Interviews
01.04.2017 Vincenzo Sarnelli  
Messer im Exhaus Trier

"Es ist permanente Irritation"

​Er ist Sänger in einer Band, frisch gebackener Romanautor, bildender Künstler, Dozent und vieles mehr. Über zu wenig Beschäftigung kann sich Hendrik Otremba (Foto: zweiter von links) also nicht beschweren. Am 03. April 2017 kommt er mit seiner Band Messer ins Exhaus nach Trier. Wir sprachen vorher mit ihm über seine Band, seinen Roman und seinen Terminkalender. 

 
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hunderttausend.de: Hendrik, wie gehts dir?

Hendrik Otrmeba: Ich hab mir grade Tropfen in der Apotheke geholt und mache mir parallel Ingwer-Zitronen-Tee und einen frisch gepressten Saft, weil ich grade Angst habe mich noch erkältet zu haben. 

Das wäre nicht so gut. In zwei Tagen beginnt eure Tour.

Ja, beziehungsweise morgen, weil wir natürlich auch noch proben. Aber irgendwie ist das bei mir bei fast jeder Tour so, dass ich davor so einen Anflug von Erkältung bekomme und dann gehts aber doch immer wieder und ich krieg noch die Kurve. Vielleicht ist das ja psychosomatisch (lacht).  Aber ich habe auch grade eine aufregende Zeit hinter mir oder stecke mittendrin, weil mein Roman grade raus gekommen ist. Ich hatte in Berlin Buchpremiere, dann in München und ich war in Leipzig auf der Buchmesse ein paar Tage. Jetzt kommt die Tour und danach wieder ganz viele Lesungen. Ganz schön viel Action und vielleicht sagt der Körper mir so, dass ich etwas auf ihn aufpassen soll. 

Lass uns zuerst, bevor wir über dein Buch sprechen, über deine Band „Messer“ sprechen, mit der du am 03. April in Trier spielen wirst. Ich habe in der Vorbereitung auf das Interview viel über euch gelesen und gemerkt, dass da oft die typische Genre-Schublade „Post-Punk“ aufgeht, mit den entsprechenden Bandvergleichen wie DAF oder Joy Division zum Beispiel. Eigentlich eine natürliche Reaktion Dinge so zu kategorisieren und zu vergleichen…

Grade im Journalismus, wo man ja über etwas Abwesendes spricht und man durch diese Referenzen versucht es deutlicher zu machen. 

Genau. Andererseits stelle ich mir das für eine Band nicht einfach vor. Es generiert Erwartungen an euch und drückt euch einen gewissen Stempel auf. Fühlt ihr euch da nicht manchmal unter Druck gesetzt?

Also ich mag eigentlich dieses Etikett „Post-Punk“ noch am ehesten, weil ich denke, dass das so wie es definiert ist, am meisten Freiräume lässt. Post-Punk ist eine Genrebeschreibung, die sehr lose ist. Es geht nur darum, dass eine bestimmte Energie, die was mit Punk zu tun hat, relativ frei sich entfalten darf oder soll. Und wenn man sich die Geschichte des Genres mal anschaut, was man gut machen kann, zum Beispiel mit so einem Buch wie „Rip It Up And Start Again“ von Simon Reynolds, sieht man, dass das so unterschiedlich und mannigfaltig sein kann, dass ich damit eigentlich kein Problem habe. Das ist der Begriff mit dem ich am ehesten zurecht komme. Was mich immer stört, oder wo ich negative Feelings mit habe, ist wenn man halt nur mit deuschen Bands verglichen wird. Auch wenn wir in deutscher Sprache singen, ist Musik für mich etwas, das sprachliche Grenzen auch überschreiten soll. Ich empfinde mich jetzt auch nicht als „deutscher Künstler“. Das hier ist das Land in dem ich geboren und aufgewachsen wurde und deutsch ist meine Muttersprache. Das verstehe ich immer nicht, warum man dann immer nur mit deutschen Bands verglichen wird. Es geht ja auch nicht darum, dass diese Bands kacke sind oder so. Es geht mir eher darum, dass man da in Schranken denkt, die Musik überschreiten sollte. 

