Interviews
28.05.2017 Vincenzo Sarnelli  
Milliarden im Kleinen Klub der Garage Saarbrücken

"Alter, entspann dich mal"

​Nachdem im Herbst 2016 das Konzert in Trier wegen einer Verletzung von Sänger Ben Hartmann ausfallen musste, kommt die Band Milliarden nun erneut in die Region. Am 08. Juni 2017 spielen die Berliner im Kleinen Klub der Garage Saarbrücken. Wir sprachen mit Hartmann und Keyboarder Johannes Aue vorher im Interview.

 
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​hunderttausend.de: Ben, wie gehts deinem Knie? Das Konzert in Trier musste ja ausfallen, weil du dich am Abend zuvor ziemlich krass verletzt hattest. 

Ben Hartmann: Dem Knie geht es besser, danke der Nachfrage. Es ist jetzt schon ein bisschen her. Aber ein Knie braucht immer länger als man denkt. Man muss da schon ein Dreivierteljahr arbeiten, bis das wieder gut ist. Aber wir spielen mittlerweile wieder Konzerte und ich hab so eine Bandage wenn ich Sport mache. Es ist also noch nicht richtig perfekt, aber viel besser. 

Das sind doch gute Nachrichten. Das hörte sich ziemlich krass an, wie ihr auf Facebook geschildert habt, wie du dir die Verletzung zugezogen hast. Ein weiterer Beweis dafür, wie viel ihr auf der Bühne gebt, wenn ihr auf Tour seid. Ist schon eine energetische Liveshow.

Die Musik ist energetisch und das macht halt auch nur Spaß, wenn man es fühlt und man sich dem hingibt. Aber es ist schon eine Energieleistung jeden Abend anderthalb Stunden ein Konzert dahin zu stellen. Ich weiß auch nicht. Wir zehren einfach an unserem Leben. Wir klauen uns hintenraus die Jahre (lacht).

Euer Debüt-Album „Betrüger“ ist jetzt fast ein Jahr raus und ihr seid seitdem die gesamte Zeit unterwegs gewesen. Ich stell mir das nicht einfach vor das Level so weit oben zu halten. Wie fühlt sich das denn an, dass euer gefeiertes, aber auch kontroverses Album jetzt ein Jahr draußen ist? Ist die Anfangssurrealität, die ich einfach mal unterstelle, dem Alltag gewichen, dass man jetzt ein Rock-Star ist? 

Das ist eigentlich total spannend, weil derzeit alles um uns herum wächst. Es wird immer mehr. Wir sind ja jetzt schon länger mit der Musik und unseren Inhalten unterwegs und wir haben mit dieser Euphorie einfach sehr gute Erfahrungen gemacht. Immer mehr Leute, größere Bühne. Deshalb hört auch die Euphorie und der Spaß nicht wirklich auf. Wir sind extrem in so einem Kreislauf des gegenseitigen Befruchtens und kommen da auch nicht raus. Das ist alles ganz geil irgendwie. Wir basteln derzeit schon am nächsten Album. Deshalb bleibt das alles so bestehen und wir ziehen das einfach durch. Wir sind halt auch viel auf Tour. Und ich sehe jeden Morgen die müden Gesichter, die sich dann die Sonnenbrillen aufsetzen (lacht). 

Johannes, euer Album ist ja, wie gesagt, durchaus kontrovers diskutiert worden. Ich hab da Sachen gelesen von „Revolution im Pop-Punk-Genre“ bis zu „billiger Rio-Reiser-Kopie“. Wie habt ihr das erlebt? Beeinflusst euch das, also so eine Debatte?

