Interviews
21.11.2018 Jana Ernst  
Feine Sahne Fischfilet

Noch nicht komplett im Arsch

​​An gleich zwei Abenden steht die Punk-Band Feine Sahne Fischfilet in der Europahalle in Trier auf der Bühne. Vor den Konzerten am Donnerstag und Freitag, 22. und 23. November 2018, hat hunderttausend.de sich mit Gitarrist Christoph Sell über Musik und Politik unterhalten.​

3-Oe1XzxCw8
Video

​hunderttausend.de: In den letzten Jahren ist Feine Sahne Fischfilet zu einer der bekanntesten Punkbands Deutschlands geworden. Wie fühlt sich dieser Aufstieg an?

Christoph Sell: Wir sind schon seit ungefähr zehn Jahren unterwegs und spielen viele Konzerte. Wir haben uns echt den Arsch abgetourt, könnte man so sagen. Hatten aber auch immer Bock drauf! Eigentlich haben wir jedes Autonome Zentrum und jedes Jugendzentrum in Deutschland von innen gesehen. Klar ist es so, dass das alles durch gewisse Zufälle und Gegebenheiten größer geworden ist, aber wir haben auch immer viel darauf hingearbeitet. Natürlich haben Dinge wie die Erwähnung im Verfassungsschutzbericht dabei aber auch eine Rolle gespielt. Gleichzeitig haben wir mit Audiolith ein tolles Label gefunden, das uns aus Hamburg super unterstützt. Mit unserem aktuellen Album waren wir gerade auf Tour und haben sehr viel Spaß damit. Natürlich fühlt es sich toll an, wenn die Verkaufszahlen so gut sind. Aber es bedienen sich einige Aspekte gegenseitig.

Wie du schon angesprochen hast, wurdet ihr in Mecklenburg-Vorpommern einige Jahre als linksextreme Band im Verfassungsschutzbericht erwähnt, erst seit 2015 taucht ihr nicht mehr darin auf. Eure Bekanntheit ist zu einem großen Teil gerade auf diese Kontroversen zurückzuführen, die ihr ausgelöst habt. Ihr werdet sicher oft angefeindet.

Ja, das ist aber eine Sache, die uns schon immer passiert ist. Wir kommen aus der kleinen Punk- und Antifa-Szene in Greifswald und Umgebung. Da gibt es ganz viele Nazi-Strukturen auf dem Land, eine starke rechte Szene und wenige Punkbands, die sich so stark positionieren, dass es die Nazis nerven könnte. Dementsprechend gibt es auch kaum eine Zivilgesellschaft, die gegen die rechte Szene aktiv wird. Mit diesen Anfeindungen hatten wir also immer zu tun. Durch das Internet und Social Media sind die Anfeindungen natürlich noch krasser geworden. Man will sich eigentlich nicht daran gewöhnen, aber tut es dann doch irgendwann. Man muss auch dazu sagen, dass wir ein tolles Netzwerk um uns herum haben: Freunde, Familie und Leute mit denen wir schon lange zusammenarbeiten, wie zum Beispiel unser Label oder das Management. Für uns waren die Anfeindungen also nie so schlimm, wir wollen eher mit unseren Projekten dagegenhalten. Zur Landtagswahl bei uns in Mecklenburg-Vorpommern haben wir die Kampagne „Noch nicht komplett im Arsch“ gestartet. Es ging darum, die Leute vor Ort zu unterstützen, die sich auf dem Land gegen Rassismus und Neonazis einsetzen. Diesen Menschen wollen wir ein Sprachrohr geben, oder ein Ohr, denn sie sind richtig am Arsch und haben oft niemanden um sich herum. Wenn die von örtlichen Neonazis angefeindet werden, dann ist das wirklich gefährlich: von Einschüchterungsversuchen bis zu tätlichen Übergriffen. Wir selbst haben über die Jahre einen Blick dafür entwickelt, aber natürlich ist da stetig eine hohe Bedrohungslage.

Wie wurdet ihr selbst denn schon bedroht oder angegriffen?

Gerade vor einem Jahr wurde unser Proberaum angegriffen. Wir haben uns in Greifswald über die Jahre selbst einen Proberaum aufgebaut, den hatten wir früher nicht. In so einer kleinen Stadt kriegen die örtlichen Neonazis das natürlich schnell mit. Dann wurde die Scheibe eingeschlagen und Buttersäure reingeworfen. Sie haben auch versucht den Raum anzuzünden, aber das hat zum Glück nicht so gut geklappt. Aber sie haben es versucht! Vor ungefähr sieben Jahren wurden auch schon Konzertorte in kleinen Dörfern mit Buttersäure angegriffen - und Autos von Bandmitgliedern. Man merkt also: Diese Neonazis in Mecklenburg-Vorpommern hantieren gerne mit Buttersäure! Wir kennen sowas inzwischen. Eine Zeitlang ist es jetzt ruhig, aber das wird wieder passieren.

