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20.11.2016 Vincenzo Sarnelli Vincenzo Sarnelli
Serdar Somuncu in der Arena Trier

„Ich stelle mir Frauke Petry nackt vor“

​Ein Türke, der von der AfD wegen Volksverhetzung angezeigt wird und sich wahlweise als „Hitler“ oder „Gott“ bezeichnet: Serdar Somuncu hat eine beispiellose Karriere auf der Bühne hingelegt und Provokation, Zynismus und Pöbelei zur Kunst erhoben. Am gestrigen Samstag begeisterte er rund 800 Zuschauer in der Arena Trier.

 
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​Kabarettist möchte er eigentlich nicht genannt werden, sagte Somuncu einmal in meinem Interview und ließ offen warum. Wer ihn auf der Bühne erlebt, sieht einen streitbaren Mann, der viele Mechanismen und Gedanken der Gesellschaft, in der wir leben, durchdrungen oder sie zumindest in so weit aufgeklärt hat, dass er sie karikieren kann. Dass er dabei nicht selbst zu eben dieser Karikatur verkommt, ist seine größte Stärke. Er ist kein Abklatsch seines plumpsten Witzes, sondern erkennt sich selbst als eine moralische Instanz, ohne diesen Anspruch jemals formuliert zu haben. 

Hassismus nennt er diese Form der Kunst, die er zur Religion, zur politischen Bewegung, zur Ideologie stilisiert. Seine Fähigkeit auch hier den Duktus „des Führers“ oder eben geistiger, moralischer Führer unserer Gesellschaft so anzuwenden, dass sie zum Einen der Lächerlichkeit preisgegeben werden, zum anderen aber gleichzeitig entlarven, dass das staunende, applaudierende, begeisterte Publikum eben genau dieser Form des Populismus zujubelt, ihm genauso verfällt wie diejenigen, die man heute als stumpfe Trump- und AfD-Wähler verspottet. „Jede Minderheit hat ein Recht darauf beleidigt zu werden“, sagt Somuncu und der Saal jauchzt. Eine Form des „Darf er das?“, dass ohne Selbsterhöhung auskommt. Ohne Hashtag, sondern roh und in seiner Form so direkt, dass einem das Lachen schonmal im Halse stecken bleibt. Somuncu ist ein Alleskönner. Er spielt, karikiert, blamiert, verspottet die Elite genauso wie das Prekariat. Er ist ein „Gott“, der nicht über den Dingen steht, sondern mittendrin. Ein „Gott“, der eigentlich keiner ist, weil er selbst keine Verantwortung trägt für das, worüber sein Publikum lacht oder eben nicht. 

Derbe Witze und sexualisierte Wortwahl sind ihm da übrigens genauso gerne willkommene Gäste wie fast schon philosophisch anmutende Passagen seines Programms, in denen er sinniert und vermeintlich spontan beginnt Zusammenhänge zu knüpfen. Immer frei nach dem Credo: Meine Verantwortung endet dort, wo das Denken des Publikums beginnt. Ein Somuncu-Abend ist ein Gewinn. Aber ein schmutziger. Nicht etwa, weil der 48-Jährige im Alter mittlerweile weiser und wissender wirkt, sondern weil er seine „Hassisten“, wie er seine Anhänger nennt, zurücklässt. Ohne Erkenntnis. Mit vielen Gedanken. Manchen Fragen. Aber in erster Linie mit einem schlechten Gewissen. Vielleicht ist er damit einer der größten Populisten unserer Zeit. Weil er es schafft mit Sprache eine Brücke ins Gutmenschentum, im besten Wortsinne, zu bauen. Weil er ein politisches, fast schon moralisches Bewusstsein schafft, aber am Ende die Verantwortung für das Gedachte eben doch von sich schiebt. Er ist eine Figur auf der Bühne. Eine Karikatur der Gesellschaft. Somuncu ist aber in erster Linie eines: Ein begnadeter Wortkünstler, der mit dem Wort Pimmel genauso gute Pointen macht wie mit dem Wort Politik. Vielleicht ist dabei aber auch einfach die Schnittmenge zu groß. 

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