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07.03.2020 Anselm Spicka teatrier
Rituale

Sehnsucht nach Kontrollverlust

​Am 14. März findet die Premiere von Rituale im Theater Trier statt. Es werden zwei Choreographien von Mauro Astolfi und Roberto Scafati aufgeführt. hunderttausend.de hatte vorab die Möglichkeit sich mit der Dramaturgin Anna-Luella Zahner zu unterhalten und spannende Einblicke in die Produktion zu bekommen. 

 
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hunderttausend.de: Könntest du unseren Usern kurz beschreiben worum es in Rituale geht?

Anna-Luella Zahner: Rituale ist ein zweiteiliger Abend. Der erste Teil wird choreographiert von Mauro Astolfi aus Rom, dem künstlerischen Leiter des Spellbound Contemporary Ballett. Das ist eine der am meisten international tourenden Kompanien aus Italien und der zweite Teil wird choreografiert von Roberto Scafati, dem Ballettdirektor hier am Theater Trier. Beide Teile behandeln das Thema Rituale ein bisschen anders. Aber der Titel Rituale gilt natürlich für beide Teile. Es geht im Großen und Ganzen darum: Sind Rituale heute wichtig? Warum sind sie wichtig? Und sind sie positiv oder negativ behaftet? Denn man kann das natürlich aus beiden Blickwinkeln sehen. Warum heißt ein Abend Rituale in der Kunst? Höchstwahrscheinlich, weil es ein Thema ist, was in der Gesellschaft gerade sehr viel vorkommt

Für wie wichtig hältst du Rituale in der heutigen, schnelllebigen, digitalen Welt?

Ich glaube, dass den Menschen Rituale fehlen. In der westlichen Welt zumindest wird Religion immer weniger bedeutsam, zumindest eine organisierte Religion. Von daher suchen die Leute dann die Attribute von einer Religion, zum Beispiel Gemeinschaft, Identität und auch Rituale. Diese sind ja auch nur ein Teil davon. Dieses Bedürfnis nach Ritualen wird teilweise auch vom Kommerz aufgegriffen. Es gibt einen Grund dafür, denn es herrscht eine Sehnsucht danach, was man durch den Wegfall von Religion verloren hat. Dies bedeutet auf der einen Seite viel Freiheit, aber auf der anderen Seite muss man sich auf die Suche machen nach einer neuen Identität, Gemeinschaft und einem neuen Rhythmus.

Du bist die Dramaturgin des Stückes. Was genau ist die Aufgabe einer Dramaturgin?

Das ist tatsächlich in jedem Theater ein bisschen anders und auch in jedem Bereich – also Tanz, Musiktheater, Schauspiel - ein bisschen anders. An diesem Theater ist es so, dass ich erst zusammen mit den Choreografen überlege, wo genau wir mit diesem Stück hinwollen. Was ist die Grundidee? Das wird zunächst besprochen. Dann fangen die Choreografen bzw. Choreografinnen an und dann komme ich regelmäßig zu den Proben und schaue wie der Prozess läuft. Dann schaue ich, ob dieser kreative Prozess dem entspricht was die künstlerische Idee vermitteln will. Am Ende bin ich dann auch die, die mit dem Publikum kommuniziert. Ich gebe Einführungen, Künstler- und Künstlerinnengespräche und überlege mir ein spannendes Programm für die offizielle Vorschau des Stücks, dem „Premierenfieber“, das für Rituale am Sonntag, den 8. März um 11:00 Uhr stattfindet. Ich bin sozusagen das Bindeglied zwischen Publikum und Theater. Ich muss sowohl die Künstler*innen verstehen, aber auch das Publikum und ich muss zwischen den Seiten vermitteln. Eine Schauspiel-Dramaturgin ließt viele Stücke und guckt dann zusammen mit den Spartenleiter*innen, welches Stück interessant ist und ob man daraus etwas Neues machen kann, etwas streicht oder editiert. Im Englischen würde man sagen ich bin das Outside-Eye. Der Arbeitsbereich liegt zwischen theoretischem Überbau eines Stückes, Vermittlung und manchmal auch Publikumsgenerierung. Das ist je nach Theater unterschiedlich.

