Interviews
14.03.2017 Julia Nemesheimer  
Lindsey Stirling

"Bei YouTube sucht man keinen Mainstream"

​Die junge Violinistin, die mit ihrer Mischung aus klassischer Musik mit modernen Pop- und Elektro-Elementen und einer mitreissenden Tanzperformance erst YouTube und dann ein breiteres Publikum für sich gewann, spielt am kommenden Samstag, den 18. März 2017, in der Rockhal in Luxemburg. hunderttausend.de sprach im Vorfeld mit der Musikerin. 

 
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​hunderttausend.de: Deine ersten Schritte hast du bei der TV-Show „America's Got Talent" unternommen. Würdest du das wiederholen oder war das eher eine schlechte Entscheidung?

Lindsey Stirling: Für mich persönlich war das ein wichtiger Schritt in meiner Entwicklung. Es war eine große Enttäuschung, die ich damals überwinden musste, denn nachdem ich aus der Show gekickt wurde und viele negative Sachen hörte war das natürlich verletzend. Für mich persönlich war das eine wichtige Erfahrung. Wenn mich jetzt Leute fragen, ob sie zu diesen Castings gehen sollten, würde ich ihnen vermutlich davon abraten. Es gibt sicherlich Leute, deren Karriere davon profitiert, allerdings oft nur sehr kurzfristig. Insofern bin ich froh, dass ich es für meine Karriere nicht unbedingt nützlich war, aber dass ich trotz all der negativen Sachen dennoch meinen Weg gefunden habe und mich durchgesetzt habe.

Nachdem viele Leute aus dem Musikbusiness dir damals ja sagten, dass deine Musik nicht Mainstream genug ist und vermutlich niemals für eben diese große Masse funktionieren wird, weswegen dich ja etliche Labels abgelegt haben – was hat dich dazu bewogen, dennoch weiterzumachen und deinen eigenen Weg zu verfolgen?

Nachdem ich die Show verlassen habe und all diese negativen Sachen mit mir brachte, habe ich irgendwann YouTube für mich entdeckt. Und dort waren all die Dinge, die kritisiert wurden, plötzlich der Grund für meine Popularität. Hier sucht man keinen Mainstream, hier sucht man etwas Außergewöhnliches, etwas Anderes. Dadurch wurden die Videos geteilt und ich hatte Erfolg damit. Es ist sehr wichtig, dass man erkennt, dass es nicht eine einzige Art von Schönheit, Erfolg oder Coolness gibt. Man muss sich selbst treu bleiben und nur dann kann man es auch schaffen.

Du sagtest gerade selbst, dass du eher anders bist. Du lebst auf der Bühne dein Faible für Kostüme stark aus und es ist relativ einfach, dich in die Nerd-Schublade zu stecken. Stört dich das oder ist das eher etwas, womit du sehr gut umgehen kannst?

Nein, überhaupt nicht. Ich akzeptiere diesen Fakt, dass ich etwas nerdig bin, sogar mehr als die meisten Menschen wissen. Die Leute, die mit mir gerade auf Tour sind, wissen das alles. Ich bin froh darüber, damit kann man auch anderen Menschen eine Freude bereiten.

Kommen wir zur Musik: Welche Rolle hast du eigentlich beim Songwriting? Welcher Teil davon wird von dir erschaffen oder steckt dahinter ein großes Team?

 Ich habe mit vielen verschiedenen Leuten zusammengearbeitet für die vergangenen zwei Alben. Dabei spielen Producer eine große Rolle, teils auch Songwriter, wobei ich bei allen Sessions dabei sind und Lyrics wie auch die Violin-Parts steuere ich, teils unterstützt von anderen Menschen, selbst bei.

Auf der Bühne ist es ja nun so, dass du dich wirklich viel bewegst, du tanzt und spielst gleichzeitig Geige. Das muss jede Menge Kondition und auch Konzentration erfordern. Was tust du damit das alles klappt?

Inzwischen mach ich gar nicht mehr so viel Sport, aber ich will natürlich in Form bleiben. Da gehe ich entweder wandern, tanze oder bin auch mal im Fitnessstudio. Bezüglich der Musik und dem gleichzeitigen Tanzen ist das natürlich unglaublich viel Übungssache. Zuerst lerne ich die Melodien so lange, bis ich über die Griffe gar nicht mehr nachdenken muss und sie automatisch kommen, das gleiche folgt mit dem Tanz und dann werden beide langsam zusammengeführt.

Du coverst ja auch viele Songs oder arbeitest mit anderen Künstler*Innen zusammen. Wie suchst du denn aus, welchen Liedern du dich widmen möchtest?

