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08.03.2017 Julia Nemesheimer  
Nathan der Weise

"Schlamm drüber"

In dieser Woche gastiert das Deutsche Theater Berlin traditionell im Grand Théâtre in Luxemburg. Am gestrigen Dienstag, den 07. und heutigen Mittwoch, den 08. März 2017 ist der Klassiker Nathan der Weise von Gotthold Ephraim Lessing zu sehen. Drei Stunden dauert die Aufführung mit Pause, das Sitzfleisch lohnt jedoch. hunderttausend.de hat sich das Stück angesehn. 

 
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Der Inhalt des Dramatischen Gedichtes dürfte aus Schulzeiten den meisten noch bekannt sein. Lessing schrieb das fünfaktige Werk 1979 und heute wie damals ist es eines der Paradebeispiele für Humanismus und Toleranz.

Der reiche jüdische Geschäftsmann Nathan kehrt von einer langen Reise zurück und erfährt, dass seine Tochter Recha beinahe den Flammen zu Opfer fiel, als sein Haus brannte, hätte nicht ein junger Tempelherr sie selbstlos gerettet. Dieser ist nur am Leben, da Sultan Saladin ihn kürzlich vor der Hinrichtung bewahrte, erinnerte er ihn doch sehr an seinen verstorbenen Bruder Assad. Saladin, der liberal und großzügig wirkt, hat große Geldsorgen und kommt über seinen neuen Schatzmeister, den Derwisch Al Hafi, auf Nathan. Nach anfänglichem Zögern den Dank für die Rettung anzunehmen, kehrt der Tempelherr nach der Rückkehr des weisen Juden und einem Gespräch der beiden doch noch in das Haus Nathans ein, lernt das gerettete Mädchen kennen und verliebt sich, ebenso wie sie. Die unterschiedliche Religion jedoch macht es scheinbar unmöglich, bis Daja, die christliche Gesellschafterin Rechas, dem Tempelherrn verrät, dass die vermeintliche Jüdin eigentlich eine Christin und Nathan nicht der Vater sei.

Indes war Nathan bei Saladin und auf dessen Frage nach der einzig wahren monotheistischen Religion erzählt er dem Sultan die Ringparabel. Das Gleichnis der Gleichwertigkeit der einzelnen wird vom Sultan direkt verstanden, die Antwort des weisen Juden beeindruckt ihn so sehr, dass sie fortan Freunde sind. Im Laufe der Geschichte verrät der Tempelherr dem Patriarchen von Jerusalem von Nathan und dessen Aufnahme der Christin Recha, die er dann als Jüdin erzog, woraufhin der hohe Geistliche den Juden auf den Scheiterhaufen schicken möchte. Am Schluss wird natürlich doch noch alles aufgeklärt und der Twist lässt alle vereint sein und das trotz der unterschiedlichen Religionen.

 

Die Inszenierung von Andreas Kriegenburg feierte im Deutschen Theater am 30. August 2015 Premiere und ist jetzt auf Tour, unter anderem eben auch in Luxemburg. Das klassische Stück wird stark überzeichnet dargestellt, wobei die Kulisse sehr minimalistisch ist. Ein großer Holzkubus, der sich permanent bewegt und auch aufgeklappt werden kann, eine zweigeschossige Innenansicht in Zimmer gibt, ist neben weniger Gegenstände das einzige, mit dem gearbeitet wird. Der Rest ist weiß gehalten, der Farbton ändert sich lediglich durch die zur Szene passende Lichteinstellung.

Auch die Kostüme bestehen nur aus wenigen charakteristischen Elementen, etwa ein Hut und Schläfenlocken sowie ein langer, dunkler Mantel für Nathan oder der weiße Überwurf mit rotem Kreuz für den Tempelherrn. Was jedoch alle gemein haben, ist das aufwändige Make-Up: Ganzkörper-Schlammmaske ist die wohl passendste Beschreibung dafür. Mit Verweis auf das Buch Genesis, heißt es doch dort „Da formte Gott, der Herr, den Menschen aus Erde vom Ackerboden und blies in seine Nase den Lebensatem.", sorgt diese Maske dafür, dass die Darsteller an und für sich alle gleich sind. Was sie voneinander unterscheidet sind dann tatsächlich nur die jeweiligen Kostümteile. Dadurch werden auch unterschiedliche Rollen von mehreren Darstellern gespielt, wie etwa der Derwisch, oder mehrere Rollen eben von unterschiedlichen Darstellern.

Den Anfang macht so auch eine Szene, die die Geschichte der Menschheit von Adam und Eva bis hin zur heutigen Konsumgesellschaft abbilden soll. Das eigentliche Stück ist nah am Original, doch sprechen die Darsteller*innen teils so schnell und mit einer unpassenden Betonung, dass es oft anstrengend ist, zu folgen. Doch zwischendurch kommt der Slang durch, da rutscht mal hier ein Flüchtling mit rein, ein kurzer Verweis auf die NSA und Verwanzung, diejenigen, die aktiv gerade nicht spielen, huschen auch mal mit dem Selfiestick über die Bühne und schießen ein Bild mit Nathan, der gerade im Gespräch mit dem Tempelherrn ist. Die Aktualität des Werkes wird damit nochmal deutlicher, sind doch Toleranz und Humanismus auch heute noch wichtige Faktoren, die allzu oft dem ein oder anderen nochmal erläutert werden sollten.
„Der Autor versteht die Geschichte als archaischen Comic" – Humor inklusive. So können auch drei Stunden Lessing aktuell, dennoch klassisch und spannend rübergebracht werden, auch wenn es teils etwas befremdlich sein kann, wenn Recha rumzickt, der Tempelherr immer mal wieder in einen verspäteten Stimmbruch fällt oder ein leichter Hitler-Tonfall angestimmt wird. Nichtsdestotrotz lohnt der Besuch. Das Deutsche Theater Berlin gastiert noch die restliche Woche in Luxemburg, heute Abend noch einmal mit Nathan, danach folgt am 09. März Der Herzerlfresser und am 10. und 11. März Terror

Foto: Arno Declair

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