Interviews
11.05.2016 Ralf Hoff  
Bosse

Bock auf Veränderung

​​Pop-​Sänger Bosse hat mit "Engtanz" gerade seine sechste Platte veröffentlicht und erreichte Platz 1 der deutschen Charts. Im Sommer wird der Musiker auf diversen Festivals, auch in der Großregion, unterwegs sein. hunderttausend.de hat aus diesem Anlass mit ihm über das aktuelle Album, seine Musik und das Business gesprochen. ​

 
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hunderttausend.de: "Engtanz" ist die sechste Platte. Quentin Tarantino meinte einmal, nach zehn Filmen würde er den Job an den Nagel hängen. Schaffst Du noch vier Alben oder bekommst Du so langsam Angst vor dem Alter und möglicher Irrelevanz? 

Bosse: Das weiß man nie! Ich bin auf jeden Fall immer weiter interessiert und ich denke, da sind Filme drehen und Musik machen sich auch recht ähnlich. Wenn Quentin Tarantino keine Filme mehr macht, wird es eben eine Serie. Es ist wichtig, sich nicht andauernd zu wiederholen und das wird natürlich nicht leichter. Natürlich muss ich aufpassen, dass ich auf der sechsten Platte nichts finde, was ich genau so auf Album Nr. 2 oder 3 schon gesagt habe. Da ist das Älterwerden aber auch definitiv von Vorteil, da man irgendwann beginnt, die Dinge ein bisschen anders zu sehen. Ich möchte nicht stehen bleiben, kann natürlich heute aber auch keine Songs mehr schreiben wie damals mit 23. Heute habe ich zum Beispiel ein Kind, ich kann nicht mehr darüber singen, wie ich nachts allein durch Berlin laufe und besoffen Döner esse, diese Steilvorlagen zu finden wird schwieriger. Aber es gibt weiterhin Ansätze und nach denen muss ich suchen. Darum geht es aber auch: ein bisschen kreisen, leben, trinken, sich weiterbilden – und die Ideen zu neuen Songs kommen ganz von alleine! Quentin wird wahrscheinlich 16 Filme machen. Und da ist dann vielleicht auch irgendwann die Liebeskomödie dabei. 

Es ist gar nicht so leicht zu definieren, deswegen die Frage an Dich selbst: Siehst Du Dich eher als Pop- oder Rocksänger? 

Das kann ich selber gar nicht so genau sagen! Sicherlich hat es gewisse Vorteile, sich in solchen Grauzonen zu bewegen. Ich weiß, dass zum Beispiel die Leute im Kulturzelt meine Musik hören, aber auch diejenigen, die irgendwelche komischen Radiosender hören oder zum Hurricane und Southside gehen. Im Privatbereich höre ich sowohl Pop- als auch Rockmusik – als Musiker würde ich mich in erster Linie einfach als Songschreiber bezeichnen. Ich hätte "Engtanz" auch als Punk- oder Elektroalbum aufnehmen können, als wilde Akustikplatte oder sogar Deep House. Album Nr. 7 oder 8 werden dann vielleicht ungestümer Rock `n’ Roll! Ich habe grundsätzlich Bock auf Veränderung und bin daher für alles offen. Bei einer Band wie Placebo zum Beispiel habe ich das Gefühl, dass sie immer wieder die gleiche Platte aufnehmen – zwar weil sie das immer noch geil finden, aber trotzdem bewegen sie sich irgendwie im Kreis. Das fühlt sich ein bisschen an wie ein Korsett, aus dem man nicht herauskommt. Ich möchte beim Musikmachen keine Handschellen tragen. Deswegen bewundere ich Bands wie Coldplay, die jetzt beim soundosvielten Album sehr elektronisch geworden sind – diese Cojones muss man erstmal haben! 

Hyperchild, Dein erstes Band-Projekt, soll damals nicht unbedingt von Erfolg gekrönt worden sein, auch solo kam dieser nicht über Nacht, sondern stellte sich schrittweise ein. Kam nie der Moment, an dem Du dachtest: "Es hat alles keinen Sinn mehr, ich schmeiße alles hin"? 

Da gibt es verschiedene Betrachtungsweisen. Hyperchild war damals meine Schülerband, ich war sechzehn und es gab den Plattenvertrag und damit verbunden auch Geld – deswegen konnte ich schon früh nach Berlin ziehen. Das war der Anfang aller Dinge, allerdings haben sich Hyperchild dann auch recht schnell aufgelöst. In den Folgejahren habe ich sehr viel rumgearbeitet und zunächst "unerfolgreiche" Musik gemacht, bin mit dem Sprinter durch die Gegend gefahren und habe vor wenigen Leuten gespielt. Nach dem zweiten Album, als es in etwa 1700 Mal verkauft wurde, haben wir den Plattenvertrag bei EMI verloren. Zur gleichen Zeit habe ich mein Kind bekommen – und damals gab es auch den bisher einzigen Moment, an dem ich alles in Frage gestellt habe. Maßgeblich war der Finanzbereich daran schuld. Wenn man bei jedem Gang zum Geldautomaten Schweißausbrüche bekommt, überlegt man sich schon, ob man eine Familie ernähren kann. Ich hatte ein etwa zweistündiges Gespräch mit meiner Frau, ob ich nicht vielleicht doch besser einfach eine Ausbildung machen soll – ein Abi habe ich nicht. Dabei blieb es dann aber auch – ich habe mich dagegen entschieden und meine eigene Plattenfirma gegründet! Irgendwann muss man einfach erwachsen werden. Vom Grundgefühl her bin ich einfach Musiker, immer gewesen. Und selbst in der Zeit, als ich nicht auf der Bühne stand, bin ich mit verschiedenen Bands mitgefahren und habe für diese gearbeitet. Die Musik war immer mein Beruf. 

