Interviews
10.09.2020 Jana Ernst  
Trierer Autor Florian Schwarz im Interview

„Alles neu und ganz grausam.“

​​Florian Schwarz ist Trierer Autor und Verleger des Buchfink Verlags. 2019 erschien sein erster Roman Stichling. Ein sprachlich und inhaltlich ausgezeichnetes Werk über das Grauen des Ersten Weltkriegs – ohne dabei auch nur ansatzweise das Gefühl angestaubter Kriegsliteratur zu vermitteln.

 
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Florian Schwarz – „Jahrgang 1978, Kriegsdienstverweigerer, zu schlecht fürs Medizinstudium. Angefangen als Germanist, geendet als freier Texter und Autor. Lebt in Trier zwischen jeder Menge halber Sachen, zwei Kindern, zwei Hunden und null Awards. Stichling ist sein erster Roman und vielleicht nicht sein letzter.“

So beschreibt er sich zumindest selbst am Ende seines Debutromans Stichling. Darüber hinaus ist Florian Schwarz auch die zweite Hälfte des Trierer Buchfink Verlags​, den er 2019 zusammen mit Lektorin und Texterin Susanne Philippi gründete. Noch recht frisch geschlüpft, gibt es bei den Beiden bisher schon wunderbare Kinderbücher mit und ohne Lokalbezug (und die Druckerpresse läuft quasi während dieser Text geschrieben wird: da kommt noch mehr), tolle Prints​​​, viele gute Ideen und natürlich den Stichling. Gerade geht der Stichling in die zweite Auflage – Grund genug für hunderttausend.de, dem Autor einmal auf den Zahn zu fühlen.


hunderttausend.de: Du hast im vergangenen Jahr deinen Debutroman Stichling veröffentlicht. Kannst du kurz erklären, wovon Stichling handelt?

Florian Schwarz: Stichling spielt 1916 und handelt vom ersten Weltkrieg und einem jungen Mann – eher einem Jungen – namens August. August ist 16 Jahre alt und lebt bei seinen Eltern. Es geht ihm dort gut, obwohl sein Vater schon in den Krieg gezogen ist. Als dann auch noch Augusts Mutter stirbt, entschließt August sich, wie viele andere Jungs zu dieser Zeit, freiwillig in den Ersten Weltkrieg zu ziehen. Was ihm dabei widerfährt, was er erlebt und wie es so gekommen ist, das erzählt das Buch auf 200 Seiten. Stichling ist also ein Ausschnitt aus Augusts Leben, keine Lebensgeschichte. Das Buch beschäftigt sich nur mit dem Teil seines Lebens, in dem er etwa 16 bis 17 Jahre alt ist.

Du hast gerade angesprochen, dass August, wie auch andere in seinem Alter, freiwillig in den Krieg zieht. Er hat natürlich Gründe für seine Entscheidung, aber trotzdem dürfte es heute wohl vielen Menschen schwerfallen, zu begreifen, warum ein junger Mann sich entschließt, freiwillig in den Krieg zu ziehen.

Also grundsätzlich wird oder wurde ja in vielen Darstellungen über den Ersten Weltkrieg gerne erzählt, dass in Deutschland eine große Begeisterung herrschte, als der Krieg ausgebrochen ist. Dass alle dachten: „Okay, jetzt geht's los. Wir marschieren in Frankreich ein und in drei Wochen sind wir wieder hier.“ Es habe also eine regelrechte Kriegseuphorie gegeben. Ob das wirklich so war, wird mittlerweile allerdings in Zweifel gezogen. Aber trotzdem war das Verständnis von Patriotismus und Nationalstolz vor dem Ersten Weltkrieg ein ganz anderes als vor dem Zweiten und vor allem ein anderes als nach dem Zweiten Weltkrieg. Und ja, die Lehrer haben damals zum Beispiel in der Schule bei den Jungs dafür geworben, in den Krieg zu ziehen. So wie wir das heute in Ansätzen auch noch in anderen Ländern sehen. In den USA haben Soldaten beispielweise einen ganz anderen Status als bei uns. Da wird ganz anders mit dem Thema Krieg und Militär umgegangen. Es gab also bestimmt eine Art allgemeine Faszination für den Krieg, die sicherlich viele (junge) Männer dazu bewegt hat, in den Krieg zu ziehen. Die wurden dann aber oft ziemlich schnell eines Besseren belehrt. Bei August kam vielleicht auch noch die besondere Situation hinzu, dass er jetzt ganz alleine ist und sich deshalb so entscheidet.

