Interviews
08.10.2019 Alex Gouverneur  
Ein Kaffee mit dem charismatischen Bariton Carl Rumstadt

Die Jungen Wilden des Theater Trier

​​​​​Oper ist was für die "Älteren". Oper ist out. Oper ist nichts für mich... von wegen! "Große Opern wühlen nicht weniger im Dreck als Tarantino Filme," sagt Bariton Carl Rumstadt im Gespräch mit hunderttausend.de.

 
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​Wir treffen uns mit dem 1992 geborenen Bariton Carl Rumstadt in einem Café, um zu sehen, wer dieser Typ ist, der in so jungen Jahren bereits über eine so erfahrene Stimme verfügt. Er stammt aus einer Musikerfamilie und ist mit der Oper aufgewachsen. Seine Karriere liest sich außergewöhnlich: Er begann bereits im Alter von 15 Jahren parallel zur Schule an der Hochschule für Musik Nürnberg Gesang zu studieren. 2011 folgte ein Diplomstudiengang an der Hochschule für Musik und Theater München, den er 2016 abschloss. Bereits in dieser Zeit machte er Bühnenerfahrungen am Staatstheater Kassel, der Oper Graz, am Cairo Opera House, dem Kurt Weill Fest Dessau, der Kammeroper München, den Münchner Symphonikern und einigen weiteren Häusern. Als Konzertsänger machte er vor allem mit den Soli in Mahlers Lieder eines fahrenden Gesellen, Orffs Camina Burana, Mendelssohns Paulus und Bachs Johannespassion auf sich aufmerksam. Und wem das alles nichts sagt - haben wir erwähnt, dass Carl Rumstadt 1992er Jahrgang ist? 

Als schwerer Bariton ist seine Stimme zwischen Tenor und Bass einzuordnen, und diese Tiefe findet der Musikliebhaber bei Johnny Cash oder Frank Sinatra. Vor uns steht ein 26-jähriger Mann mit Lederjacke, Lockenmähne, breitem Lächeln und einem tiefen „Hallo“ (bei dem man sofort an Nick Cave denkt) auf den Lippen. Von 2016 bis 2018 war er am Konzert Theater Bern engagiert, wo er unter anderem in den Titelpartien von Don Giovanni und Le nozze di Figaro, sowie als Papageno in Mozarts Zauberflöte zu erleben war. Seit der Saison 2018/19 ist er Ensemblemitglied am Theater Trier.

hunderttausend.de: Du hattest einen ausgesprochen frühen Karrierestart.

Carls Rumstadt: Ja, kann man so sagen. Ich war mit 15 raus aus dem Stimmbruch und es wurde klar, dass die Stimme eine Karriere hergibt! Ich habe angefangen im Schulchor die Soli zu singen, und fand das super! Der nächste Schritt war es, in Nürnberg vorzusingen und die sagten: Ja, das können wir machen!

Du kommst aus einer Musikerfamilie, wurde das forciert?

Ganz im Gegenteil, sie wollten mich davon abbringen. Sagten, ich soll den Weg des geringeren Widerstands gehen und am besten Tierarzt werden. Als ich mich nicht davon abbringen ließ, haben Sie mich aber unterstützt.

War das klassische Genre da schon klar?

Ich habe parallel in einer Rockband gespielt, aber das hat auch stilistisch nicht im Weg gestanden. Ganz im Gegenteil, ich habe hier profitiert. Ich habe auch als Bühnenperformer davon profitiert.

Welche Musik füllt deine Playlist?

Unterschiedlichstes: Von Blumentopf bis Metal ist alles dabei. Es ist nicht nur Klassik! Zwar auch, aber nicht nur!

Hast du einen anderen Blick auf Musik?

Ich urteile nach denselben Prinzipien wie alle anderen, nämlich ob es mir Spaß macht. Durch das Studium weiß ich natürlich auch ob es Handwerklich gut ist, aber das ist nicht Voraussetzung. Es gibt gut gemachte Musik, die niemand hören will, und umgekehrt! Wenn es Spaß macht ist das Handwerk dahinter egal.

Wie kam es zu der Entscheidung, zum Theater Trier zu gehen?

Jochem Hochstenbach (Generalmusikdirektor Theater Trier, Anm. d. Red.)! Wir waren davor zusammen in Bern und nachdem sein Wechsel nach Trier bekannt wurde, wollte ich am liebsten mit. Als er mich dann fragte ob ich Interesse habe, war auch mein Wechsel klar. Zusätzlich bekam ich hier die Chance, die tollsten Partien in meinem Stimmfach singen zu dürfen. Das ist in meinem Alter nicht selbstverständlich. ​

Wie bringt man das klassische Musiktheater an ein jüngeres Publikum?

