Interviews
07.04.2016 Vincenzo Sarnelli Veranstalter
Gunnar Schröder von Dritte Wahl im Interview

"Das ist tief drin"

​Die Rostocker Punk-Band Dritte Wahl ist mittlerweile im 28. Jahr unterwegs. Im Rahmen ihrer "Geblitzdingst"-Tour kommen sie am 08. April 2016 in den Mergener Hof. hunderttausend.de sprach im Vorfeld mit Sänger und Gitarrist Gunnar Schröder (Foto: Mitte) über ihre Herkunft, die politische Seite der Band und über den Film "Men in Black". 

 
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hunderttausend.de Hallo Gunnar, Eure aktuelle Platte und die Tour heißen "Geblitzdingst". Wer hat denn da zu viel "Men in Black" geschaut?

Gunnar Schröder: (lacht) Ich hab drei Jungs zuhause und mit denen musste ich dann natürlich nacheinander immer "Men in Black" gucken. Und ich würde schon sagen, dass das Lieblingsfilme von mir sind. Also, da hab ich das schon her, ganz klar. 

Es steckt ja aber noch mehr hinter dem Namen. Auf dem Album geht es um Wehmut, Rückblick, Politik und einiges mehr. Wie interpretiert Ihr denn das "geblitzdingst" Werden im Hinblick auf eure Musik?

Es ist schon so, wie es der Refrain des Titelsongs auch meint: "Das wär halb so schwer,
wenn ich geblitzdingst wär." Manchmal wäre es einfach geil, wenn man den Apparat hätte und sich den vor die Nase hält und dann das ein oder andere Private oder Politische einfach mal vergessen könnte. Urlaub für den Kopf sozusagen. 

Was wäre denn das, was Du am liebsten ausblenden würdest?

Naja, die politische Lage grade, zum Beispiel den Deal mit der Türkei und so. Das macht einen schon sehr traurig, wenn man sieht, was auf der Welt derzeit passiert. Da weiß man ja gar nicht, wo man anfangen soll. Da ist alles verkorkst. Schlimm. 

Ihr eröffnet euer Album im ersten Song direkt mit einer sehr tiefgreifenden Frage. Da fragt der Mann im Spiegel: "Bist Du glücklich?" Und? Seid Ihr glücklich?

Och, doch. Ich glaube schon. Als Dritte Wahl auf jeden Fall. Wir haben viel erreicht und alles das übertroffen, was wir uns damals vorgestellt haben, als wir angefangen haben. Mehr geht natürlich immer, da brauchen wir nicht drüber reden. Ich würde auch in ausverkauften Stadien spielen, aber für das, was wir reingesteckt haben, sind wir sehr zufrieden. Und privat bin ich auch glücklich, aber jeder kennt das doch, dass man mal Momente hat, wo man denkt, dass da eigentlich noch was kommen muss. Ich glaube, das ist ja auch das, was den Menschen treibt, dass er nie so ganz zufrieden ist, sondern immer irgendwas fehlt. 

Ich habe das Gefühl, dass es auf Eurem Album auch um das Zurückerinnern an alte Zeiten geht. Und um den Alltagstrott, in dem Ihr euch heute befindet. Ist das die Bürde des Älterwerdens als Punk-Band, dass man irgendwann eben auch nicht mehr so Punk sein kann, wie man gerne würde?

Das ist, glaub ich, ganz normal. Das ist jetzt auch kein punkrockspezifisches Problem. Das haben alle. Je älter man wird, auf umso mehr Dinge kann man zurück blicken. Man denkt manchmal sicher auch ein bisschen verklärt an die Zeiten in der Vergangenheit. Man sieht dann die nachteiligen Dinge nicht so, sondern nur das Positive. Dinge wie Freiheit und so. Das tauscht man im Laufe seines Lebens so ein bisschen gegen Verantwortung ein. Ich glaube, dass sind Fragen, die stellt sich jeder immer wieder mal. Ob man mit seinem Job nicht mehr zufrieden ist, oder sonst was. 

Ihr thematisiert das ja auch ein bisschen in "Immer auf der Reise", wo es heißt: "Manchmal kommt der Moment, wo das Herz wieder brennt, so wie früher, so wie es damals war." Erzählt uns doch mal ein paar Anekdoten von früher. Was sind das für Momente gewesen, an die Ihr denkt, wenn das Herz brennt? 

Naja, da gibts ja schon viele Sachen. Ich denke sehr oft daran zurück, als unser damaliger Bassist noch da war. Der ist sehr früh mit 35 Jahren an Krebs gestorben. Er war mein bester Freund. Und wenn wir heute spielen und volle Läden haben, dann würde ich mir wünschen, dass er noch ein bisschen dabei wäre und mit ansehen könnte, was wir geschaffen haben, auch nach seinem Tod. Der Song ist schon eher traurig, es geht weniger um glückliche Momente als um Abschied und sowas. Aber du hast auch recht, die zweite Strophe, da geht es um Kumpels treffen und so. Wenn man in Rostock aufwächst, dann ist es so, dass viele Leute zum Beispiel der Arbeit hinterher ziehen und so. Von meinen alten Freunden wohnt fast keiner mehr dort. Ich selbst wohne ja auch seit ein paar Jahren in Münster. So ist das Leben halt. Und manchmal sehnt man sich dann schon danach, alle nochmal zu treffen. Und meistens schafft man es nie, alle gleichzeitig zu treffen. Man kennt das ja (lacht). 

Der Tod Eures Bassisten Marko Busch ist ja mittlerweile über zehn Jahre her. Er ist bei Euch aber noch sehr präsent. Kannst Du rückblickend sagen, ob sein Tod Euch als Personen und als Band verändert hat? Unabhängig natürlich von der Trauer. 