Johannes Aue: Zum Glück beeinflusst uns das gar nicht. Das ist doch das Schöne, dass Musik kontrovers diskutiert werden kann. Wenn man sich mit Musik beschäftigt, ist das ja immer schon so gewesen. Dinge, die polarisieren - und wir machen das ja nicht mal absichtlich - reiben sich eben. Wir sind so viel auf Tour und fahren so viel rum. Und unser Publikum ist total aufgeschlossen uns gegenüber und dem wie wir sind. Die Energie überträgt sich. Und darum ist alles andere auch fast egal. Man liest sich aber schon manchmal so Kritiken durch und denkt sich: „Alter, entspann dich doch mal ein bisschen“ (lacht). Aber es ist doch was schönes, dass sich auch diese Leute damit beschäftigen und vielleicht ihren Hass über den deutschen Rock raus lassen können. Der ja auch zum Teil berechtigt ist. Aber grundsätzlich ist es gut, wenn es sich reibt und daran kann man sich selbst auch reiben. Daher kommt sicher auch ein Teil unserer Energie, dass man nie so genau weiß, ist das jetzt eigentlich geil, was wir machen oder total beschissen? Und wir machen dann einfach das, was wir können und es geht drunter und drüber und das ist gut so (lacht).

Das ist ja auch ein Anspruch, den Bands oft an sich selbst haben, dass sie eben authentisch sind. Ihr legt ziemlich viel Seele rein in eure Texte und schreibt viele persönliche Gedanken auf. Seid ihr vorsichtiger geworden im Zuge der Tatsache, dass ihr euch im Musikgeschäft etabliert habt, bei einem großen Label seid und diese Dinge? Oder stärkt sowas eher das eigene musikalische Selbstbewusstsein?

Also wir sind auf jeden Fall selbstbewusster geworden. Für uns war es total von Vorteil, als wir in diesen ganzen Pop-Zirkus eingestiegen sind, dass wir zu zweit waren. Als Solo-Künstler stelle ich mir das wesentlich schwieriger vor. Man muss vieles mit Humor nehmen und die guten Dinge, die einem nutzen, da raus ziehen. Wir sind also eher frecher geworden, als wir vorher waren. Früher haben wir immer geschaut, was das Label will und überlegt ob man das wirklich so machen will und kämpft vielleicht auch ein bisschen. Mittlerweile machen wir das einfach so wie wir wollen. Ich glaube, dass diese Vorsicht, die du ansprichst, eher aufgrund des eigenen Anspruches kommt. Wie experimentierfreudig ist man, machen wir was komplett neues oder schließen wir an das an, was wir vorher gemacht haben? Ich glaube, wir sind derzeit wieder in so einer Phase, wo wir überlegen müssen wie frech wir sein wollen. Vielleicht nehmen wir ja ein Album nur mit Tiergeräuschen auf (lacht). Der Moment grade ist ziemlich geil, weil man einfach nicht weiß was passiert. Und es ist schön, dass wir da zusammen durch gehen und nicht alleine. 

Ich hatte schon den Eindruck, dass ihr ziemlich unbekümmert an die erste Platte ran gegangen seid. Du sprichst selbst von Erwartungen und sagst, dass ihr noch nicht genau wisst, wo die Reise hingeht. Aber wieviel Druck lastet da jetzt auf euch „nachlegen“ zu müssen? Von extern, aber auch von euch selbst?

Natürlich, die Gedanken kommen immer wenn man an neuen Sachen arbeitet. Da fragt man sich zum Beispiel, woher man die Inspiration bei alten Songs hatte und sowas. Die Erwartungshaltung ist auf jeden Fall da. Die Messlatte des neuen Albums ist also mindestens da, wo wir jetzt stehen. Und drunter zu sein, wäre schon kacke. Das ist halt der eigene Anspruch, dem man gerecht werden will. Für uns von Vorteil, dass viele Leute, eher negativ fürs Album, gesagt haben, dass sie uns live mega gut finden, der Sound auf der Platte aber eher so lala ist. Man könnte sich also damit jetzt weiter auseinandersetzen und versuchen diesen Live-Charakter da mehr unter zu bringen. Es ist halt auch so, dass ein Song, der zuhause am Klavier oder an der Gitarre entsteht, sich schon verändert hat, wenn er in den Proberaum kommt und dann im Studio nochmal anders klingt. Es ist immer eine Weiterentwicklung und am Ende muss man sehen, was davon funktioniert. Ich freue mich auf jeden Fall auf das neue Album, denn unsere Kreativität scheint in der Hinsicht nicht nachzulassen. Und ob es dann die Messlatte trifft, ist dann auch eine Frage der richtigen Zeit. Manchmal ist es Zufall, dass ein Song ein Gefühl zur richtigen Zeit auffängt. Und wenn unser Gefühl viele Leute erreicht, ist das geil, ansonsten halt nicht (lacht). Aber wir machen dann trotzdem weiter und spielen Konzerte und so.