Ihr setzt euch ganz klar schon lange gegen Rechtsextremismus ein, gleichzeitig wird euch immer wieder ein gewisser Linksextremismus vorgeworfen. Gerade wegen Liedern wie Wut oder Staatsgewalt, die ja auch teilweise schon ziemlich lange her sind. Was sagt ihr zu solchen Vorwürfen?

Erstmal halte ich die Bezeichnungen Links- und Rechtsextremismus für ein großes Problem. Wir sind eine linke Band und das finden wir auch richtig. Für mich persönlich heißt das, dass ich für eine Gesellschaft stehe, die keinen Bock auf Rassismus hat. Ich wünsche mir eine Demokratie, die noch mehr auf Mitbestimmung setzt: Wir haben gerade eine parlamentarische Demokratie, das geht schon in die richtige Richtung. Aber es geht noch besser. Wir wollen letztendlich nur eine bessere Gesellschaft – eine, die auf Humanismus geerdet ist. Dementsprechend gibt es aber in unserer heutigen Gesellschaft ganz viele Sachen, die für uns falsch laufen. Dazu gehört in jedem Fall Polizeigewalt. Gerade im Hinblick auf Dessau auch der Tod von Oury Jalloh, der in einer Polizeizelle ermordet wurde. Aber auch deutsche Rüstungsexporte in Länder wie die Türkei. Diese Dinge lassen uns nicht kalt und wir werden immer wieder sagen, dass wir das scheiße finden.

Natürlich wird ein Liedtext nun aber anders formuliert als ein journalistischer Pressetext. Lieder wie Staatsgewalt spielen wir inzwischen nicht mehr, weil sie uns musikalisch nicht mehr so zusagen. Inhaltlich finde ich das aber immer noch völlig richtig. Bei Staatsgewalt geht es darum, dass Jugendliche auf Demos Opfer von Polizeigewalt werden. Natürlich wird man da auch handfester in seinen Äußerungen. Ich lehne es aber ab, mit Leuten gleichgesetzt zu werden, die homophob, antisemitisch oder Neonazis sind. Wir wollen etwas ganz anderes: Wir wollen eine viel schönere Gesellschaft und keine Diktatur. Deshalb sehe ich diese Gleichsetzung als ein großes Problem in unserer Gesellschaft an. Ganz klar sind wir aber eine linke Band, die sagt, dass man sich verteidigen soll, wenn Neonazis auf der Straße Menschen angreifen. Wie wichtig das ist, hat auch die Geschichte deutlich gezeigt. Und leider kann man sich nicht auf die Polizei verlassen, weil sie oft gerne wegsieht. Das ist ein Problem. Deshalb verlassen wir uns nicht auf den Staat, sondern sind unabhängig: so auch mit unserer Kampagne „Noch nicht komplett im Arsch“, bei der wir nicht mit Parteien zusammengearbeitet haben.

Viele staatliche Strukturen, wie der Verfassungsschutz, werden traditionell eher von rechts gesteuert und das ist schon immer so gewesen. Er wurde Anfang der 50er Jahre aufgebaut, als teilweise noch ehemalige Nazis dabei waren. Mit dieser sehr konservativen Tradition sind ihm unabhängige linke Bands, die da hingehen wo es wehtut, ein Dorn im Auge. Wir sagen immer, dass wir uns wehren, und das ist für die Leute dann gewaltbereit. Aber das ist für uns in Ordnung. Wir wissen, wofür wir stehen und dass es das Richtige ist. Wir lassen uns nicht kriminalisieren und in eine Ecke drängen.

Auf allen euren Alben finden sich nicht nur politische Songs, sondern auch einige private. Plant ihr diese Mischung vorher?

Nee, das planen wir nicht. Die Texte unserer Lieder entstehen immer aus Erfahrungen und Erlebnissen. Das sind persönliche Sachen, das sind politische Sachen, das sind persönlich-politische Sachen. (lacht) Gerade unser neues Album Sturm & Dreck ist wie ein Tagebuch der vorangegangenen anderthalb Jahre. Dazu gehört es dann auch, dass Monchi einen Text schreibt für den Song Suruç. Darin geht es um die süd-türkischen – oder nord-kurdischen – Städte Suruç und Kobane. Kobane wurde vom IS zerstört, weil es dort kurdische Kräfte gab, die sich gewehrt haben und demokratische Strukturen schaffen wollten. Sie wurden vertrieben und die Stadt musste wiederaufgebaut werden. Als „MV für Kobane“ haben wir – zusammen mit vielen Einzelpersonen aus Mecklenburg-Vorpommern - diesen Wiederaufbau mit Hilfsgütern unterstützt.  Wir hatten keine Ahnung wie das geht, aber die Sachen einfach so da runtergefahren. Das war auch noch nicht komplett im Arsch. Zu der Zeit, als Monchi gerade in der Stadt war, gab es dort einen Selbstmordanschlag, bei dem über 30 Menschen gestorben sind. Das hat er erlebt und stand dort zwischen den Leichen und schreibt es in dem Song ziemlich eindringlich auf.

