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08.02.2023 hunderttausend.de  
Stadt Trier

Familiengeschichte aus dem Hunsrück als Buch des Monats der Stadtbibliothek

​​Daniela Dröscher liest am Donnerstag, 9. März, 19 Uhr, in der Wissenschaftlichen Bibliothek aus ihrem Buch. Die von Florian Valerius moderierte Vorstellung ist der Auftakt der feministischen Lesereihe „You gonna hear me roar“.

 
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​Warum hat es keine bedeutenden Künstlerinnen gegeben? fragte vor über 50 Jahren in ihrem bahnbrechenden Beitrag mit dem gleichnamigen Titel die amerikanische Kunsthistorikerin Linda Nochlin. In den letzten Dekaden versuchten mehrere Intellektuelle Antworten zu geben. Das Buch „Lügen über meine Mutter“ von Daniela Dröscher beschreibt einen Lebensweg, der mit der Fragestellung von Nochlin eng verbunden ist. Die Wissenschaftliche Bibliothek präsentiert den Roman als Buch des Monats Februar.

Autorin Daniela Dröscher, die im Hunsrück aufgewachsen ist und in Trier studiert hat, erzählt in ihrem autobiographischen Roman die Geschichte ihrer Mutter. Einer klugen und ambitionierten Frau, die eigene Träume aufgegeben hat, um für ihre Familie zu sorgen. Wie unzählige Frauen und Mütter, die keine bedeutenden Künstlerinnen, Autorinnen, Politikerinnen oder Geschäftsführerinnen geworden sind, obwohl sie das Potenzial dafür hatten.
Der Roman führt in die 80er Jahre im Hunsrück– eine Welt fest in geschlechtlichen Stereotypen gefangen. Man sieht die Familie durch die Augen eines aufmerksamen Kindes, das die Aufgabenverteilung der Erwachsenen nicht in Frage stellt, aber Ungleichheiten und die Bemühungen der Mutter sieht, die nicht nur für die Verwandten sorgt, sondern auch für ein Nachbarskind.
Demgegenüber gibt es den Vater, der stark auf seine eigene Karriere und Hobbys konzentriert ist. Für eigene Misserfolge macht er das Übergewicht seiner Frau verantwortlich und setzt sie ständig unter Druck. Schönes Aussehen gehörte zu den Pflichten der guten Ehefrau, nicht so deren berufliche Tätigkeit, die als Gefährdung des Familienlebens galt.

Die kleine Erzählerin fühlt sich mit beiden Eltern verbunden. Manchmal erlebt sie die Mutter durch die Augen des Vaters und schämt sich für deren Übergewicht. Das Kind sieht zwar die erschöpfte Mutter, die zwischen neuen Diäten und der Betreuung von Kindern und Großmutter klarzukommen versucht, aber erst später, als erwachsene Frau, kann sie ihre Lage verstehen. In kurzen Kapiteln, die die Haupterzählung unterbrechen, reflektiert die erwachsene Autorin ihre Kindheit. „Das Narrativ ‚self-made-man‘ aber ist fatal“, schreibt sie über den Vater. „Denn die Karrieren dieser Männer und Väter basieren natürlich auf der Ausbeutung anderer Gruppen, die im höchsten Maße systemrelevant waren, aber nichts oder viel zu wenig verdienten: Mütter und Frauen“.

Die Autorin analysiert die Situation der Mutter: „Die wohlhabende oder auch nur finanziell unabhängige Frau stellt im Patriarchat eine Provokation dar (…) Ihre Potenz ist eine Gefahr für den männlichen Körper“. Damit steht Dröscher in der Tradition der Autorinnen, die sich mit den Fragen der Ausbildung und Berufstätigkeit der Frauen auseinandersetzten, beginnend mit den berühmten Essays „Ein Zimmer für sich allein“ und „Drei Guineen“ von Virginia Woolf.

Sie errichtete ein Denkmal für ihre in Stereotypen gefangene Mutter und wurde dafür für die Shortlist des Deutschen Buchpreises 2022 nominiert. Damit ist ihr autobiografischer Roman eine der bestmöglichen Antworten auf die rhetorische Frage von Linda Nochlin, die das Patriarchat als System auf den Prüfstand stellt. Es ist ein Versuch, die Marginalisierung der Frau anhand einer bewegenden Lebensgeschichte anstatt durch Statistiken, Zahlen und Quoten zu erklären.

Daniela Dröscher liest am Donnerstag, 9. März, 19 Uhr, in der Wissenschaftlichen Bibliothek aus ihrem Buch. Die von Florian Valerius moderierte Vorstellung ist der Auftakt der feministischen Lesereihe „You gonna hear me roar“ – ein Projekt der Wissenschaftlichen Bibliothek, der städtischen Frauenbeauftragten Angelika Winter und des Jugendforums Trier.

Text: Stadt Trier


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