August ist noch sehr jung, als er in den Krieg zieht, lebt aber auch in einer anderen Zeit. Findest du, dass der Stichling ein Buch ist, das man heute gut mit jungen Leuten in der Schule lesen kann?

In der Tat ist das eine Rückmeldung, die ich oft bekomme, auch von Lehrer:innen. Viele halten Stichling für ziemlich geeignet. Zum einen, weil das Buch den Krieg thematisiert und zum anderen, weil es den Leser:innen das Unglück der frühen Geburt aufzeigt. Wenn du also 100 Jahre früher geboren wärst, dann könnte es gut sein, dass du mit 16 nicht deine weitere Ausbildung planst, sondern direkt aus der Schule in den Krieg musst. Auch sonst passt es gut: Das Buch ist nicht zu dick und es ist historisch. Ich habe – vor Corona – auch eine Lesung an meiner alten Schule gemacht und da haben es dann zwei, drei Klassen gelesen. Ich würde Stichling allerdings erst in der Oberstufe behandeln.

Du schreibst am Anfang des Buches, dass du viel Inspiration von deinen Großvätern gewonnen hast. Wie viel in Stichling ist Realität und wie viel Fiktion?

Es ist viel weniger Realität, als die meisten Leute denken. Wenn man ein bisschen nachbohrt, dann wird schnell klar, dass es nicht ganz hinhaut, dass mein Opa in den Ersten Weltkrieg gezogen ist. August, den Opa August, den gab es schon und es gibt auch ganz viel vom Setting des Buches: das Haus, in dem August wohnt, das ist sein und mein Elternhaus. Aber in der Tat haben meine beiden Opas eher vom Zweiten Weltkrieg erzählt, den sie selbst als Soldaten miterlebt haben. Ich habe mich aus verschiedenen Gründen inhaltlich für den Ersten Weltkrieg entschieden. Zum einen, weil ich ihn für den, zumindest in Teilen, interessanteren Krieg halte. Er war viel grundlegender für das, was in den letzten 100 Jahren auf der Welt passiert ist. Zum anderen, weil ich mich in meinem Geschichtsstudium schon viel mit dem Ersten Weltkrieg beschäftigt habe. Als dritter Punkt kommt hinzu, dass über den Zweiten Weltkrieg einfach schon viel mehr gesagt wurde, als über den Ersten. Zumindest gefühlt. Das heißt, letztendlich vermischt sich ganz viel Fiktion mit Erlebnissen, von denen mein Opa mir erzählt hat. Augusts Geschichte im Stichling ist also auf jeden Fall mehr Fiktion, als viele vielleicht annehmen. 

Du sagst, du hast dich im Studium schon viel mit dem Ersten Weltkrieg befasst. Wie viel Recherche steckt denn insgesamt im Stichling?

Eine Menge. Ich habe das Buch 15 Jahre lang geschrieben, was bei 200 Seiten, die am Ende rauskommen, natürlich viel zu lang ist. Das liegt aber auch daran, dass ich Stichling nebenbei geschrieben habe und das Manuskript auch lange gelegen hat, als es eigentlich schon fertig war. An reiner Schreibzeit war es also natürlich weniger als 15 Jahre, aber trotzdem eine Menge Recherche. Ich habe einen großen Teil meines Hauptstudiums dem Ersten Weltkrieg gewidmet und auch meine Prüfungen, sowohl in Geschichte als auch in Medienwissenschaft und Germanistik, über Kriegsliteratur, Kriegsfotografie und speziell zum ersten Weltkrieg abgelegt. Ich habe also ziemlich viel der Primär- und Sekundärliteratur über den Ersten Weltkrieg gelesen, die es bis etwa 2010 schon gab.

