im Laufe der Arbeit herausfinde. Es ist mehr eine Begegnung mit dem Unbekannten.

Wenn ich weiß, dass ich an einem Stück arbeite, dann versuche ich das auch eher zu vermeiden und habe keine Lust mehr mir andere Inszenierungen anzusehen.

In der Stückbeschreibung steht ganz am Schluss: "Wie berechnet man eigentlich den Wert eines Theaterabends?" Wie sehen Sie das?

Das ist ein Spiel. Der Khemiri ist bei alledem auch ein Spieler und hat dies an den Anfang gesetzt. Er versucht, den Unterhaltungswert in Zahlen zu bringen. In einem Freizeitpark beispielsweise kann man ja am Schluss sagen, ob es sich gelohnt hat, die 40-80 Euro auszugeben für den Tag. Da geht es ja um eine Bespaßung. Und selbst da funktioniert das aber natürlich nicht wirklich. Das ist ein Spiel, das er deswegen in den Raum stellt, weil es halt einfach Quatsch ist. Um das aber deutlich zu machen, stellt er diese Frage, sowas macht ihm Spaß. Den Wert kann man natürlich nicht bemessen. Das wäre ja auch schlimm. 

Sie kommen in letzter Zeit ja jedes Jahr nach Luxemburg. 2015 waren Sie mit Kleists "Penthesilea" im TNL, 2014 konnte man im Kasemattentheater Schimmelpfennigs Werk "Der goldene Drache" sehen. Was führt Sie immer wieder hierher?

Da könnte man pathetisch sagen, dass es eine kleine Liebesgeschichte ist. Aber ich habe hier ja meine Anfänge. Beim Theatre National Luxemburg habe ich mein erstes Stück aufgeführt. Hier bietet sich mir ein Freiraum, auch dass man Atem bekommt für die Arbeit. Dann hat man viele Begegnungen, die wieder zu neuen Menschen führen und daraus resultieren neue Aufträge oder Ideen. Das ist so der normale Grund. Das Spezielle ist aber, dass es hier eine jüngere Theatertradition gibt, wodurch das alles etwas Frisches hat.  Es ist eine sehr sehr offene Atmosphäre, was sehr angenehm ist.


≈ [ungefähr gleich] ist am 27. und 28. September sowie am 4. und 5. Oktober 2016 um 20 Uhr im Théatres des Capucins zu sehen. Tickets gibt es ab 8,00 Euro. 

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