Oft wird dann ja auch nach Einflüssen gefragt. Wie muss ich mir das denn vorstellen, wenn ihr an eine Platte herangeht? Tun sich da spezielle Dynamiken auf? Müsst ihr euch da manchmal bremsen? Grade wenn man eigentlich auch gerne mal Genregrenzen überschreitet. 

Im Endeffekt ist das einzige, was wir festgelegt haben, als wir die Band gegründet haben, dass wir Messer heißen und dass wir sowas wie Grenzen außen vor lassen. Wir wollen uns möglichst konsequent frei halten von diesen Genregrenzen. Jetzt gibts die Band seit sechs, sieben Jahren und man merkt, dass das auch nicht immer leicht ist, weil Geschmäcker sich manchmal in andere und entgegengesetzte Richtungen entwickeln. Auch Ansprüche an Sounds können andere werden. Es wirkt manchmal unvereinbar. In den besten Momenten entsteht daraus dann ein total innovatives Spannungsverhältnis und in anderen Momenten fällt alles zusammen. Ich würde also sagen, dass es eine permanente Irritation, eine Art reißen, ist. Und das finde ich irgendwie total gut, weil das bedeutet, dass man sich immer wieder neu und selbst erfinden muss. Andererseits ist es manchmal ein großer Kraftakt.

Eure aktuelle Platte „Jalousie“ ist ja schon ein gewisse Zeit draußen. Und viele haben dazu geschrieben, dass sie den Blick auf euch und euren Sound ziemlich frei gegeben hat. Eigentlich total spannend, weil das Cover ja eine eher geschlossene Jalousie zeigt….

Naja, sie ist eher eher halb geöffnet. 

Dennoch passt das für mich auf den ersten Blick gar nicht so hundertprozentig zusammen, dass man den Eindruck entwickelt, dass ihr das offenste Album gemacht habt, seit es euch gibt, aber das Cover gefühlt erstmal gar nicht so viel davon preis geben will.

Ich finde, so wie du das jetzt beschreibst auch, einmal mehr eine Jalousie passend, weil es erstmal etwas ist, was eine Frage nach Perspektive stellt. Ist sie jetzt halb offen oder halb geschlossen? Die berühmte Frage nach dem Wasserglas. Dann ist die Frage, hängt die an einem Fenster? Offensichtlich hängt sie aber an einem schwarzen Hintergrund, irgendwie im Nichts. Wird man dadurch angeschaut, schaut man selbst durch, wird man beim durchschauen angeschaut? Es ist also vollkommen unklar, wie der Blick unternommen wird. Das heißt die Interpretation dieses Covers lässt ja schon in der Perspektive wahnsinnig viele Möglichkeiten zu. Und ich hoffe, dass sich das mit unserem Sound ähnlich verhält. Wir sind in der Band der Überzeugung, dass, wenn man ein Kunstwerk veröffentlicht, dann erst der spannende Teil beginnt. Die Interpretation der Zuhörer. Also die Frage von Perspektive und Sichtbarkeit hat Messer immer schon gestellt. Unser zweites Album hieß „Die Unsichtbaren“ und das Cover jetzt reflektiert die Frage von Sichtbarkeit und Perspektive noch einmal in einem Objekt, ähnlich wie der Titel, der das ganze unterstreicht. Auch das Booklet, dass wie ein Kunstkatalog verfährt, stellt die Objekthaftigkeit auch nochmal heraus. Und ich denke für meinen Teil, dass das mit dem Sound einhergeht. 

Das bietet jedoch auch eine gewisse Angriffsfläche. Grade wenn man, wie heutzutage oft, eher oberflächlicher an Sachen rangeht. Habt ihr das Gefühl, dass sich Leute zu wenig Zeit nehmen mit euren Sachen?

