Interviews
13.08.2015 Ralf Hoff teatrier
Auf ein Glas mit... Marc-Bernhard Gleißner

"Alles wird verrückt."

​​Seit dem 1. August ist Marc-Bernhard Gleißner Leiter der neu geschaffenen "Sparte 0.1" am teatrier. hunderttausend.de hat sich mit ihm in unserer Rubrik "Auf ein Glas mit..." bei morgendlichem Kaffee über seine Pläne, Ideen und Konzepte unterhalten.

 
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Der gebürtige Thüringer kam einst nach Trier, um Theologie, Germanistik und Philosophie zu studieren. Als Kulturschaffender ist er bereits seit 2004 unterwegs, gründete er doch unter Anderem die studentische Theatergruppe "Kreuz & Quer" und war dort neben Regie und Dramaturgie auch als Schauspieler tätig. Am teatrier setzt er diesen Weg nun konsequent fort.

hunderttausend.de: Hast Du ein Morgenritual? Was machst Du morgens als Erstes?

Marc-Bernhard Gleißner: Ich springe auf, schalte das Handy aus und greife zur Zahnseide. 

Digital oder analog?

Digital. 

Stadtbus oder Fahrrad?

Laufen.

Wofür gibst Du zu viel Geld aus? Wofür kann man gar nicht genug Geld ausgeben?

Die Antwort ist die gleiche: Tee. Ich habe zu Hause eine Sammlung von 168 verschiedenen Teesorten, ein kleines Teemuseum. Natürlich nicht nur zum Anschauen, sondern auch zum Trinken. Das ist eine Leidenschaft.

Angenommen, morgen geht die Welt unter. Wie verbringst Du Deinen letzten Abend?

Höchstwahrscheinlich mit den Leuten von "Kreuz & Quer" – um dann wieder über irgendwelche seltsamen Dinge nachzudenken, die man noch auf die Bühne bringen kann. Auch wenn das am nächsten Tag dann natürlich nicht mehr funktioniert. 

Viez oder Moselwein?

Die Antwort lautet wieder: Tee! Ich bin allergisch gegen Alkohol. 

Die Sparte 0.1 trägt keine nähere Bezeichnung wie "Tanz" oder "Musik" im Namen. Was kann man sich darunter vorstellen?

Wir haben die Sparte 0.1 "Partizipations- und BürgerInnen-Theater" genannt. Es geht darum, die Freie Szene an das Theater anzudocken und auch Leuten, die eher theaterfern sind, die Möglichkeit zu geben, Theater aktiv mitzugestalten.  Seit der Diskussion um die Kulturleitlinien vor zwei Jahren wird von Künstlern und Kulturschaffenden der Region eine vernetzende Einheit gefordert, die eine Kommunikation unter ihnen allen schafft. Es gibt eine sehr große Kulturszene in Trier, nicht nur Volkstheater in den einzelnen Stadtteilen, sondern auch studentisches Theater oder viele Bands – das alles wollen wir miteinander vernetzen und an das Theater binden. 

Welche maßgeblichen Ambitionen liegen diesem Konzept zugrunde?

In Trier liegen viele großartige Ideen auf der Straße. Man muss mit den jeweiligen Leuten ins Gespräch kommen und dann zusammen Formate entwickeln – so kann ein BürgerInnen-Theater entstehen, das allen Trierern gehört, nicht bloß als Zuschauer, sondern auch als Mitwirkende. Wir ermöglichen eine kulturelle Teilhabe und die Chance, selber kreativ tätig zu werden. Theater kann Vieles leisten, man muss nur die Leute auch motivieren, sich selber als Kulturschaffende zu verstehen. 

Ist es auch Deine Intention, neue Zielgruppen zu erschließen und zum Beispiel ein jüngeres Publikum zu einem Theaterbesuch zu bewegen?

Es geht darum, sich dem Theater als grenzübergreifendes Kulturprodukt fernab bestimmter Zielgruppen und ganz ohne Barrieren zu nähern. Obwohl zum Beispiel ich selbst schon seit der vierten Klasse Theater spiele und generell sehr kulturaffin bin, hatte ich bis vor Kurzem noch eine große Distanz zur Oper. Das mag zwar daran liegen, dass ich musikalisch auf beiden Ohren taub bin (lacht) – bei einem Besuch der Trierer Oper über eine Freikarte aber habe ich es geschafft, diese Barriere abzubauen. Tolle Regisseure, die auch schauspielerisch aus den Sängern einiges herausholen – das hat mir dann schlussendlich den Zugang verschafft. Solche Zugänge zu ermöglichen kann schon im Kindergarten anfangen – dort ist es spannend, zu sehen, wie sich die Kleinen ganz unbefangen an Kunst und Kultur heranwagen. Da kann man schon mit einer Förderung ansetzen.

