Interviews
09.09.2015 Vincenzo Sarnelli Veranstalter
Neonschwarz auf dem Festi-Wil

"Das Leben an sich ist Neonschwarz"

​​​​An diesem Wochenende zieht es wieder einen Haufen Leute unter die Brücke. Ohja, richtig gelesen: unter die Brücke. Das großartige Festi-Wil in Wittlich lockt am 11.  und 12. September 2015 mit einem bunten Line-Up wie Emil Bulls und Weekend. Ebenfalls dabei ist die Hamburger Rap-Crew von Neonschwarz. hunderttausend.de sprach mit der Band über die Festival-Saison, ihre Solo-Projekte und ihren Song "2014".

 
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hunderttausend.de: Hallo Neonschwarz, der Festival-Sommer neigt sich langsam dem Ende zu. Wie war es für euch? Zieht doch mal ein bisschen Bilanz.

Captain Gips: Das war für unsere Band sowie für jede/n Einzelne/n von uns tatsächlich ein ziemlich besonderer Sommer. Noch vor einem Jahr hätten wir uns nicht träumen lassen, dass wir zum Beispiel vor mehreren tausend Menschen auf dem Hurricane spielen und mit allen zusammen das Zelt abreißen. Wenn man dann von so einem Tourwochenende wieder nach Hause kommt und Revue passieren lässt, was wieder alles passiert ist, dann kommt einem das manchmal schon ein bisschen unwirklich vor. Das ist alles ganz schön crazy, aber wir wissen das auch zu schätzen.

Freut ihr euch eher auf die vielen Gigs oder stöhnt ihr innerlich ob der Anstrengung, die so ein massives Tourleben mit sich bringt?

Wir freuen uns nach wie vor auf jedes Konzert. Klar ist es auch anstrengend, aber die vielen positiven Erlebnisse, Eindrücke und Bekanntschaften wiegen das allemal wieder auf. Man muss sich wirklich ab und an bewusst machen, dass wir großes Glück haben so etwas zu erleben und so oft auf solch angenehme Art und Weise dem Alltag entfliehen können.

Ihr habt als Captain Gips, Marie Curry und Johnny Mauser ja auch schon vor Neonschwarz Solo gearbeitet. Wie war das, als ihr entschieden habt zusammen Musik zu machen? Hattet ihr schon eine gemeinsame musikalische Basis oder wolltet ihr einfach einen neuen Weg gehen?

Unser erster gemeinsamer Song war "On a Journey". Zu dem Zeitpunkt – 2010 - kannten sich Marie und der Captain zum Beispiel noch gar nicht. Es war nicht geplant, dass wir diese wahnsinnig coole Band gründen (lacht), es ging zuerst nur um einen Song. Wir können also diesbezüglich nicht von einem genialen Plan reden, sondern eher von einem sehr glücklichen Zufall, der uns irgendwie zusammenbrachte. Wir haben dann relativ schnell festgestellt, dass wir auf musikalischer und menschlicher Ebene sehr gut harmonieren und eine ähnliche Einstellung zu vielen Sachen haben. So oder so ähnlich haben wir dann beschlossen als Neonschwarz das Rapgame zu verändern (lacht).

Wie funktioniert das bei euch mit den Songideen? Schreibt jeder seine Parts? Oder gibt einer den Song vor und die anderen können da nochmal eigene Ideen einbringen?

Da gibt es keine festgeschriebene Herangehensweise. Manchmal sammeln wir einfach zusammen Songideen und beschließen gemeinsam, wer mit der ersten Strophe anfängt und die anderen vollenden den Song dann. Kann aber auch sein, dass Marie zum Beispiel mit einer Refrainidee um die Ecke kommt oder Spion Y mit einem bestimmten "Spruch", den er gerne scratchen würde und die anderen bringen dann ihren Kopf da mit rein. Und ja – jede/r schreibt die Parts selber.

In eurer Platte "Fliegende Fische" geht es um tiefgründige, große Themen. Freiheit und Utopie im Kontext der Tristesse der Realität. Ist euer Leben also im übertragenen Sinne Neon und Schwarz? Was bedeutet in diesem Zusammenhang die Musik für euch?

Naja, nicht nur unser Leben ist im übertragenden Sinne Neonschwarz. So ist wohl das Leben an sich. Wenn man es auf unser Leben übertragen möchte, gehört die Musik sicherlich zum "Neonteil" unseres Lebens. Sie lässt uns ausbrechen, aber wir haben natürlich die gleichen Probleme wie alle anderen auch. Wir müssen arbeiten, Miete zahlen und werden (besonders in diesen Tagen) oft wütend und traurig, wenn wir Nachrichten gucken.

