Interviews
31.03.2017 Vincenzo Sarnelli Veranstalter
Neal Morse Band in der Rockhal

"Es gibt immer Momente des Zweifels"

​Er gehört zu einem der größten Namen im Bereich des Prog-Rocks. Neal Morse (Foto: Mitte) ist auch mit 56 Jahren noch ein Garant für große Alben. Mit "The Similitude of a Dream" bescherte er sich vielleicht das Album seiner Karriere. Am 04. April kommt er im Rahmen seiner großen Europa-Tournee nach Luxemburg in die Rockhal. Wir sprachen im Interview mit ihm, über seine Zeit in Europa Ende der 80er und das Doppel-Album.

 
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​Hey Neal, Wie gehts dir? Du bist ja grade auf Tour.

Danke, mir gehts sehr gut. 

Wie bereitest du dich auf die Zeit auf Tour vor, wenn du weißt, dass du relativ lange von zuhause weg bist?

Vor allem verbringe ich Zeit mit der Familie. Ich sollte vielleicht mehr proben, als ich tatsächlich tue, aber die Familie geht vor. Ja, und dann macht man noch ein bisschen Promo, Sport und freut sich auf die Tour. Ich kann es kaum erwarten. Es werden bestimmt relativ viele spannende Sachen passieren. 

Ist man denn noch nervös vor einer anstehenden Tour, wenn man schon so lange im Business ist wie du?

Nein, nervös bin ich nicht mehr. Aber das liegt in erster Linie daran, dass die Crew, die wir haben, total eingespielt ist. Das ist eine der größten Shows, die wir je auf die Beine gestellt haben und deshalb muss die Crew relativ viele Dinge zusätzlich tun. Unsere europäische Crew ist immer großartig und sie werden relativ schnell wie eine gut geölte Maschine funktionieren (lacht). 

Gibt es Sachen, die du auf jeden Fall auf Tour immer dabei haben musst?

Auf jeden Fall. Mein persönlicher Laptop zum Beispiel. Und dann gibts natürlich noch so ein paar Dinge, die man mitnimmt. Meine Kopfhörer oder mein Tablet und mein kleines Keyboard. Wir schleppen also schon eine Menge Zeug mit (lacht). 

Lass uns etwas über die Vergangenheit reden. Ich habe gelesen, dass du mal eine Zeit in Europa unterwegs warst. Dort hast du auf der Straße und in kleinen Clubs gespielt. Kannst du uns von der Zeit erzählen?

Es waren auf jeden Fall interessante Zeiten. Ich war jetzt nicht besonders lange da. Drei oder vier Monate. Ich wollte auf jeden Fall ein Abenteuer. Ich wollte hinterher Geschichten zu erzählen haben. Ich habe vorher in Los Angeles immer in den gleichen Clubs gespielt, immer vor den gleichen Leuten. Wenn mich Freunde gefragt haben, die ich lange nicht gesehen habe, was ich so mache, musste ich immer die gleichen Antworten geben. Daraus bin ich also etwas ausgebrochen und bin nach Europa gegangen. Mein Bruder Richard hat zu der Zeit in Deutschland gelebt. Ich habe mit ihm zusammen ein paar Gigs gespielt und er hat welche für mich organisiert. Ich hatte zu der Zeit nicht viel Geld und habe auf der Straße in Frankfurt oder Berlin gespielt. Und dann war ich in Paris und dort wurde mir mein Geldbeutel gestohlen und ich hatte gar nichts mehr. Eine interessante Gesamterfahrung, aber ich musste mich auf jeden Fall durchkämpfen (lacht). 

Jetzt spielst du relativ große Venues und bist in den Charts vertreten. Haben die Dinge aus der Vergangenheit trotzdem noch einen gewissen Einfluss auf dich heute?

Alles was du machst hat einen gewissen Einfluss auf deine Karriere und auf dich. Als ich zum Beispiel dann zurück nach Los Angeles kam, habe ich angefangen das erste Spock’s Beard-Album zu schreiben. Es hat also seine Spuren hinterlassen. Es hat mir ein gewisses Gefühl gegeben für das, was im Rest der Welt passiert. Ohne das hätte ich das nicht gehabt. 

Hast du denn in der Zeit jemals darüber nachgedacht alles hinzuwerfen? 