Ehrlich gesagt sind es meist Lieder, die ich selbst mag. Hin und wieder sind es aber auch Songs, die meine Fans gerne hören würden und je nachdem gehe ich dann auch auf solche Anfragen ein. Jetzt zum Beispiel arbeite ich gerade an einem „Die Schöne und das Biest"-Medley passend zum kommenden Film, weil ich den wirklich sehr mag.

Würdest du jetzt nicht von deiner Musik leben können, was glaubst du, würdest du heute stattdessen machen?

Ich bin zum College gegangen, um mich zum Therapeuten ausbilden zu lassen, also würde ich vermutlich mit Kindern und Jugendlichen zusammenarbeiten. Außerdem würde ich gerne tatsächlich irgendwann Mutter werden, das wäre also auch eine Möglichkeit wie mein Leben aussehen könnte.

In letzter Zeit sind auch einige traurige Dinge passiert, dein Vater ist kürzlich verstorben, an der Stelle noch mein herzliches Beileid. Aber das ist ja nicht das erste Mal, dass du mit dem Tod einer nahestehenden Person konfrontiert wirst. Wie schaffst du es da, weiterzumachen und jetzt auf Tour zu sein?

Die letzten anderthalb Jahre sind wirklich unglaublich schwierig für mich gewesen. Gerade der Tod meines Vaters hat mich mitgenommen. Ich bin die Person, die Frau, die ich heute bin, vor allen Dingen wegen ihm und natürlich auch meiner Mutter. Ich bin ihm so ähnlich, ich habe von ihm die Liebe zum Entertainment übernommen. So kurz nach seinem Verlust auf Tour zu gehen und vor allen Ding auch meine Mutter allein zu lassen, war sehr schwer. Doch wir haben darüber geredet und uns dazu entschlossen, dass ich das machen soll, weil er es so gewollt hätte. Er war so stolz auf das, was ich mache. Und jetzt ist er ja trotzdem noch irgendwie an meiner Seite und ähnlich fühle ich das auch mit Gavi (langjähriger Begleitmusiker Sterlings, der im November 2015 verstarb, Anm.d.R.). So abgedroschen das auch klingen mag, ich glaube, dass beide meine Schutzengel sind, die mich beschützen und mir bei Entscheidungen helfen.

Auch hast du ziemlich harte Zeiten durchgemacht, als du unter Magersucht und Depressionen gelitten hast. Darüber hinwegzukommen und weiterzumachen ist richtig schwer. Ich stelle es mir nochmal schwieriger vor, wenn man dabei auch noch in der Öffentlichkeit steht und einem viele fremde Menschen zusehen und auch noch in den sozialen Medien kommentieren.

Es ist wirklich schwer, die Linie zu ziehen zwischen dem was gut für einen ist und was zu extrem wird. Nehmen wir beispielsweise das Thema Ernährung, da stellt sich mir oft genug die Frage: Ernähre ich mich ausreichend und gesund oder übertreibe ich es wieder, sodass es ins Ungesunde umschlägt? Diese Balance zu finden ist sehr schwer. Das muss man erstmal schaffen und insofern achte ich auf meinen Körper, versuche aber nicht ins Extreme zu gehen. Zum Glück habe ich „Bodyshaming" im Internet nie nah an mich rangelassen. Schaut man sich kürzlich diese ganzen negativen Kommentare zu Lady Gaga's Auftritt beim Superbowl an, dann kann ich dazu nur den Kopf schütteln. Sie sah fantastisch aus, so sehen normale Körper halt aus. Insofern bin ich ganz froh, dass ich da nicht drauf achte, sondern vor allen Dingen auf das fokussiert bin, was mir selbst guttut.

Um nochmal zu weniger ernsten Themen zu kommen, eine Tournee ist immer anstrengend. Gibt es Rituale für dich, mit denen du dich entspannen kannst und etwas runterkommst?

Ich meditiere viel um Kraft zu tanken, gerade auch für das Konzert am Abend. Und an freien Tagen, wenn ich eigentlich keine Lust habe, aufzustehen und viel zu machen, dann raffe ich mich doch auf und schaue mir mit meiner Crew die Stadt an, in der wir gerade sind, bin an der frischen Luft und solche Dinge. Also aktiv zu sein, das hilft mir wirklich.

Und hast du schlechte Angewohnheiten, wenn du auf Tour bist, zum Beispiel Tonnen von FastFood?

In Europa bekomme ich von meinen Fans so viel Schokolade! Und das ist großartig, hier ist Schokolade wirklich das allerbeste. Da sitze ich oft in der Garderobe und futtere ziemlich viel davon.

Vielen Dank für deine Zeit und das Beantworten der Fragen! Ich freu mich sehr auf das kommende Konzert am 18. März in der Rockhal.

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