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12.09.2019 Jana Ernst Jana Ernst
Jean-Paul Sartres "Geschlossene Gesellschaft" in einer Inszenierung des Ensemble Telleme

„Ich kann nur existieren, wenn andere leiden!“

​​Das Ensemble Telleme hat sich Sartres Geschlossene Gesellschaft angenommen und beweißt, dass der Stoff auch 75 Jahre nach der Uraufführung nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat. hunderttausend.de durfte sich schon vor der Premiere am 12. September im Kasino am Kornmarkt ein Bild davon machen.

 
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​„Ich bin verkommen!“, ruft Inés. „Ich bin ein Miststück,“ gibt Estelle später zu. Und Garcin erkennt: „Ich werde büßen, ja. Aber ich bereue nichts.“ Aber was bringt diese Charaktere, die so von sich selbst überzeugt sind, dazu derartige Aussagen zu machen? Ein Gerichtsverfahren? Lange Zeit im Gefängnis? Naheliegend, aber doch weit entfernt von der Wahrheit. Denn Garcin, Inés und Estelle sind bereits tot und treffen in der Hölle aufeinander. Zusammengepfercht in einem kleinen Raum, ohne Privatsphäre und ohne eine Möglichkeit den jeweils anderen zu entrinnen. Während Garcin sich noch fragt welche Foltermethoden ihn erwarten, hat Inés die Situation längst durchschaut und gibt ohne Reue zu: „Ich kann nur existieren, wenn andere leiden!“ Diese Folter ist keine körperliche, sondern eine abstrakte, psychische, körperlose. Und ein jeder der drei Verdammten ist der Anderen Folterknecht. Doch diese Erkenntnis hilft auch nicht mehr, denn das Kind ist längst in den Brunnen gefallen – oder in den See?

Schon zu Beginn des Stücks beschert das manische, irrsinnige Lachen des Teufels Handlangers – oder haben wir es hier mit Luzifer höchstpersönlich zu tun? – dem Publikum eine eiskalte Gänsehaut und verspricht, dass es um den Verstand der Verdammten nicht mehr lange gut bestellt sein wird. Ein Versprechen, dass sich schon bald einlöst. Und so begleitet der Wahnsinn und sein Lachen jeden der drei Gefangenen, die ständig zwischen ihrer Freude am Quälen der anderen und ihrer eigenen Qual hin und her pendeln. In diesem Wechselspiel aus Foltern und gefoltert werden dringen sie gemeinsam mit dem Zuschauer nach und nach in die Vergangenheit und Schuld ihrer Mitgefangenen vor. Und da verwundert es auch nicht mehr, wenn Garcin der gequälten Estelle schließlich entgegenwirft: „Ich werde dich nicht lieben, dafür kenne ich dich zu gut.“ Ein Satz, der tief resoniert und viele Fragen über unsere eigenen zwischenmenschlichen Beziehungen aufwirft. Wie gut kennen wir unsere Nächsten, unsere Geliebten, wirklich? Wie gut wollen wir sie kennen? Und würden wir sie noch lieben, wenn wir ihr Innerstes sehen könnten?

So sehr Garcin, Inés und Estelle auch leiden, man findet kein Mitleid für diese Charaktere, die sich selbst als verkommen und als Miststück bezeichnen. Die zugeben, keine ihrer Taten zu bereuen. Die sich so offensichtlich gegenseitig anwidern, dass es dem Zuschauer fast körperliches Unbehagen bereitet. Trotz ihrer Unterschiede sind die drei sich doch ähnlicher als sie es je zugeben könnten. Gerade Michael Roller als Garcin und Lisa Höpel als Inés entwickeln in ihren Konfrontationen eine unglaubliche Intensität, die den gesamten Raum erfasst und Angelika Bitters Estelle zu überstrahlen droht. Die lässt sich davon aber kaum beeindrucken, wartet geduldig auf den richtigen Moment und zieht dann doch alle in ihren Bann. Als sich die Tür schließlich öffnet weichen die drei Verdammten zurück wie Schatten vor dem Licht. Keiner ist in der Lage, die anderen zu verlassen. „Also machen wir weiter“, sagt Garcin.

Genau 75 Jahre ist es her, dass Jean-Paul Sartres Stück Geschlossene Gesellschaft uraufgeführt wurde. Die Thematik hat jedoch nichts von ihrer Aktualität eingebüßt, denn auch heute noch hinterlässt das Stück​ den Zuschauer geschockt und nachdenklich. Das Ensemble Telleme unter der Regie von Melanie Telle und Anna Lankes hat den Originaltext kaum gekürzt übernommen, dem Bühnenbild wurde jedoch ein neuer Anstrich verpasst. Die drei Darsteller finden sich in minimalistisch weißer, post-dramatischer Umgebung, die auch auf visueller Ebene neue Fragen aufwirft. Sartre selbst war radikaler Atheist, was ihn aber nicht davon abhielt sein wohl bedeutendstes Stück in einen religiösen Rahmen einzubetten. Aber auch das ist nur ein scheinbarer Widerspruch. Denn „die Hölle, das sind die anderen.“

 

Die Premiere am Donnerstag, 12. September, ist bereits ausverkauft. Für die übrigen Termine am 15., 22. und 26. September gibt es noch Tickets.

  • Vorverkauf: 16,00 Euro (14,00 ermäßigt)
  • Abendkasse: 19,00 Euro (16,00 ermäßigt)


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