Interviews
16.05.2019 Janine Köppel  
Broadway Filmtheater

"Das Schwierigste für mich war die Begegnung mit mir selbst"

​Mit gerade einmal 14 Jahren unternahm der gebürtige Hamburger seine erste große Radtour - und zwar nach Trier. Am Sonntag kehrt Anselm Nathanael Pahnke zurück und besucht das Broadway Filmtheater. Im Gepäck hat er seinen Film Anderswo – Allein in Afrika, in dem er einmal komplett durch Afrika reist – mit dem Fahrrad. hunderttausend.de wollte wissen, wie es dazu kam.

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hunderttausend.de: Mit dem Fahrrad durch Afrika, 15.000 Kilometer, 414 Tage – die erste Frage, die sich mir stellt, ist: warum?

Anselm: Damals war ich gerade in meinem Studium, am letzten Tag meiner Bachelorarbeit. Ich habe immer wieder in die Ferne geschaut, aber auch gemerkt, dass diese Informationen, die ich da in meiner Arbeit umwandle – Geophysik – alle theoretisch waren und ich keine emotionale Verknüpfung zu dem hatte, was ich tat. Mir war es ein großes Anliegen danach praktische Erfahrungen zu machen - aber halt nicht alleine. Ich habe dann im Internet immer wieder geschaut, ob irgendwelche Reiselustigen nach Afrika wollen, weil das der Kontinent war, den ich am wenigsten kannte. Das hat mich sehr gereizt. Dann habe ich zwei Freunde gefunden, die mit mir runtergeflogen sind.

Du musst dir vorstellen: ich habe diese Reise so nicht geplant - das war ein Impuls. Ich bin innerhalb von einem Tag losgeflogen ohne etwas zu planen oder vorzubereiten. Dann wurden aus zwei, drei Monaten Pause zwischen Bachelor und Master insgesamt drei Jahre. Jeder würde wahrscheinlich denken, man bräuchte einen Masterplan für so eine Zeit, aber ich glaube, dass es genau daran hapert: du kannst sowas nicht planen. Es ist so unermesslich, was man da vorbereiten muss. Sich komplett auf das Unbekannte vorzubereiten, funktioniert ja nicht. Die Reise hat sich entwickelt - Tritt für Tritt. Erst Südafrika, dann Botswana. Danach war ich alleine, meine Freunde sind zurück und ich hatte eine sehr schwere Zeit. Daraus - das zeigt ja auch der Film - entwickelte sich dann diese Reise, diese Nähe zu mir und zu meiner Umgebung. Sprich: es ist wie das Leben selber. Es hat sich so entwickelt.

Du sagtest drei Jahre, auf deiner Seite steht 414 Tage… wie setzt sich das zusammen?

Ich bin durch Afrika durchgefahren und habe damals auch noch eine Kamera mitgehabt, die immer dann im Einsatz war, wenn ich mich allein fühlte. Deshalb heißt der Film auch Allein in Afrika. Die Kamera habe ich aber nach einem Gefängnisaufenthalt in Ägypten ausgemacht. Ich habe die anderen zwei Jahre, in denen ich quer durch Asien und bis nach Australien gefahren bin, gar nicht gefilmt. Der Film spielt also nur in Afrika und darum geht es auch. Aber ich war drei Jahre weg.

Kam die Idee einen Film zu drehen direkt mit der Idee der Reise?

Nee, das Material, das ich größtenteils als sehr intim empfunden habe, ist nach der Reise nach Hause gewandert und lag drei Jahre lang bei einer Freundin im Büro. Das hat nie jemand gesehen und ich wollte auch nicht, dass es jemand sieht. Irgendwann hat sie aber reingeschaut, mich angerufen und gesagt, ich hätte da etwas sehr Besonderes. Das könne man auch irgendwie zu einer DVD umwandeln. Ich habe dagegen gestimmt und es ging ein Jahr lang so, dass ich mich gewehrt habe. Das heißt: die Reise war 2014 und wir haben im letzten Jahr mit dem Schnitt angefangen. Es brauchte Überredung von Freunden um diesen Film zu machen und so ist er dann entstanden.

Was war rückblickend das Schwierigste?