Das Stück hat durch die Zusammenarbeit mit Mauro Astolfi einen internationalen Charakter. Wie lief die Kommunikation und Zusammenarbeit?

In diesem Fall war es einfach dadurch das Roberto Scafati natürlich auch Italiener ist. Die beiden können sich also sehr gut unterhalten. Es ist wichtig das ich mehrere Sprachen sprechen kann, alleine schon wegen den Tänzerinnen und Tänzern, die aus unterschiedlichen Ländern wie Thailand oder auch den Niederlanden stammen. In den meisten Fällen unterhalten wir uns auf Englisch, aber Details bespricht Mauro Astolfi dann mit Roberto Scafati auf Italienisch. Eine der Voraussetzungen für meine Arbeit hier war, dass ich mehrere Sprachen spreche, sonst kann man das gerade im Tanzbereich nicht gewährleisten, dass die Kommunikation untereinander gut funktioniert.

Bei der Inszenierung handelt es sich im weitesten Sinne um eine Art Ballettabend, welcher genau geplant werden muss. Gleichzeitig ist in der Beschreibung des Stückes aber auch von Kontrollverlust die Rede. Wie passt das zusammen?

Die Arbeit an einem Stück ist natürlich genau geplant, auch wenn das Thema innerhalb des Stückes der Kontrollverlust sein kann. Der Kontrollverlust in diesem Sinne beschreibt eine sehr aktuelle Bewegung. Als Dramaturgin muss man auch fühlen was in der Gesellschaft gerade los ist und versuchen das zu verstehen. Dinge, die „in der Luft hängen“ müssen aufgegriffen werden. Ich habe das Gefühl, dass es einerseits den Wunsch nach Kontrollverlust in Richtung „Verstand ausschalten“ – hin zum erweiterten Bewusstsein gibt. Gerade im Tanzbereich geht es seit einigen Jahren viel um Trance und Ekstase. Das man gemeinsam zu einem Ritual findet, um in einen neuen Zustand zu kommen. Auf der anderen Seite manifestieren sich gerade viele Rechte Bewegungen und auch dort gibt es eine zwar einen Wunsch nach mehr Kontrolle von außen, aber auch einen Wunsch nach Kontrollverlust von innen. Nach der Mentalität „ich will jetzt endlich mal sagen was ich immer schon sagen wollte“ und, dass man sich nicht den Gesetzen unterwerfen will oder sogar seinen eigenen Staat haben möchte. Es gibt also eine Parallelität von Kontrollverlust, der entweder in einem friedlichen Zusammenschluss, oder auch in Aggressivität münden kann. Es ist sehr interessant diese beiden Seiten gemeinsam zu betrachten.

Worauf sollte man beim Schauen des Stückes achten?

​Ich würde auf die Unterschiedlichkeit achten. Von dem ersten zu dem anderen Stück. Denn beide sprechen vom selben Thema, dem Bedürfnis, dem Fehlen und dem übermäßigen Vorhandensein von Ritualen, selbst von der Befreiung obsessiven persönlichen Riten. In beiden Stücken sieht man die persönliche Haltung der beiden Choreografen. Es sind zwei unterschiedliche Haltungen zum selben Thema. Aber allgemein beim Thema Tanz soll man nicht darüber nachdenken, was man alles wissen muss, um mit den Stücken etwas anzufangen. Viel wichtiger ist es, zu fühlen, ob es einen irgendwo trifft. Dort wo es trifft, trifft es einen auch richtig.  

 


Am  Sonntag den 08.03. findet um 11 Uhr ein ​„Premierenfieber“ für Rituale im Theater Trier statt.


Die nächsten Aufführungen finden am:

14.03.2020

21.03.2020

03.04.2020

17.04.2020

um jeweils 19:30 Uhr statt. 


Foto zVg: Theater Trier

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