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07.05.2017 Vincenzo Sarnelli  
Musiktipp: Keele - gut und dir

Und ich so: gut und dir?

​Am Freitag, den 28. April 2017, erschien auf Rookie Records das Debüt-Album der Hamburger Band Keele. Auf „gut und dir“ haben sich die Musiker in diversesten Genre-Schubladen bedient. Eingängige deutschsprachige Punkanleihen mit Post-Punk-Affinität treffen auf treibende Indierock-Riffs und dem gewissen Gespür für Emotionen einer Generation. 

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​Manchmal möchte man ja sagen, dass vieles schon gehört wurde. Frei nach Jörkk Mechenbier von Love A möchte man sagen "Nichts ist Neu“. Und so geht es sicher auch mit dem Sound von Keele. Die genauso wie die Trierer vom Hamburger Label Rookie Records kommen. Doch wenn Keele eins beweisen, dann, dass das nicht immer problematisch ist. Man muss einen Sound nicht neu erfinden, um eine gute Platte vorzulegen. 

Irgendwo zwischen Love A, Turbostaat, Freiburg und Herrenmagazin angesiedelt besingen Keele Alltagsprobleme für Leute in den Zwanzigern. Da geht es um Flucht (Terminal), Hinfallen und Aufstehen (Uwe Hochmut) oder Relevanz (gut und dir). Und bei allem Gefühl, dass das alles doch schon tausend mal durchgekaut wurde, merkt man nicht, wie die Refrains sich im Hirn festsetzen. Und schon haben sie dich. 

Mit Sauerstoff wird knapp beginnt die Platte mit einem sehr kurzen Opener. Etwas mehr als eine Minute treiben die Drums den Sound an: „Eine Flamme die nach Atem schnappt/ denn der Sauerstoff wird knapp“. Und plötzlich ist die Flamme aus. Schade. Ein Beginn der Lust auf mehr macht. Der Song hätte ruhig fünf Minuten lang sein dürfen. Entschädigt wird man im Anschluss mit dem ersten Highlight der Platte: Mit Terminal legen die Hamburger vermutlich einen der Songs vor, den 21-jährige Post-Punk-Boys ihren Mädels, die zum Auslandssemster nach Neuseeland gehen, auf die Facebook-Pinnwand posten. Doch was zunächst nach Mitzwanziger-Kitsch klingt, ist im Endeffekt eine Hymne über die Flucht vor sich selbst und dem, was man zurück lässt. Stark! Schon der vierte Song ist dann gut und dir, der gleichzeitig der Platte ihren Namen gibt. Und Holla! Was für ein Refrain. Vermutlich einer der eingängigsten Debüt-Alben-Refrains der letzten Jahre auf einem deutschsprachigen Album. Man sieht den schwitzenden Moshpit vor sich. Die zum Clubhimmel gereckten Fäuste und nach oben geworfenen Köpfe mit brüllenden Kehlen. 
Das Album, dass schon relativ früh sehr viel Fahrt aufgenommen hat, behält dieses Tempo bei. Es lässt nicht los. Ein gutes Beispiel dafür ist der Song Siebenundzwanzig, der die Strophe im Prinzip nur verwendet um auf einen Refrain hinzuarbeiten, der eben genau da landet wo er hingehört. Irgendwo zwischen Herz und Gehörwindungen. Und dort bleibt er dann erstmal auch. "Die einen sagen weiter/ die anderen sagen stopp/ du sagst ich wäre feige/ doch für die bin ich ein Gott“. Während der folgende Song Sektempfang irgendwie nicht ganz so gut reingeht und zu viele Motive wiederholt, die schon zuvor aufgekommen sind, ist Song acht Handfaust eine Wahnsinnsperle. Einen Song zu schreiben, der einem selbst so unverblümt ins Gesicht schreit, dass die eigene Komfortzone der erste Spatenstich eines Grabes ist, dass man seinen Träumen schaufelt, verdient Respekt. Nicht oft durfte man sich so perfekt die eigenen Fehler vor Augen führen lassen: "Denn deine Hand kann keine Faust“. 
Mit Über Grenzen setzen die Hamburger dann auch politisch ein Statement und beweisen, dass Keele auch diese Dimension des (Zusammen-)Lebens bedienen können. Auch wenn die Bilder und pathetischen Motive nicht immer neu sind ("irgendwo auf dem Meer/ das war die einzige Chance/ sie geht an die Grenze/ für einen Neuanfang/ weil zuhause kaputt ist/ und sie nirgendwo sonst bleiben kann“), verlieren sie bei Keele nicht an Wichtigkeit oder Relevanz und fühlen sich nicht durchgekaut an. Zum Schluss darf auch das Coming-Off-Age Thema auf einem indiesken mehr Punk als Post-Album nicht fehlen. Und so kratzt der letzte Song Grauwal an der Rinde der Vergänglichkeit der Zeit, jedoch ohne zu tief in die pathetische Klischeekiste zu packen, auch wenn es vor allem in den Strophen manchmal knapper ist, als man vom Rest des Albums hoffen durfte. 
Ein Fazit zu ziehen für dieses Album ist nicht besonders schwer. Denn am Ende ist die Kaufempfehlung obligatorisch für alle, die deutschsprachigen Punk mit Post-Punk-Bezügen mögen. Keele haben mit „gut und dir“ ein Album vorgelegt, dass "Nichtsneues“ ziemlich gut präsentiert und beweist, dass kalte Pizza eben am Ende auch ziemlich geil ist. Ein paar schiefe Bilder, so wie das vorangegangene hier, und ziemlich viele starke Refrains später, steht ein Debütalbum, dass Live Spaß machen wird und in sich einen guten, weil roten, Faden trägt. Chapeau!

Foto: Charles Engelken


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