Ich bin immer ein bisschen geschwankt zwischen: „Alles wird total gut. Ich werde mal ein großer Star“ und „Oh Gott. Was soll ich machen? Nichts bewegt sich, nichts passiert“. Mit der Zeit nahm dieser zweite Part überhand und wurde immer mehr zu meiner Identität. Ich habe angefangen zu denken, dass ich ein negativer Mensch bin. Das muss so zwischen 1991 und 1996 gewesen sein. Als ich aus Europa zurück kam, fühlte sich alles irgendwie schlecht an, wie ein großer Unfall. Ich hatte keinen Job, kein Geld und musste irgendwie aus dem nichts Gigs bekommen. Oh Mann, dass war schon echt eine depressive Zeit. 

Aber du hast trotzdem nicht aufgehört. Woher hast du die Energie genommen um weiter zu machen? 

1995 haben wir das erste Album „The Light“ mit einem kleinen Label rausgebracht. Das war sicher ein Faktor. Und ich bin in diesem Jahr nach Nashville gezogen und habe geheiratet. Zwischen 1995 und 2000 habe ich auch zu Gott gefunden und mein Leben hat angefangen einen Sinn zu bekommen. Wir haben in der Zeit auch Kinder bekommen. Ich würde es so beschreiben: Diese depressive Zeit war ein Tal der Dunkelheit und dank meines Glaubens bin ich aus diesem Tal heraus gekommen. Ich war so inspiriert in dieser Zeit und hatte das Gefühl, dass Gott mir ein neues Leben gegeben hat. Eine neue Chance. 

Lass uns über dein aktuelles Album sprechen. „The Similitude of a Dream“ hat einen konzeptionellen Hintergrund. Worum geht es genau?

Es basiert auf einem Buch aus dem 17. Jahrhundert mit dem Namen „Pilgrims Progress“. Das ist nicht ganz der Originaltitel, der war länger und enthielt eben auch diese Phrase „The Similitude of a Dream“. Da haben wir also auch den Titel unseres Albums her. Interessant daran ist, dass wir es eigentlich gar nicht machen wollten. Ich hatte das Buch gar nicht gelesen und wusste auch nichts darüber. Irgendwer hatte in Internet drüber gesprochen und irgendwie blieb es in meinem Kopf. Und so wie ich das sehe, hat Gott mir irgendwie einen Hinweis gegeben, dass das etwas besonderes ist. Ich meine, das ist meine Sichtweise. Wie sonst sollte ich erklären, dass ich morgens aufgewacht bin und Melodien in meinem Kopf hatte. Und dann beginnt man zu singen. Zum Beispiel den Refrain von „So Far Gone“. All diese Dinge sind einfach so passiert. Vor kurzem sogar beim Auto fahren. Ich hatte plötzlich ein Gitarren-Riff im Kopf und habe es dann vorgesungen und mit dem Handy aufgenommen. (Neal Morse beginnt, das Riff und den Refrain vorzusingen, Anm. d. Red.). Wie kann man sowas erklären. Ich bin also an die Seite gefahren und dachte mir: „Wow, was war das?“ (lacht). Kreativität ist sowas großartiges. Bob Dylan hat mal gesagt, als man ihn gefragt hat, wo all seine Ideen her kommen. Er sagte: „Ich habe keine Ahnung.  Wer weiß schon wo das alles her kommt.“ Das ist auf jeden Fall ziemlich unerklärlich. Ich weiß natürlich nicht ob es Gott ist. Aber es kommt auf jeden Fall nicht nur von mir. Sowas passiert ja auch nicht durch Zufall. Dafür ist es viel zu bizarr (lacht). 

Ich finde ja, dass das Album eine gewisse Ähnlichkeit und Reminiszenz zum Album „Snow“ von deiner Band Spock’s Beard hat…

Interessant, dass du das so siehst. Ja, ich sehe schon gewisse Ähnlichkeiten. Es geht zum Beispiel bei beiden um eine spirituelle Reise. Es ist ein konzeptuelles Doppel-Album. Aber die größte Ähnlichkeit besteht in der Struktur. „Snow“ war sehr Songorientiert. Das ist sicher auch der Grund, warum viele Leute es mögen. Jeder mag einen guten Refrain zum Beispiel. Eingängigkeit und solche Dinge spielen dabei eine Rolle. Musikalische Spielereien und komplizierte Konstrukte sind zwar auch gut, können aber niemals einen guten Song im Gesamten ersetzen. 