Und was ist das Geheimnis, eben doch weiter zu machen? Auch mit Hinblick auf junge Musiker, die erst ganz am Anfang stehen, was würdest Du denen raten? 

Nicht aufgeben und immer am Ball bleiben. Es muss nicht immer schnell gehen. Heutzutage bietet das Internet sicherlich enorme Vorteile, eine Band über irgendeine Show praktisch über Nacht bekannt zu machen, aber das kann dann auch sehr schnell wieder vorbei sein. Sich ein paar Jahre durchzubeißen ist besser, um das zu finden, was man wirklich machen möchte. Dann wird es irgendwann auch losgehen – selbst wenn man ein paar Jahre unerfolgreich ist, sammelt man dabei Erfahrung und nimmt diese für später mit. Das ist besser als monsterschnell bekannt zu werden und in zwei Jahren wieder von der Bildfläche verschwunden zu sein. Wenn man sich den Erfolg erspielt – wie es bei Bands wie den Beatsteaks zum Beispiel gewesen ist – hat man auch die nötige Demut, die, wie ich finde, bei manchen Künstlern einfach fehlt. Wenn ich auf die Bühne komme, ist es eben nicht selbstverständlich, dass mein Verstärker da schon betriebsbereit steht und ich nicht erst selber alles aufbauen muss. 

Mittelfinger gegen die "Nazischweine" beim Echo – den Frei.Wild merkwürdigerweise trotzdem gewinnen. Erreichst Du die Leute auch, wenn Du nicht "befindlichkeitsfixiert" und über Dich selber und Zwischenmenschliches singst? Ist Politik im Pop heutzutage noch denkbar? 

Politik im Pop ist auf jeden Fall denkbar, auch wenn ich selber zwar ein politischer Mensch, aber kein politischer Musiker bin. Man sieht das ja gerade bei Bands wie der Antilopen Gang, die ein hochpolitisches Album im Mainstream an den Mann gebracht haben. Ich persönlich aber stelle mir die Frage, was die Politik in meinen Songs zu suchen hat. Für "Engtanz" habe ich zwar auch einen Anti-Pegida-Song geschrieben, aber der ist dann schlussendlich doch nicht auf der Platte gelandet, sondern wird als B-Seite veröffentlicht. Er war einfach nicht gut genug – politisch zu schreiben muss ich auf jeden Fall üben. Aber eine Aktion wie den Stinkefinger beim Echo, das freut mich natürlich. Es geht darum, sich etwas zu trauen. Wenn ich finde, dass politische Songs aus meiner Feder nicht die nötige Qualität aufweisen, dann ist es ein besseres Statement, zum Beispiel Geld für pro Asyl zu sammeln. Dennoch gibt einem so was auch das Gefühl, etwas bewirkt zu haben – von normaler Internet-Hetze von Frei.Wild-Fans bis hin zu Morddrohungen war alles dabei. Aber es kamen auch Leute auf mich zu, die meinten: "Alter, krass! Endlich hat mal einer was gemacht!" Diese fünf Minuten im Fokus der Öffentlichkeit bewirken da im Zweifelsfall mehr, als einen politischen Song als Track Nr. 12 auf dem neuen Album zu verstecken. Meinen Fans muss ich dabei aber auch nichts vermitteln, ich weiß, dass die alle auf einem sehr humanen Weg sind (lacht). 

"Steine", die erste Single aus "Engtanz", klingt – zumindest textlich – sehr düster, schwer und melancholisch, ist trotzdem in ein luftiges Pop-Gewand gekleidet. Steht Axel Bosse generell eher auf der Sonnenseite des Lebens oder bist du auch von Zeit zu Zeit richtig im Arsch? 

Ich bin alles. Manchmal bin ich ein sehr sehr fröhlicher Mensch, manchmal aber auch ein sehr sehr trauriger. Ich bin da so eine Art Zwitter. Bei "Steine" habe ich zum ersten Mal anklingen lassen, dass das Ende eben nicht immer gut ausgeht und manchmal auch einfach alles scheiße sein kann. Ein zwangsläufiges Happy End war diesmal keine Lösung. Einen wirklich depressiven Song zu schreiben, könnte ich aber auch nicht zu 100 Prozent vertreten, da ich das Leben einfach nicht so sehe. So eine Nummer wäre dann bloße Attitüde und das würde mir niemand abnehmen. 

Jetzt steht der Festivalsommer an und einige richtige große Shows. Warst oder bist Du auch Festival-Gänger? Was ist das Geile an Festivals? 

I​ch muss sagen, ich war wahrscheinlich schon auf allen Festivals in Europa – aber nie als regulärer Besucher, dafür war einfach nie Zeit! Bereits mit 13 habe ich als Backliner für Such A Surge gearbeitet und dabei jedes Festival mitgenommen – aber ich habe immer auf der Bühne gearbeitet und eben nicht abends dann das Zelt vollgekotzt. Ob als Besucher oder Musiker, auf Festivals ist es halt das Größte, dass man möglichst viele Bands in sehr kurzer Zeit sehen kann. Und auch, wenn wir jetzt auf Festivals unterwegs sind – das ist eigentlich das Gleiche, Neon-Sonnenbrillen und Strohhüte tragen und vielleicht auch nur jeden zweiten Tag duschen zu gehen. Das Loslassen, die Party, neue Leute kennen zu lernen und Sonnenbrand zu bekommen. Festivals sind eigentlich immer Urlaub! 

Bosse tritt unter anderem beim Southside Festival vom 24. bis zum 26. Juni und beim Rocco del Schlacko vom 11. bis zum 13. August auf. 

Foto: Benedikt Schnermann 

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