Ja (lacht). 

Löst das denn bei euch etwas aus, wenn ihr dieses Feedback bekommt? Zum Beispiel den Drang mehr zu erklären, als ihr eigentlich wollt?

Ne, das überhaupt nicht. So wie wir als Band auftreten, ist es recht eindeutig was wir einfordern. Dass es nämlich nicht darum geht schnell eine Erwartungshaltung oder ne Sehnsucht nach Klarheit zu befriedigen. Uns geht es um eine konstruktive Irritation und dass wir mit unserem Schaffen auch einfordern, dass es damit eine intensive Auseinandersetzung gibt. Das ist unser Kunstverständnis. Das würde ich auch niemals anders machen oder haben wollen, weil ich mich nicht als Unterhalter begreife, der sozusagen eine Serviceleistung abliefert. Auch wenn ich das gar nicht verwerflich oder schlimm finde, nur, das ist nicht „my cup of tea“. Deshalb glaube ich nicht, dass wir das noch protegieren sollten mit dem Prädikat „besonders wertvoll“ und in Klammern dahinter: „Bitte nehmen Sie sich ne Woche Zeit“. Das muss schon aus dem Werk selbst kommen. Und ich merke, dass das nicht in einem kommerziellen Sinne ist. Vor allem wenn man zwei Platten gemacht hat, die einen starken Hype erfahren haben. Ich bin aber gleichzeitig davon überzeugt, dass wir mit unserem Schaffen bei manchen was eingepflanzt haben sozusagen, die sich dann auch gerne die Zeit nehmen und sich weiter mit uns beschäftigen. Aber es verändert sich, das ist klar. 

Lass uns doch kurz auch über deinen Roman sprechen. Der ist vor zwei Wochen rausgekommen und heißt „Über uns der Schaum“. Kannst du uns kurz erzählen worum es geht? 

Es ist kein Krimi, auch wenn der Hauptprotagonist ein Detektiv ist. Dieser Detektiv befindet sich in einer Welt, die zeitlich und räumlich unbestimmt ist. Es gibt eine, wenn überhaupt, retro-futuristische und definitiv dystopische Stimmung, die auch eine gewisse romantische Färbung hat. Der Protagonist hat einige Probleme in dieser Welt und trauert einer Liebe nach. Seine Partnerin lebt nicht mehr. Er ist also mit der Trauer beschäftigt. Innerhalb eines Falls, mit dem er beauftragt wird, entdeckt er eine Frau, die seiner verstorbenen Partnerin sehr stark ähnelt und entwickelt sowas wie eine Obsession für sie. Und dann sterben Menschen und er ist auch irgendwie daran beteiligt, dass diese Menschen sterben. Er ist also auch mit Schuld aufgeladen und er und die Frau müssen fliehen mit dem Ziel einer Stadt die Neu-Qingdao heißt und werden dabei verfolgt. 

Irgendwie klingt das relativ düster. Bekommt man nach der Lektüre eine eher negative Sicht auf die Welt? 

Nee. Ich glaube, mir geht es nicht um einen negativen Blick auf die Welt, sondern um ein Bewusstsein für Zustände auf die Welt. Ich glaube, wenn man sich wünscht, und das ist mein Wunsch, dass mehr Menschen ein Bewusstsein für das Leid auf der Welt haben, dann ist es besser, wenn man, im Sinne einer Dystopie, eine Irritation erzeugt und ein Unbehagen bereitet. Auch um herauszufordern, dass man sich damit auseinandersetzt. Ich habe in Leipzig zum Beispiel viel mit Menschen gesprochen, die das Buch gelesen haben. Die haben alle gesagt, dass man sich manchmal erschreckt, weil man vergisst, dass das eine fiktive Welt ist. Man erkennt viele Dinge aus unserer Welt. Damit beantwortet sich die Frage. Vielleicht geht es gar nicht um einen Blick danach, sondern um eine Erkenntnis dabei, dass ganz schön viele Sachen in Schieflage und ziemlich grausam sind. Aber ich will Menschen ja nicht mit dem Buch depressiv machen, sondern es geht eher darum sie sensibel zu machen. Also eher um etwas positives, auch wenn es manchmal dunkel und schwarz ist. Das ist keine Mysanthropie oder Nihilismus. Sondern es ist ein Appell für Einfühlsamkeit und Emanzipation. 

