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14.03.2017 Vincenzo Sarnelli Vincenzo Sarnelli
Peter Doherty im den Atelier

Happy Birthday and Fuck forever

​Am Sonntag, den 12 März 2017, besuchte Peter Doherty das den Atelier in Luxemburg. Das eben jener Tag auch zufällig sein Geburtstag war, ist zwar einerseits eine Randnotiz, doch irgendwie steht es auch im Mittelpunkt eines Abends, der auf seine Weise denkwürdig ist. 

 
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​Der Autor dieser Zeilen hat es mit Doherty schon zweimal versucht. Einmal in Köln und bei Rock am Ring sollte der Brite einen Auftritt spielen. Beide Male war der Künstler nicht erschienen und hatte sich damit viel Kredit verspielt. Eigentlich bedauerlich, wenn man dann diesen Abend am 12. März rekapituliert. Denn er beginnt schon großartig, als Jack Jones im Vorprogramm das Mikrofon übernimmt.
 
Der Brite, der gleichzeitig in der Band, die Peter Doherty bei seinen Auftritten unterstützt und den Namen “The Puta Madres“ trägt, Gitarre spielt, ist Sänger und Poet. Seine Texte sind nicht selten geprägt von einem jugendlichen Pathos, gepaart mit einer klaren, hammerharten Pointe. Die meistens eigentlich keine ist und einem am Ende doch irgendwie im Halse stecken bleibt. Neben der Tatsache, dass Jones Solo und als Gitarrist unterwegs ist, singt er auch in der Band „Trampolene", die mit „Devided Kingdom“ im November 2016 eine Art “Hit“ hatten. Jones jedenfalls ist ein angenehmer Einstieg auf das was folgen sollte.
 
Dass Peter Doherty mittlerweile eben unter diesem Namen auftritt und nicht mehr nur „Pete“ genannt wird, soll vielleicht den Anschein erwecken, dass er seriöser geworden ist. Doch seine laufende Tour zeigt, wie unberechenbar er nach wie vor ist. Das Konzert in Frankfurt begann er mit dreistündiger Verspätung. In Luxemburg waren es derweil und glücklicherweise nur 20 Minuten. Der Mann, der dann auf die Bühne wankt, ist gezeichnet davon, dass er Geburtstag hat. Man merkt Doherty irgendeinen Rausch deutlich an. Und trotz der Tatsache, dass er sich eher unbehände über die Bühne bewegt, vereinnahmt der Sänger von The Libertines und den Babyshambles sofort alles und jeden. Es ist eine Mischung aus Raunen und Staunen, die durch das Publikum geht, als Doherty etwas müde und verwirrt die ersten Klänge von „I don’t love anyone“ anstimmt. Doherty hat eine Setlist vor sich liegen. Doch im Laufe des Abends sollte er sich nicht mehr wirklich dran halten.
 
Es ist schwierig, die Gefühle, die bei einem Doherty-Konzert entstehen, einzuordnen. Einerseits steht dort ein eher bedauernswerter Mann, den das Leben hart gezeichnet hat, und bei dem man mehr als froh sein muss, dass er seinen 38. Geburtstag an diesem Tag überhaupt noch feiern kann. Viele seiner Weggefährten können das nicht mehr. Zu oft haben die Drogen gesiegt. Bei Doherty ist das glücklicherweise nicht so. Im Dezember 2016 hat er es sogar geschafft mit „Hamburg Demonstrations“ ein Solo-Album aufzunehmen. Dort behandelt er Themen wie den Angriff auf das Batanclan in Frankreich. Die Welt schreibt über das Album: „Doherty, der zarte Rabauke und famose Poet, packt nun in einem genialen Vers die volle Ladung Popgeschichte mit unserer Panikgegenwart zusammen.“
 
Der zarte Rabauke steht dem famosen Poeten gegenüber. Das Enfant Terrible der modernen Pop-Musik, dem unfassbar talentierten Musiker, der die jüngere britische Indie-Pop-Historie so sehr geprägt hat, wie es zum Beispiel Oasis taten. Doherty hat zwei Gesichter. Vermutlich sind es noch einige mehr, aber es sind zwei, die relativ sofort und direkt ins Auge springen. Zum Einen ist dort eben jener zarte und einfühlsame Charmeur, der mit der Dame in der ersten Reihe ein Bier trinkt. Der verschmitzt lächelt und sich Luft zufächelt, als das den Atelier kollektiv “Happy Birthday“ anstimmt. Und dann ist eben dort jener Mr. Hyde, der den Mikrofonständer ins Publikum wirft, und als der Roadie diesen mühevoll wieder aufgebaut hat, das gleiche einfach nochmal tut. Eben dieser Mr. Hyde, der das Musizieren auf der Bühne schwer macht, weil er sich zwischendurch auch einfach mal hinsetzt oder Intros und Outros der Songs auf 10 Minuten Länge zieht. Dohertys Mitmusiker scheinen immer kurzfristig auf die Launen des Protagonisten reagieren zu müssen. Immer wieder besprechen sie sich. Und als das Publikum laut schreiend „Fuck Forever“ von den Babyshambles einfordert, spielt Doherty kurzerhand „Delivery“. In your Face. 

Im Song "Killamangiro" singt Doherty: „And why would you pay to see me in a cage?
Some men call the stage". Eine tragische Erkenntnis, wenn man bemerkt, dass viele Leute eben genau deshalb gekommen sind. Es geht darum jemanden scheitern zu sehen. Jemanden zu sehen, der eben genau das bedient, was die Gerüchte, Skandale und Geschichten vorher angekündigt haben. Und so ist das Publikum im fast ausverkauften den Atelier relativ laut, wenn die Balladen einsetzen und Doherty eben nicht das Enfant Terrible ist. Auch wenn der Sänger natürlich trotzdem alles dafür tut, dem Publikum zumindest in dieser Hinsicht das zu geben, was es erwartet, ist es bedauerlich. Denn Peter Doherty ist ein Teil Musikgeschichte, Pop-Geschichte. Punkt.

Für diese, unsere, Erkenntnis brauchte es gestern doch noch ein wenig Zeit. Als das Konzert vorbei ist und das Publikum die Show verlässt, ist nebenan in einem Club eine Karaoke-Party im vollen Gange. Grade wird Andreas Gaballiers "Hulapalu" gesungen. Und so langsam sickert es ein: Ein Mann, der es schafft, in einem Zustand vollkommener Berauschtheit eine solche Bühnenpräsenz, eine solche Präsenz auch im Kopf danach, zu behalten, ist nichts anderes als ein Stück Musikgeschichte. Nicht immer ist diese Geschichte rühmlich oder vorbildhaft. Mitnichten. Ein Beispiel sollte man sich daran kaum nehmen. Aber an wem kann man sich eigentlich ein Beispiel nehmen? Wer von denen, die Musik in irgendeiner Form geprägt haben, ist ohne Fehler und Skandale? Außer Bruce Springsteen natürlich.

Wir reden von Peter Doherty. Einem der talentiertesten und zermürbtesten Musiker unserer Zeit.

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