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17.11.2019 hunderttausend.de Veranstalter
Mit Georg Büchners „Woyzeck“ glänzt derzeit die Bürgersparte des Trierer Theaters im Studio

Wahnsinnig gut

​​Unter der Leitung von Nina Dudek hat das Bürgertheater ihre Interpretation von Büchners "Woyzeck" auf die Theater-Bühne gebracht. hunderttausend.de blickt auf einen Abend zurück, der die Zuschauer nachdenklich und betroffen zurückließ.​

 
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​Kein leichter Stoff, und schon gar keine leichte Antwort auf die Frage, ob „Woyzeck“ schuldig sei? „Wer tötet, ist schuldig“, lautet das Fazit eines Oberstufenschülers der St. Matthias-Schule aus Bitburg, der an diesem Abend mit rund 40 Mitschülern und in Begleitung mehrerer Lehrer zahlenmäßig das Publikum bestimmt. Bei der Abstimmung im Nachgespräch plädieren allerdings ebenso viele für „nicht schuldig“ oder enthalten sich der Stimme. Das mag daran liegen, dass sie Woyzecks Dilemma mit dramatischem Ausgang - vor allem eins - sehr betroffen macht.

Regisseurin Nina Dudek lässt das Publikum auf seinem Platz - zum Zuschauen verdammt, wo man doch allzu gerne dem „armen Menschen“ Woyzeck (herausragend gespielt von dem erst 17-jährigen Daniel Philipp Schatz) helfen würde. Stattdessen fühlt man sich wie ein Gaffer in nächster Nähe zum Unglücksort - und leistet passiv Beihilfe bis zum bitteren Ende. Zum Vergnügen ist das nicht, soll es auch nicht sein - gleichwohl vergeht die rund 90 Minuten dauernde Aufführung sehr zügig.

Von Beginn an, als Woyzeck wahnhaft und verstört mit Andres (Heiko Gode) im Wald erscheint, halten sich dort nicht nur die beiden auf. Auch Woyzecks Geister werden für den Zuschauer sichtbar - und nehmen bereits den Schluss vorweg. Woyzeck kämpft permanent - ums Überleben, um seine geliebte Marie (Laura Cinderella Morin), um Teilhabe an einer Gesellschaft, die im wahrsten Sinne des Wortes von oben auf ihn herabschaut, wie etwa der Hauptmann (arrogant und pseudo-schlau interpretiert von Fabian Barte), der mit seiner Moral-Definition („Moral ist, wenn man moralisch ist“) für Lacher sorgt. Intellektuell wirft Lisa Wächter als „Doctor“ mit lateinischen Begriffen um sich. Ihre Überzeugung, dass der Schließmuskel dem Willen unterstellt wäre, bringt den Wahnsinn hinter ihrer Wissenschaft bestens zum Ausdruck. Den Verstand verliert darüber aber nur einer: Woyzeck. Immer wieder lassen sich Stimmen und Textfetzen aus dem Off vernehmen - mit fortschreitender Krankheit Woyzecks nehmen sie zu.

So wundert es nicht, dass neben Büchners Dramenfragment Sara Kanes „Psychose“ als inhaltliche Orientierung herangezogen wurde, um sich der Frage zu nähern, wie psychisch kranke Menschen denken. Überhaupt wird im Nachgespräch zum Stück deutlich, dass Dudeks sehr gelungene Inszenierung das Ergebnis einer zehnwöchigen Gruppenarbeit ist, in der einerseits gemeinsam intensiv geprobt und andererseits jedem der fast 30 Laiendarsteller im Alter von 5 bis 80 Jahren eigene Freiräume gewährt wurden, (s)eine Rolle(n) zu gestalten. Im Verlauf des Stücks habe so jede Figur eine eigene Entwicklung, erklärt Dudek das in der Aufführung sichtbare Ergebnis dieses Aushandlungsprozesses.

Manchmal führt das auch zu einer gegenteiligen Auslegung des Textes, wie beispielsweise bei der Rasierszene: Statt dem Hauptmann den Bart abzunehmen, klebt Woyzeck ihm einen an. „Ich hab' halt zu wenig Bartwuchs“, sagt Fabian Barte hierzu mit einem Augenzwinkern. Gleichwohl unterstreicht dies im und für das Stück jedoch den Schein, jemand zu sein, der er nicht ist.

Eine Vielfalt an Schauplätzen ermöglicht auch das Bühnenbild - schmale Baumstämme, mehrere Blechtonnen, die stehend und rollend sowie in Röhren hochhausartig gestapelt bespielt und als akustische Ausdrucksträger verwendet werden, und nicht zuletzt zentral das schwarze Wasserbecken, in dem Marie, ohnehin durch zahlreiche Messerstiche tödlich verletzt, als Wasserleiche endet.

Mit anhaltendem und absolut verdientem Applaus honoriert das vorwiegend junge Publikum die bemerkenswerte Leistung dieses generationenübergreifenden Ensembles. Einhelliges Fazit am Ende: wahnsinnig gut!

Weitere Aufführungen sind am 20., 25. und 27. November, jeweils um 19:30 Uhr im Studio des Theaters. Karten gibt es online auf www.theater-trier.de, per Mail an theaterkasse@trier.de sowie telefonisch unter 0651/718-1818.  



Foto: Theater Trier

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