Wann kamst Du auf die Idee, zum Theater zu gehen und wie kam die Kooperation zustande?

Das ist eine lange Geschichte. Unter Anderem war ich in der Berufungskommission, in der Karl Sibelius zum neuen Intendanten berufen worden ist, bin seit 2011 in der Kulturpolitik tätig, aber eben auch mit "Kreuz & Quer" schon seit 2004 selber als Kulturschaffender aktiv. 2014 haben wir GrAFiTi, das studentische Theaterfestival der Großregion, nach Trier geholt – das war ein sehr engagiertes Projekt über eine Woche und spielte in der ganzen Stadt. Es kam der Moment, wo ich mich fragte: Will ich weiterhin in der Politik arbeiten oder mich einer Sache widmen, die eher meinem Naturell entspricht? Mir ist es schwergefallen, das politische Ehrenamt aufzugeben, ich weiß aber, ich tue das Richtige. Kulturschaffender als Haupttätigkeit – ein Traum ist wahr geworden.

Wie gut, denkst Du, kennst Du die Stadt? Weißt Du, was in Trier funktionieren kann und wozu die Trierer vielleicht nicht so gut passen?

Als ich 2004 anfing, Theater zu machen, habe ich auf Trier gar nicht geschaut. Damals gab es keine deutschsprachige Theatergruppe an der Hochschule – und ich fing an, eine solche zu entwickeln. Wir haben "Der gestiefelte Kater" aufgeführt und das endete in absoluter Anarchie innerhalb der Regie und tanzendem Publikum auf der Bühne. Daraufhin haben wir versucht, weiter Interaktion mit dem Publikum zu betreiben, verrückte Dinge auszuprobieren und uns ins Gespräch zu bringen. Seitdem glaube ich, dass in Trier unheimlich viel möglich ist. Ich weiß, wo die Potentiale liegen, muss aber erst einen Bezug zu den entsprechenden Leuten herstellen. Meine Aufgabe bis Ende des Jahres ist es, mit allen Kulturschaffenden der Freien Szene zu sprechen, die Stadtteile zu bereisen und zu schauen, was es an Kultur vor Ort gibt – sei es das Freie Volkstheater in Feyen oder Karneval in Ehrang. Wenn wir die Sparte 0.1 als Mitmachtheater verstehen wollen, müssen wir den Trierern die Chance geben, ihre Ideen zu verwirklichen und mit dem teatrier zu verknüpfen. Dies gemeinsam zu machen, lässt die Leute aufgeschlossener werden, auch für die verrücktesten Formate. In Trier gibt es ein Solidaritätsgefühl – die Trierer stehen dahinter, was sie machen. 

Was sind die ersten Produktionen? Was haben wir in naher Zukunft von der Sparte 0.1 zu erwarten?

Am 26. September ist das erste Sinfoniekonzert des Orchesters, bei dem wir hundert Flüchtlingen kostenlos ermöglichen, kulturell teilzuhaben. Am 30. und 31. Oktober wird zu Halloween in Kooperation mit dem Theater-Netz Trier die "1. Trierer Horrornacht" stattfinden. Dabei gibt es zwei Konzepte – am ersten Abend bespielen wir den Campus II der Universität Trier mit einem interaktiven Skript, am zweiten präsentieren wir einen "Grand Guignol-Abend". Das ist klassisches französisches Horrortheater, von dessen Ästhetik sich der gesamte amerikanische Horrorfilm ableitet– und der Erfolg des Grand Guignol misst sich seit je her daran, wie vielen Damen in der ersten Reihe ohnmächtig werden (lacht). Das teatrier trägt mit zwei Produktionen dazu bei, "Sweeney Todd" und "Dr. Jekyll und Mr. Hide". Die Freie Szene präsentiert drei andere Stücke – hier haben wir es geschafft, das studentische Theater mit unterzubringen und in der Richtung möchte ich weitermachen. 

Ansonsten laufen gerade die Umbauarbeiten im Foyer zum Theaterpark, der Raum wird geöffnet und f​uturistischer aussehen. Alles wird anders, alles wird verrückt. Der Garten wird als Begegnungs- und Interaktionsraum mitgenutzt, unsere Premieren im September werden von verschiedenen lokalen Bands begleitet – wir bringen die Freie Kultur mit der Institution teatrier zusammen. Die Kommunikation läuft, es finden viele tolle Gespräche statt. Das wird ein sehr gutes Projekt. ​

Nächste Woche treffen wir uns "Auf ein Glas mit..." Katharina John, Leiterin der Sparte Oper am teatrier. 

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