Das Album ist wirklich auch groß geworden. Ein Doppel-Album mit über 100 Minuten Musik drauf. Ich habe mich gefragt, wie es sich anfühlt, wenn man im Studio die letzten Klänge eingespielt hat und man wirklich fertig ist, mit einem Meilenstein für euer musikalisches Schaffen…

Es gibt natürlich glamouröse, große Momente, wenn man es sich dann anhört. Und dann gibt es aber auch immer Momente des Zweifels und der Reue. Man hat immer so ein Fragezeichen im Kopf. „Hätte man das nicht noch anders machen können, besser machen können?“ Solche Gedanken gibt es immer. Die besten Momente im Gegensatz dazu sind die, wo einem bewusst wird, mit welch großartigen Musikern man zusammen gespielt hat und welche großartigen Dinge die zum Album beigetragen haben. Viele Dinge, die ich nicht erwartet habe. Killer-Solos von Eric (Gillette, Gitarre, Anm. d. Red.) und Bill (Hubauer, Keyboard, Anm. d. Red.). Die großartigen Drum-Fills oder Bass-Linien. Das ist wirklich ein großes Geschenk, was jeder da mitbringt. Paul MacCartney hat mal gesagt, um etwas zu tun, dass man liebt, muss man sich zuerst selbst lieben. Und das passt ganz gut dazu. Irgendwann kommt dann auch die Zeit, wo man so ein Album auf die Welt los lässt und schaut, was passiert. Ich kann nie so gut abschätzen, was bei den Leuten gut ankommt. Mike (Portnoy, Schlagzeuger, Anm. d. Red.) kann das total gut. Und er sagte: „Jungs, ich glaube wir haben grade das Album unseres Lebens gemacht“. 

Da sind Themen und Sounds die immer wieder zu finden sind auf dem Album. Wie dünn ist für dich eigentlich die Linie dem kreativen Flow seinen freien Lauf zu lassen, aber gleichzeitig den Hörer nicht zu überfordern?

Das passiert ziemlich instinktiv. Man muss das musikalisch, textlich und auch in Hinsicht auf die konzeptionelle Story einfach erarbeiten. Manchmal ergeben Dinge nicht viel Sinn. Oder man ist eine zeitlang eher „light“ unterwegs und dann will man wieder mehr „heavy“ sein. Und umgekehrt (lacht). Manchmal schauen wir auch auf die Story und schauen dann wie man die Stimmung davon am besten übertragen kann. Das muss halt auch zusammen passen. Die Story ist also ein guter, roter Faden. Wir spielen uns da als Band sehr gut die Bälle zu. Manchmal ist das vielleicht schwieriger, weil man entscheiden muss, wer die beste Idee hat. Manchmal ist es ziemlich offensichtlich, aber oft auch nicht. Am Ende hat Gott uns geholfen dieses tolle Album zu machen. 

Ich habe in einem Interview von dir gelesen, dass Mike und Eric eher verantwortlich für dunkleren und härteren Sound sind. Stehst du also eher auf der anderen Seite? Wie kommt ihr da auf einen Nenner?

Also was den härteren Sound anbelangt streiten wir uns tatsächlich eher weniger. Wir sind uns bei der Balance dieser Dinge ziemlich einig. Wir alle mögen es ein bisschen heavy und ein bisschen schön, und all diese ganzen Elemente die da eben dazu gehören. Das ist auch das, was wir an Prog-Rock so mögen. Dass komplexe Dinge neben einfachen bestehen können. Das ist auch ein bisschen das Alleinstellungsmerkmal dieser Musik. Worüber wir eher gestritten haben ist, ob es ein Doppel-Album werden soll. Mike wollte lieber eine lange Einzeldisc machen und die Dinge ein bisschen straffen. Ich wollte es aber groß und experimentell halten. Man sieht diese Konflikte auch auf der Dokumentation zum Album in der Special-Edition. 

Neal, wir haben also über den jungen Neal Morse gesprochen und über das Hier und Jetzt. Was würdest du gerne deinem jüngeren Ich sagen, wenn du die Möglichkeit dazu hättest? 

Oh, gute Frage. Ich würde, glaub ich, sagen: Vertraue auf Gott. Jetzt. Nicht warten. Ich würde auch sagen, dass er mit dem verrückten Lifestyle aufhören soll. Dann würde ich ihm davon erzählen, was Gott noch so für ihn bereit hält. Denn das ist eine ziemlich verrückte, aber großartige Geschichte. Wenn du 56 Jahre alt bist, wirst du das beste Album deiner Karriere machen. Ich glaube, wenn man mir das damals erzählt hätte, hätte ich das auf jeden Fall nicht geglaubt. 


Foto: John Zocco

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