Ich finde es ja immer wieder faszinierend, dass Menschen, die in einer erfolgreichen Band spielen, wie du, einen Roman schreibt, der dann auch wiederum so gut rezensiert wird.

Ich war sogar das erste Mal in meinem Leben auf einem Magazin-Cover. Ich hatte mir immer gewünscht, dass das mit Messer mal passiert und hab jetzt ein schlechtes Gewissen, dass es jetzt mit dem Buch so gekommen ist (lacht). 

Aber die Frage ist ja, woher nimmst du das denn immer alles? 

Ich freu mich erstmal, wenn Leute so positiv darüber denken. Ich weiß jetzt nicht, ob es irgendein Geheimnis gibt. Ich kann nur ganz pragmatisch davon sprechen, was ich mache. Und ich mache einfach. Ich denke nicht so mega lange vorher nach, ob man das bringen kann, ob das irgendwie intelligent genug ist, ob das dazu führt, dass Leute was falsches über mich denken. Ich versuche einfach mir zu bewahren unvoreingenommen ohne Angst und Zweifel an Dinge heran zu gehen. Dass das natürlich auch gefärbt ist, von Angst und Zweifel, ist klar. Das kommt spätestens in Endphasen bevor etwas veröffentlicht wird. Diese Sorge ist für mich aber nicht groß genug, dass es verhindert, dass ich mich gerne reinstürzen will. Ich glaube, es gibt schon eine Form von Rastlosigkeit, aber auch eine Form von Lust. Das ist das Wichtigste dabei. Ich hab einfach wahnsinnig Bock was zu erschaffen, weil ich über die Glücksgefühle und das Positive weiß, die damit einhergehen. Ich war immer auch Fan von Sachen. Ich habe viel gelesen, Musik gehört, Filme geguckt und Menschen verehrt, die malen. Irgendwann habe ich das Gefühl gehabt, dass ich durch eine schleichende Dynamik jemand geworden bin, der daran partizipiert. Und das ist auch was wichtiges für mich. Ich will in der kurzen Zeit in der ich lebe - das sind zwar viele Jahrzehnte, aber man ist erstmal ein wahnsinnig irritierter pubertierender Teenager, dann steckt man in irgendwelchen beschissenen Ausbildungsverhältnissen und irgendwann macht der Körper vielleicht auch nicht mehr mit - intensiv nutzen. Das führt zwar manchmal auch zu Missverständnissen, weil viele denken, ich schlafe nie und wäre voll busy. Aber ohne Witz: Ich hab voll oft Zeiten wo ich richtig viel rumhänge und entspanne. Und dann merke ich irgendwann, jetzt juckt es mich in den Fingern und ich habe Lust wieder mit irgendwas los zu legen. Ich war aber zum Beispiel vor der Buchpremiere noch in Portugal und wir sind einfach so rumflaniert. Es ist also jetzt nicht so, dass ichein  manischer, gezwungener, tugendhaft tüchtiger, deutscher Leistungsapparat bin. Ich mache auch ganz viel Müßiggang. Es gibt sicher intensive Phasen, aber manchmal mache ich auch nichts. Das ist auch wichtig und vor allem voll geil (lacht). 

Auf jeden Fall. Nichts machen steht aber jetzt erstmal nicht an, wenn ihr auf Tour geht. Wir freuen uns auf das Konzert in Trier und danken für das sehr angenehme Gespräch! 


Foto: Katja Ruge

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