In deiner Biografie am Ende des Buches beschreibst du dich als Kriegsdienstverweigerer. Woher kommt dein großes Interesse am Krieg, dem Ersten Weltkrieg im Besonderen? Ist das nicht ein Widerspruch?

Ich interessiere mich in der Tat weniger für den Krieg an sich. Mein kleiner Sohn findet zum Beispiel gerade Panzer stark. Es ist nicht also nicht so, dass ich Panzer stark finde oder Kanonen. Ich finde den Krieg als Mechanismus, als historisches und sozialgeschichtliches Ereignis sehr interessant. Der Erste Weltkrieg hat zum Beispiel die Industrialisierung aufs Schlachtfeld gebracht. In den Kriegen zuvor hat man sich noch mit einem Säbel gegenübergestanden, hat nacheinander aufeinander geschossen. Als dann im Ersten Weltkrieg die Mechanisierung aufs Schlachtfeld kam, war niemand auf Maschinengewehre oder einen Panzer und deren Zerstörungskraft vorbereitet. Das war alles neu und ganz grausam.

Klar, kriegt man in Stichling auch militärische Dinge vermittelt: Wie sehen die Gewehre aus und wie hat das alles funktioniert. Was ich aber viel faszinierender finde ist, dass wir in Deutschland seit 75 Jahren in Frieden leben. So lange hat noch kaum jemand in Frieden gelebt. Ich konnte mir – und kann es bis heute nicht – nie vorstellen, dass fast alle jungen Männer mit 16 freiwillig oder mit 18 gezwungenermaßen in den Krieg gezogen sind. Die hatten keine Alternative. Wie schlimm ist das? Da wurde eine ganze Generation junger Menschen ausradiert oder kam psychisch und/oder körperlich schwer versehrt zurück nach Hause. Was das auch mit einem Land macht. Der Erste Weltkrieg hat natürlich einen großen Anteil daran, dass wir in Deutschland in der Weimarer Republik und im Zweiten Weltkrieg geendet sind. Und die Gnade einer späten Geburt in Mitteleuropa ist einfach das größte Geschenk, das uns gemacht wurde. Dass wir in einem Land aufwachsen konnten und können, in der die meisten von uns nie persönlich oder direkt in einen Krieg involviert waren. Das habe ich am Anfang auch geschrieben: Man kann sich das Leid des E​rsten Weltkrieges nicht im Geringsten vorstellen. Im Endeffekt wissen wir einen Scheißdreck. Deshalb habe ich Stichling auch meinen Söhnen gewidmet. Weil ich mir wünsche, dass ihnen ein solches Leid erspart bleibt. ​

Und noch eine Frage zum Abschluss: Warum sollte man Stichling lesen, selbst wenn man vielleicht keine Lust auf Kriegsgeschichten hat?

Man sollte Stichling lesen, wenn man Freude an Sprache hat. Das ist für mich persönlich ein wichtiger Teil des Buches: Sprache und Stilistik. Wer in irgendeiner Form Lust hat, sich mit Sprache auseinanderzusetzen – mit dem, was Sprache machen kann und mit dem, was man mit Sprache transportieren kann – der sollte Stichling lesen. Das Buch zeigt, dass man mit Sprache alles abbilden kann: wunderschöne Natur aber auch absolut grausamen Krieg. Und in beiden Fällen ist es die gleiche Sprache, die verwendet wird. 

Und alle, die eigentlich keinen Bock auf Kriegsliteratur haben, sollten Stichling vor allem deshalb lesen, weil sie auf nur 200 Seiten einen Einblick in ein Thema bekommen, das bisher vielleicht ein weißer Fleck für sie war. Ich erzähle Augusts Geschichte zwar zum Teil drastisch, aber relativ schnell nachdem es drastisch wurde, wird's auch wieder schöner. Und 200 Seiten hat man ja auch schnell gelesen.


Bereits erschienen im Buchfink Verlag sind:

Kaufen kann man diese Bücher und Papeterie unter www.buchfink-verlag.de. Weitere Veröffentlichungen sind bereits auf dem Weg, es lohnt sich also, die Au​gen und Ohren offen zu halten.


Foto: Linda Blatzek​

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