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04.03.2023 hunderttausend.de  
Universität Trier

Wie auf Social Media über Essstörung oder Burnout gesprochen wird

​Studierende der Universität Trier haben in einem Projektseminar zum Sprachwandel in verschiedenen sozialen Netzwerken geforscht.

 
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​Die Facebook-Gruppe, in der sich Menschen mit Burnout austauschen, die Influencerin, die auf Instagram in ihren Alltag mit ADHS blicken lässt, der Hashtag Depressionen, unter dem Menschen auf Twitter ihre Erfahrungen posten. Das alles sind Beispiele für Interaktionsräume in sozialen Medien, in denen sich Personen mit Erkrankungen informieren, austauschen und vernetzen. Aber wie kommunizieren Menschen über Depressionen, Essstörungen, Burnout oder andere Erkrankungen?



Das haben Masterstudierende der Digital Humanities an der Universität Trier im Seminar zum epidemiologischen Wortschatz von Junior-Professorin Susanne Kabatnik untersucht. Mit linguistischen Methoden betrachteten sie, wie Menschen in sozialen Netzwerken über Erkrankungen sprechen. „Mit Epidemien meinen wir hier nicht nur Corona oder andere Viren, sondern ganz allgemein Erkrankungen mit größerer räumlicher Ausbreitung“, sagt Junior-Professorin Kabatnik. Die Studierenden durften sich selbst eine Erkrankung aussuchen, zu der sie forschen wollten. Ihre Ergebnisse präsentierten sie bei einer simulierten Konferenz am Ende des Wintersemesters. Ziel war es, ein Internetwörterbuch zu verschiedenen Epidemien vorzubereiten und so den Wandel des Wortschatzes in sozialen Medien zu dokumentieren.


Großflächig räumlich ausgebreitet haben sich in den letzten Jahren besonders psychische Erkrankungen. Von Epidemien wie Depressionen oder Essstörungen sind zunehmend junge Menschen betroffen. Die Zahl der von Depression oder Essstörungen betroffenen Mädchen im Jugendalter stieg von 2020 bis 2021 um knapp 25 Prozent. Das war der Anlass für Sarah Rebecca Ondraszek das Thema für ihr Studienprojekt auszuwählen: „Die Häufung der Fälle bei Mädchen zeigt, dass hier noch mehr geforscht werden muss – und das nicht nur in der klinischen Psychologie.“


Sarah Rebecca Ondraszek hat in ihrem Projekt zum Wortschatz des Themas Essstörungen im sozialen Netzwerk „Tumblr“ geforscht. Tumblr, eine Blogging-Plattform, die das Teilen von Texten, Bildern, Zitaten, Links, Videos und Audiodateien ermöglicht, ist besonders bei jüngeren Erwachsenen und Teenagern beliebt. Hier berichten sie über ihre Erfahrungen mit einer Essstörung. Aus diesem Erfahrungsschatz entwickelt sich zumeist auch ein gemeinsamer Jargon beziehungsweise Kommunikationsstil. Dieses Phänomen verstärkt sich in sozialen Medien, wo viele Gleichgesinnte in Communities aufeinandertreffen.


Genau das zeigt die Untersuchung: „Besonders auffällig ist, dass die Äußerungen aus der Essstörungscommunity fast immer die ‚Pro-Ana‘-Perspektive einnehmen und einen starken Selbstbezug der Nutzenden erkennen lassen.“ Pro-Ana, das ist eine Bewegung von Magersüchtigen im Internet, die ihre Erkrankung idealisieren. Auf Tumblr zeigt die linguistische Untersuchung, dass Betroffene die Erkrankung verneinen und sie verherrlichen. Nicht zufällig ist der Name Ana gewählt: „Zum einen bezeichnet ‚Ana‘ die Essstörung Anorexia Nervosa. Zum anderen nutzen Betroffene den Namen ‚Ana‘ um ihre Essstörung zu personifizieren“, weiß Sarah Rebecca Ondraszek. Sie hat 500 Blogbeiträge auf der Plattform analysiert und dabei viele sprachliche Besonderheiten und den Jargon der von Essstörungen betroffenen Online-Community herausgearbeitet.


Tatiana Bessonova untersuchte in ihrem Semester-Projekt den Bedeutungswandel des Begriffs, #Burnout. Über 2000 Tweets analysierte die Studentin: „Spannend ist, dass der Begriff Burnout auf Twitter oft genutzt wird, um die Erschöpfung durch Alltagstätigkeiten zu beschreiben“. Als Beispiel nennt Tatiana Bessonova folgenden Tweet: „Ich habe Kinder-ins-Bett-bring-Burnout. Wer übernimmt heute mal?“ Burnout habe eine weitere Bedeutung bekommen und sich von einer Krankheitsbezeichnung hin zu einem Alltagsbegriff im Sinne von „keine Lust auf eine Tätigkeit“ oder „zu müde bzw. erschöpft sein, um etwas zu tun“ gewandelt. „Trotzdem verschwindet die traditionelle Bedeutung nicht, denn die Krankheit Burnout tritt auch weiterhin auf“, so Tatiana Bessonova.


Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen die Studierenden in Susanne Kabatniks Seminar, die andere Erkrankungen untersucht haben: „Im Seminar konnten wir vielfältige Phänomene des Sprachwandels im Zusammenhang mit Epi- oder Pandemien beobachten, wie beispielsweise neuen Wortschatz, Bedeutungserweiterungen oder -reduktionen. Heute ist es in sozialen Netzwerken möglich, über tabuisierte und stigmatisierte Themen wie Krankheiten zu sprechen. Der Wortschatz gibt dann Aufschluss über Haltungen von Menschen zu bestimmten Erkrankungen, Symptomen oder sich selbst als Betroffene.“


Das Sprechen über die Symptome helfe dabei, die Erkrankungen zu normalisieren und zu entstigmatisieren, so Susanne Kabatnik.


Text: Universität Trier


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