Das Schwierigste für mich war die Begegnung mit mir selbst. Ich war es 24 Jahre lang gewohnt in einer Gesellschaft zu leben, die mich wahrnimmt und ich habe mich als der gefühlt, den anderen Menschen in mir sehen. Dieses Spiel hörte plötzlich auf als meine Freunde nach Hause gefahren sind und ich dann ganz alleine war. Ich bin durch die Kalahari gefahren und war wirklich monatelang auf mich gestellt und permanent in diesem Kontakt zu mir selber: wie geht es mir gerade? Schaffe ich das heute noch? Also eine ganz große Konzentration auf das eigene Wohlbefinden und das Bewusstsein, dass der eigene Kopf auf eine Reise - wo auch immer sie hingeht - mitkommt.

Und, dass da plötzlich keine Spur mehr drin war: das heißt, dass nicht klar war, was morgen und übermorgen kommt. Es ging nirgendwo klar hin und das ist – für Deutsche sowieso – und für mich auch nicht einfach. Es war nach vorne hin alles offen und es gab nur noch Tage und Situationen. Das war als Lernprozess das Allerschwerste, aber auch das Schönste, weil ich in dieser Einsamkeit irgendwann gelernt habe allein zu sein. Das Alleinsein kann wunderschön sein. Da war es egal, ob man sich Johannes nennt oder Anselm - man hat sich beim Alleinsein nicht mehr verstellen müssen. Es war ein langer Prozess über mehrere Monate, um das zu realisieren. Ich denke, diese Nähe wünscht man sich heutzutage auch viel, deshalb hat der Film eine Komponente, die die Zuschauer berührt.

Gab es zwischendurch Situationen, in denen du kurz davor warst abzubrechen?

Es gab ja gar kein Ziel! Ich habe ja nicht gesagt, dass ich da ganz hoch muss. Die Reise war sehr ruhig, ich hatte keinen Blog, also von außen war da gar kein Druck. Ich hätte jederzeit irgendeine Stadt ansteuern können und sagen „hier ist es vorbei“ und keiner hätte gefragt, warum ich nicht weitergefahren bin. Es war nicht definiert. Das war das Schöne und der Reiz der Reise auf afrikanischem Boden: zu gucken, wie weit das noch funktioniert. Wenn man da irgendwann dieses tiefe Vertrauen zu sich und der Umgebung hat, ist der Gedanke an Abbruch auch überhaupt nicht mehr da.

Und wenn ich die Frage umdrehe: was hat dich motiviert immer wieder weiterzufahren?

Das Spannende am Reisen allgemein, auch für andere Menschen, ist es immer wieder eine neue Situation zu erleben. Man geht in etwas Ungewisses und spürt dann oft, dass das Unbekannte sehr angenehm ist. Die Sinne sind geschärft, die Wahrnehmung ist da und die Zeit bekommt viel mehr Inhalt. Wenn wir in Deutschland leben, oder unser Arbeitsleben haben, dann hat es ja oft A und B und es entsteht ein Rhythmus und in diesem Rhythmus tötet man ja theoretisch Zeit, weil man nicht mehr viel wahrnimmt. Die Reise hat besonders viel Spaß gemacht, weil alles sehr einfach war und ich mich um die Grund-Lebenssachen wie Essen, Trinken, Schlafen und Gesundheit kümmern musste. Ich habe jeden Tag etwas Neues erlebt und jeden Tag war ich an einem anderen Ort mit anderen Menschen. Das ist natürlich eigentlich unnormal, also kein normales Leben, aber das hat mich an dieser Reise so fasziniert - und das alles auch aus eigener Kraft geschafft: man ist auf dem Fahrrad, überwindet die Distanzen, die Wüsten, … ich habe diese Strecke gespürt und bin mit eigener Kraft hingekommen. Das gibt einem ein sehr lebendiges Lebensgefühl. Das hat auch was mit Sucht zu tun.

Und dann waren es ja nicht nur Hotspots. Reisen kann auch anstrengend sein, wenn man von Stadt zu Stadt fährt. Auf dem Fahrrad ist man aber so langsam unterwegs, dass auch Wochen vergehen, in denen wenig passiert und man verdauen kann, wahrnimmt und durchhält.

Auf deiner Homepage steht, du warst auf der Suche nach dem Abenteuer: hast du es gefunden?