In dem gleichnamigen Song "Fliegende Fische" auf dem Album heißt es in der ersten Zeile: "Neonschwarz, wieder da, wieder Widersprüche". Seid ihr Menschen voller Widersprüche?

Einer der größten Widersprüche, mit dem man als (kapitalismus-)kritisch denkender Mensch leben muss, ist der Wunsch, den Kapitalismus abzuschaffen, aber gleichzeitig so gut wie es geht mitzuspielen, weil man natürlich auch ein schönes Leben leben möchte.

Apropos Widersprüche: Live vermittelt ihr eine sehr positive Grundstimmung, man kann gut dazu abfeiern im Publikum. Textlich packt ihr aber auch durchaus klare Thesen und Themen aus und an. Wie passt das zusammen? Muss man heute in unserer Wohlstandswelt ein schlechtes Gewissen haben, wenn man feiert?

Nein, wir feiern gerne und schämen uns auch nicht dafür. Klar haben wir im Hinterkopf, dass wir vieles ändern möchten und uns zum Beispiel aktuell die Angriffe auf Flüchtlingsheime und Flüchtlinge einfach nur unfassbar wütend machen. Aber keinem Menschen wäre geholfen, wenn wir in diesem Wahnsinn versinken würden.

Würdet ihr euch als politische Band bezeichnen?

Es ist wohl kaum übersehbar, beziehungsweise überhörbar, dass wir uns in unseren Songs und in Ansagen auf der Bühne politisch positionieren. Andererseits haben wir uns nicht zu diesem Zweck gegründet. Die Musik steht ganz klar im Vordergrund, aber durch unsere persönliche Auseinandersetzung mit politischen Themen finden diese eben viel Raum in unseren Songs, Postings und Ansagen.

In eurem Song "2014" wird, leider muss man sagen, sogar Trier erwähnt. Ihr zählt an der Stelle im weitesten Sinne Orte auf, an denen Rechtsradikale und fremdenfeindliche Umtriebe aufgefallen sind. Zuletzt war unser Moselstädtchen ja mit dem lächerlichen "444"-Video in der Presse. Aber mal im Ernst: Der Song ist ja aktueller den je. Derzeit tobt der braune Mob auf Facebook und vor Geflüchteten-Unterbringungen. Was ist los in diesem Land?

Das "444"-Video war großes Kino, das hätten sich Satiriker echt nicht besser ausdenken können! Die haben sich auf jeden Fall ein richtig dickes Ei gelegt (lacht). Zu 2014 und der aktuellen Situation haben wir gerade ein ganz langes Statement auf Facebook​​ veröffentlicht.

Mainstream vs. Underground ist auch eine Frage, die euch immer wieder beschäftigt. Wie schmal ist der Grat zwischen Verrat an der Szene und Reichweite seiner Musik und damit auch seiner Inhalte?

Wir haben eigentlich kein Problem damit auch in größerem Rahmen statt zu finden. In erster Linie ist es ja positiv, wenn durch die Vergrößerung unserer Reichweite mehr Menschen Songs hören wie zum Beispiel "2014", in dem es speziell um die flüchtlingsheim-anzündenen Rassisten, die "besorgten" Bürger, die Beifall klatschen und die immer weiter Öl ins Feuer kippende Politik geht. Es ist immer wieder schön im AZ zu spielen und quasi im Familienkreis zu feiern, aber was die Inhalte angeht, bleiben wir da ja immer unter Menschen, die sowieso der gleichen oder ähnlicher Meinung sind wie wir. Natürlich spielen wir nicht überall und für jeden - oft ziehen wir auch Grenzen, jeder Schritt wird bandintern diskutiert und wir sind auch nicht immer einer Meinung. Wir würden gerne von der Musik leben können und das funktioniert einfach nicht, wenn man ausschließlich im kleinsten Rahmen auf Soli-Partys spielt.

Abschließend nochmal zurück zur Musik. Seid ihr auch weiterhin noch Solo unterwegs? Oder fühlt ihr euch gemeinsam so wohl, dass ihr die anderen vermisst, wenn ihr alleine auf der Bühne steht?

Momentan würden wir uns sofort vermissen, wenn wir plötzlich alleine auf der Bühne stehen würden und außerdem wäre das auch zeitlich gar nicht mehr machbar.

 Vielen Dank für das Gespräch.

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