Ja, das hat sehr viel verändert. Erstmal hat mich sehr bewegt, wie viele Leute Anteil daran genommen haben. Selbst in der Zeitung "RockHard" stand etwas davon drin. Viele Leute haben uns geschrieben und ermuntert, dass wir weiter machen sollen damals. Auch, dass seine Familie uns so beharrlich gesagt hat, dass wir in seinem Sinne weiter machen sollen. Es war eine traurige, aber auch bewegende Zeit. Viele Leute haben uns Kraft gegeben. Diese Erfahrung wird ein Leben lang bleiben. Das hat natürlich auch ganz viel mit unseren Liedern zu tun. Das ist ganz tief drin. 

Lass uns über Eure Herkunft sprechen. Ihr kommt aus Rostock. In vielen Interviews werdet Ihr darauf angesprochen, dass ihr als Band im Osten groß geworden seid. Ist das was, was Euch stört, dass ihr damit immer wieder konfrontiert werdet?

Ich finde es normal und gut, dass man die Sachen nicht vergisst, die in dieser Zeit waren. Zum Beispiel in der Zeit, wo die Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen waren, da war das schon anstrengend teilweise. Die Leute dachten damals, in Rostock wohnen nur Nazis. Wenn wir dann irgendwo spielten, hatten viele die Befürchtung, da kommen Nazis zu den Konzerten und so. Das ging dann irgendwann soweit, dass es in den Interviews gar nicht mehr um Musik ging. Sondern wir ein politisches Statement nach dem anderen ablassen mussten. Das war auch ein bisschen anstrengend. Wenn ich Politik machen wollte, dann hätte ich einen anderen Weg gewählt als Musik. Mit Musik kann man Menschen aufrütteln und ihnen das Gefühl geben, dass sie nicht alleine sind mit ihrer Meinung, aber viel mehr erreicht man auch nicht. Das war damals, wie gesagt, anstrengend. Heute, in einer Zeit wo wieder Flüchtlingsheime brennen, finde ich das wichtig, auch daran zu denken, wie es damals war. Man darf auch die DDR nicht vergessen. Die wird von vielen Leuten im Osten nämlich ziemlich verklärt. Das ist auch schlimm. Viele vergessen, wie scheiße das damals war. Die sehen dann nur die sichere Arbeit und den Kindergartenplatz und Brötchen für fünf Pfennig. Das ist dann alles wichtiger, als die Freiheit, an die man sich so schnell gewöhnt. Die will heute auch keiner mehr hergeben. 

Man merkt, Ihr seid auch eine politische Band. Das sieht man an Euren Texten und auch am Drumherum. Ihr achtet beim Merchandise zum Beispiel auf FairTrade-Artikel. Seht ihr Euer politisches Engagement in erster Linie als Ausdruck Eurer Ansichten, oder ist das vielleicht auch eine Verantwortung, die Ihr als Band tragt und Dinge Euren Fans vorlebt?

Eigentlich beides. Wenn man das Eine singt, dann kann man nicht das Andere tun. Für mich ist das ein Thema, was schon ganz lange in mir rumort. Dass man eben nicht die Waren kauft, die von Kindern in Bangladesh zusammen genäht worden sind. Wir versuchen das so fair wie möglich. Alles geht leider nicht. Das ist zum Teil sehr kompliziert oder viel zu teuer. Aber weil wir es wichtig finden, machen wir soviel, wie geht. Wir müssen uns auch an unseren Songs ein Stück weit messen lassen. 

Zurück zur Tour und der Platte. Euer Album "Geblitzdingst" ist sogar in die Charts eingestiegen nach dem Release Anfang 2015. Platz 23. Was war das damals für ein Gefühl? 

Wir haben uns schon gefreut. Letzten Endes war es uns auch ein bisschen klar, dass es kommt, weil wir auch vorher schon erfolgreiche Touren gespielt haben. Und dann haben wir unsere Platte auch im Januar veröffentlicht und nicht im Herbst, wo man keine Chance hat, in die Charts zu kommen mit so einer Band, wie wir es sind.

Platz 23 ist ja schon nicht schlecht…

Das ist schon sehr cool, ja. Und das auf unsere alten Tage (lacht). Wir sind jetzt im 28. Jahr. Das ist schon ein großes Kompliment an uns. Wir haben echt treue und tolle Fans. Das ist schon 'ne große Gnade. 

Ich habe gelesen, Ihr spielt oft ohne Setlist. In Trier auch? 

Nee, wir machen das seit der letzten Platte nicht mehr. Das ist alles ein bisschen komplizierter geworden mit den Keyboards und so. Wir haben mittlerweile 'ne feste Setlist. Macht auch Spaß. Das vorher hatte aber auch seinen Charme. Unsere Techniker sind sehr froh, dass wir das nicht mehr machen (lacht). Die wussten nie, was passiert. Für die ist es jetzt einfach, mit uns zu arbeiten. Früher haben wir halt oft auf Zuruf gespielt. Jetzt kann man sich halt auch Gedanken machen und eine kleine Dramaturgie aufbauen und sowas. Es hat alles Vor- und Nachteile.

Wenn man sich aber einen speziellen Song wünschen würde?

Ach, wenn es grade passt, dann streuen wir schon mal einen ein. Vorausgesetzt, wir haben ihn drauf. Wir haben immerhin neun Platten gemacht. Da kann man nicht jeden Song aus dem Stegreif spielen. Da müssen wir auch immer schauen. 

Gunnar, vielen Dank für das Gespräch und viel Spaß beim Konzert in Trier!

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