Aber wir haben auch Lieder, in denen es um Trennung und Liebe geht, wie bei Alles Anders, oder Alles auf Rausch, das unsere Zeit als Band beschreiben soll. Oder Angst frisst Seele auf, das einer Freundin Kraft geben soll, die sehr oft von Neonazis bedroht wird und auch schon Morddrohungen erhalten hat. Es gibt also sehr viel Verschiedenes und wir sind jetzt schon wieder am Sammeln für das nächste Album.

Ihr wart eigentlich den ganzen Sommer zusammen unterwegs, habt selbst Konzerte gegeben, seid als Vorband der Toten Hosen aufgetreten oder habt mitgeholfen #wirsindmehr zu organisieren. Ist das nicht wahnsinnig anstrengend?

Ja, klar ist das anstrengend. Aber wir machen das wahnsinnig gerne und haben manchmal sogar das Problem, dass wir uns ein Projekt nach dem anderen vornehmen. Wir sind schon ein bisschen süchtig danach, viel zu machen. Gleichzeitig studiert der ein oder andere von uns auch noch nebenbei. Allerdings können wir inzwischen alle ganz entspannt von unserer Musik leben, während andere Leute acht Stunden am Tag zur Arbeit gehen müssen. Wir sind insofern freier, dass wir sozusagen selbstständig sind. Wir machen zwar sehr viel, aber haben den ganzen Tag Zeit dafür. Klar, muss man aufpassen, dass man sich nicht kaputt tourt, aber das kriegen wir ganz gut hin. Es ist manchmal anstrengend, aber es ist auch richtig und cool so viel zu machen. Es ist unser Hobby zum Beruf geworden. Wir sind sechs Leute und haben alle viel Energie – die muss auch irgendwie raus. (lacht)

Eure Tour ist fast komplett ausverkauft und ihr gebt sogar drei Zusatzkonzerte, unter anderem hier in Trier. Wie trefft ihr denn so eine Entscheidung?

Wir haben einen Booker des Vertrauens, der hat gesagt: „Ich würde es geil finden nochmal was in Trier zu machen.“ Da dachten wir, krass, dass die Nachfrage da so groß ist und hatten total Bock. Trier ist eine schöne Stadt. Ich muss immer gleich an Karl Marx denken – und an Wein. (lacht) Und so kommt es dann, dass wir eine Doppelshow in Trier in der Europahalle spielen. Wir freuen uns mega auf die beiden Tage. Aber da sind ja auch noch Tickets zu haben soweit ich weiß.

Eine letzte Frage habe ich noch, um die mich zwei Studenten und Fans gebeten haben: Was denkt ihr über die Französische Revolution?

(Lacht.) Da muss ich natürlich erstmal sagen, dass jeder von uns im Detail bestimmt etwas anderes darüber denkt. Weil wir uns auch nicht so oft über die Französische Revolution unterhalten. Ich selbst habe ja tatsächlich Geschichte studiert. Ich finde, dass in der Französischen Revolution viele demokratische Grundrechte und Menschenrechte vorangebracht wurden. Sie war sehr wichtig für eine Neuordnung der Gesellschaft in Frankreich und ganz Europa. Es ist beeindruckend, wie die Menschen sich gegen den herrschenden Adel gewehrt haben und das Feudalsystem gestürzt haben. Die Französische Revolution ist zwar schon ewig her, aber wichtig ist, für welche Grundrechte gekämpft wurde: Freiheit, Frieden, Mitbestimmung und Gleichberechtigung. Ich würde also sagen, dass sie eines der wichtigsten Ereignisse der neueren Geschichte war. Ah, und der berühmte  Sturm auf die Bastille, welcher ja auch in der Malerei sehr berühmt dargestellt wurde.  Nicht zu vergessen! Das waren revolutionäre Ereignisse die mir dann nach und nach einfallen und so herausragende Wichtigkeit in der Geschichtsschreibung haben.​

Vielen Dank Christoph, für das ausführliche Interview! Wir wünschen euch viel Spaß bei den verbleibenden Konzerten eurer Tour und natürlich vor allem bei den zwei Terminen in Trier.


Der Termin am Freitag, 23. November 2018, ist ausverkauft. Für das Zusatzkonzert am Donnerstag, 22. November 2018, gibt es noch Karten.
​​​​​​

Foto: Andreas Hornoff

Bildgalerie



Karte anzeigen