Ich war neugierig auf echte Erfahrungen, auf Dinge die nur ich erlebe und die eine emotionale Bindung zu mir haben. Was ich dann gefunden habe, war Abenteuer und Ungewissheit. Die größte Errungenschaft ist jedoch die Freundschaft zu mir selber, die sich entwickelt hat und bis heute ganz wertvoll ist. Ich will nicht sagen, dass ich bei mir angekommen bin und ich irgendwie alles gefunden habe, aber diese Kapazität „Zeit“ einmal auszureizen und zeitlos sein zu dürfen als Mensch, ist etwas sehr Besonderes und ein Privileg.

In einem anderen Artikel wurdest du „respektlos“ genannt und für die „Bedienung kolonialistischer Klischees“ kritisiert. Was entgegnest du dem?

Sie (die Autorin, Anm. d. Red.) hat natürlich irgendwo recht, wenn sie sagt, die Welt brauche keine Erkunder oder Abenteurer mehr. Das ist eine Sichtweise, die sie anbringt und du findest auch Argumente dafür. Ich versuche in meinem Film ja nicht zu sagen „ich habe Afrika entdeckt“ oder versuche zu erklären „was ist Afrika?“. Der Film funktioniert komplett ohne Bewertung. Es gibt keine historische Auseinandersetzung, es ist komplett frei. Es geht wirklich eher um mich. Diese Reise hätte auch in Südamerika stattfinden können und theoretisch auch in Deutschland.

Es war für mich interessant zu lesen und wir haben uns natürlich auch kurz damit befasst. Es ist schade, dass ich kein Interview mit ihr führen konnte, sonst hätte ich darauf eingehen können. Ich konnte es nicht so richtig ernst nehmen. Das ist der einzige Artikel, wo wir mal auf die Mütze bekommen haben. Ich mag Kritik total gerne, aber mit der konnte ich jetzt nicht so viel anfangen.

Was hast du für deinen Alltag zuhause von der Reise mitgenommen?

Was ich mir beibehalten habe, ist mein kurzes Denken und über die Zukunft nicht zu reden oder nachzudenken. Das stößt manchmal auf Fragezeichen, aber ich behalte das einfach bei. Nach wie vor lebe ich sehr sporadisch und konsumiere wenig. Ich habe einfach erfahren, dass umso weniger ich besitze, desto weniger muss ich mir Sorgen um die Dinge machen. Mir fällt es sehr leicht auf Sachen zu verzichten und klar zu schauen, ob das gerade nützlich für mich ist. Das geht schon bei Gedanken los. Ich denke, die Gedankenstruktur ist ganz wichtig. Ich habe gelernt, dass es von mir ausgeht, wie mein Leben sich gestaltet. Ich bin sehr aufmerksam in Gesprächen, habe eine ganz neue Möglichkeit auf Beziehungen einzugehen. Ich glaube, dass man sagen kann, dass es mir durch diese Freundschaft mit mir selber viel leichter fällt, Menschen aufzunehmen und Brücken zu schlagen.

Es ist schwierig, sich dich in einem normalen 9-to-5-Job vorzustellen: Wie stellst du dir deine nahe Zukunft vor?

Die letzten paar Jahre war ich ja plötzlich Regisseur und Filmemacher. Ich habe das Team zusammengestellt und war, als die Entscheidung kam den Film zu machen immer eingebunden, weil er einen riesengroßen Aufwand mit sich bringt. Jetzt begleite ich gerade die Kino-Tour und das ist das Schöne daran: dass ich keinen Plan hatte. Es kommen plötzlich von hier und dort Signale und Einladungen für Vorträge oder Motivationsabende und ich spüre, dass das jetzt auch ein Weg ist, der mir gerade gut passt. Ich werde wahrscheinlich nie in so einem Job sein, wie du ihn angesprochen hast. Da bleibe ich, glaube ich, Lebenskünstler und lerne vom Leben und mache die Tür einfach auf, wenn ich die Klinke in der Hand habe. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man mit Denken keine Erfahrung machen kann, während du aber deine Erfahrung auf dein Denken aufbauen musst. Das ist das Spannende an der Zukunft: man kann sie ja nicht leben. Solange das klappt… jetzt ist gerade​ jetzt und das ist wunderbar. Ich bin 30 und ich war noch nie angestellt.

Die Filmvorstellung mit Anselm Nathanael Pahnke findet am Sonntag, den 19. Mai um 11:00 Uhr im Broadway Filmtheater statt.


Foto: Avalia Studios

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