Ein zentrales Element eurer Texte ist dieses „broke sein“. Das man für seine Musik lebt, aber davon nicht leben kann. Das ist für viele, glaub ich, auch ein Anknüpfpunkt an euer Schaffen, weil viele junge Leute das Gefühl teilen und kennen. Wie wichtig ist denn eure Lebenssituation für das Songwriting? Und wie würde der thematische Mittelpunkt derzeit lauten, wenn ich dich darauf fest nagel? Wovon handelt denn die nächste Platte?

Also beim ersten Album, kann ich es ganz klar sagen. Das sind einfach eigene Erfahrungen. Sehr oft überspitzt und überhöht, weil man sich da in dieses Thema halt auch rein wühlt. Aber es ist genau das, was du meintest. Man kann nicht ohne Unterstützung groß was starten. Man muss einen Tourbus bezahlen, seine Crew und so. Man muss also arbeiten gehen und das Musik machen läuft so nebenbei und man macht das erstmal für die Liebe. Aber das ist auch geil. Wir schauen uns schon ständig an und fragen uns, was wir eigentlich machen. Wir sind jetzt Ende 20. Und irgendwie ist es ganz schön verrückt. Und das alles verbunden mit diesen Gefühlen die wir haben, das sind unsere Texte. Das Thema der nächsten Platte ist also folgerichtig: Geld (lacht). Das große Geld ist der Mittelpunkt. Scheiß auf Sehnsucht und Liebe. Es geht nur noch um die Kohle. 

Also 100% Sellout mit der nächsten Platte?

Auf jeden Fall. Bei unseren Live-Shows gibt es dann immer riesiges Feuerwerk (lacht). Also vor so einer Halle mit 7000 Menschen zu spielen wie Kraftklub oder Casper, das ist schon geil. Ansonsten reizt uns an diesem Sellout-Ding nicht besonders viel. Denn so wie es sich grade anfühlt ist auch gut. Wir haben eine Gang als Fangemeinde irgendwie (lacht). 

Vor euch liegen ein Haufen Festival- und Clubshows in den nächsten Tagen. Genießt ihr die letzten Tage auf der Couch? Wie bereitet ihr euch auf eine anstehende Tour vor?

Das wäre ziemlich geil, mal richtig abzuspannen und in Urlaub zu fahren oder so. Das ist aber leider nicht möglich. Noch so eine Sache, wo ein Sellout-Moment her müsste (lacht). Wir arbeiten nebenbei. Und kümmern uns grade ums Album, damit wir im Herbst ins Studio gehen können. Es läuft alles so ein bisschen wie Motor. Und ich hoffe, dass wir in drei Jahren nicht total ausgelaugt sind. Es fühlt sich grade zum Glück nicht so an. Es gibt zwar Momente, in denen man mal Ruhe braucht, aber grade rattert alles so sehr, dass man totale Unruhe hat und froh ist wenn man diese Energie wieder in die nächste Tour stecken kann. Heißt: Nicht abspannen. Sondern vorbereiten und arbeiten. 

Das Bild des rastlosen Musikers voll bestätigt.

Und man muss auch einfach sagen, mit den Jungs, mit der Band, mit der wir hier unterwegs sind, dass ist einfach wie eine große Klassenfahrt am Ende. Dann spielt man die Konzerte vor Leuten, die einen unterstützen. Man trifft viele nette Menschen. Es ist immer krass unterwegs zu sein. 

Ich hoffe, ihr habt auch auf der kommenden Tour so viel Spaß. Danke für eure Zeit und wir freuen uns auf das Konzert in Saarbrücken. 

Foto: Peter Kaaden

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