Dafür ist La Boheme tatsächlich super geeignet. Es ist nicht zu schwer und trieft nicht vor Dramatik, was bei erfahrenen Zuschauern auch aneckt. Aber genau das ist gut! Das Theater soll Emotionen wecken. In Trier gibt es kaum Publikum, das auf der Bühne das Extrem sucht, wie es in München der Fall ist. La Boheme ist im Grunde genommen eine perfekte Einsteigeroper. Die Musik kennt und mag jeder, und auch wenn Sie relativ leicht und locker verpackt ist, so ist es keine Persiflage. Dank unseres Videokünstlers ist das Stück am Puls der Zeit inszeniert. Wer einen Reifrock sucht, ist hier wahrscheinlich enttäuscht.

Wie sollte man bei seinem Einstieg ins Musiktheater vorgehen?

Ich würde empfehlen sich von allen Vorurteilen und vorgefassten Meinungen frei zu machen. Zumindest für den Abend. Ich würde auf die Charakteristiken schauen, die Oper ausmachen. Ich würde den Klang genießen, und keine gepuderten Perücken suchen. Die Kunstform Oper geht menschlich ans Eingemachte. In der Oper geht es letztendlich immer in irgendeiner Form um Sex, Drugs and Rock'n'Roll. Es geht immer um den Schlamm der menschlichen Seele. Große Opern wühlen nicht weniger im Dreck als Tarantino Filme! Oper ist voll mit schönen und hässlichen Szenen der Realität.

Ist eine Recherche vorab notwendig?

Nicht nötig! Gerade in La Bohème ist es simpel dem Handlungsstrang zu folgen. Wenn ich in einer Oper mitlesen muss, dann ist sie schlecht inszeniert! Die Gefahr einer Vorab-Recherche besteht darin, das Wesen des Stücks und seiner Inszenierung zu verlieren. Was man sich an dieser Kunstform gönnen kann ist der Genuss. Es ist eine exklusive Gelegenheit. Sie kommt nie wieder! Ein großes Team ist beteiligt, und steckt viel Arbeit in einen Moment, den man als Zuschauer nicht nochmals abrufen kann. Alle zusammen teilen etwas Echtes und Einmaliges! Das kann keine Wiederholung oder Aufnahme.

Zum Thema Echtheit: Das Theater ist eigentlich die letzte Bastion, bei der das Geschehen nicht mit dem Mobiltelefon festgehalten wird.

Die Gefahr besteht zwar, aber glücklicherweise ist es im Theater noch nicht angekommen. Man nimmt oft nur noch durch ein Display am Leben teil. Und das ist auch das Besondere hier: Das Smartphone bleibt aus und die Handlung kommt ungefiltert. Auch wenn bei La Bohème ein großer Bildschirm zum Bühnenbild gehört…

Die Inszenierung von La Bohème ist ja eine durchaus Moderne. Das Publikum wird es wohl spalten, oder?

La Bohème ist eigentlich alles andere als provokativ. Wenn jemand eine Rokokodarstellung erwartet, kann ich die Kritik an der Inszenierung verstehen. Aber dann ist das Publikum voreingenommen. Unsere Inszenierung lebt im Hier und Jetzt, sie ist am Puls der Zeit. Kritik ist gut, denn das zeigt, dass die Zuschauer sich mit der Inszenierung auseinandersetzen. Das Genre lebt von Emotionen.

Wie wichtig ist das Publikum bei einer Oper?

Ich empfinde es als sehr wichtig! Man reagiert immer bewusst und unbewusst. Das Beste, was ich an Gelächter erlebt habe war La finta semplice mit der Kammeroper München. Da wurde die Oper in der Inszenierung frei übersetzt, und aus den Brüdern wurden kurzerhand Tanten. Wir waren wie Drags verkleidet und es war immer sehr lustig. Es gab eine Aufführung, bei der wir an einer Stelle, bei der immer gelacht wurde, eine Pause machten. Allerdings wurde hier erstmals nicht gelacht! Wir waren peinlich irritiert über die Pause, da kam von einer deutlich älteren Zuschauerin aus Reihe drei ein kurzes „Ha!“ und das war in der Situation so peinlich und lustig, dass wir alle in schallendes Gelächter ausgebrochen sind. Reaktionen lassen sich nur schwer einplanen. Theater ist live und somit Pannen-anfällig. Texte werden vergessen und manchmal kommt auch jemand zu spät. Es wäre schade, wenn wir es als Bühnenensemble nicht schaffen würden, Berührungsängste abzubauen. Das Ensemble des Trierer Theaters ist sehr jung, dadurch haben auch unsere  Regisseure die Möglichkeit, Inszenierungen agiler zu gestalten.

Was wäre dir wichtig, einem unerfahrenen Publikum mitzugeben?

Das Theater soll keinen Museumscharakter haben. Es ist kein Ort, an dem nur Hochkultur und heilige Kunst stattfindet. Es soll und darf gelacht und geweint werden. Von Mozart und Wagner war das zum Teil ja auch so angedacht. Wir wollen Emotionen und Reaktionen, ungeschönt und ehrlich. Berührungsängste sollte jeder über Bord werfen, und sich auf eine unverfälschte Erfahrung einlassen.

Wir danken Carl Rumstadt und Christoph Traxel für das Gespräch.


Foto: Martin Kaufhold

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