Interviews
23.06.2016 Vincenzo Sarnelli Veranstalter
Chris #2 von Anti Flag im Interview

"Auf der richtigen Seite"

Das Anti Flag eine politische Band ist, kann man schon am Namen sehen. Was liegt dort also näher als im Interview zum Konzert der Band auf dem Southside und der Headlinershow am 28. Juni im Exhaus, präsentiert von Popp Concerts und Nicebandnights, auf der Sommerbühne, die politische Lage zu checken. Mit Bassist Chris #2 (Bild: Zweiter von Links) sprachen wir über Donald Trump, die Flüchtlingskrise und Nationalismus. 

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hunderttausend.de: Hey, Chris #2 von Anti Flag, schön, dass das mit dem Interview klappt. Ich habe neulich von Dir gelesen, dass du Eure aktuelle Platte American Spring eher für eine untypische Platte von Euch hältst. Warum? 

Chris #2: Ehrlich gesagt, ist es einfach ein viel persönlicheres Album. Es gab einige Momente, die mein Leben radikal verändert haben, bevor ich angefangen habe, die Songs zu schreiben. Meine Beziehung ging zu Ende und darauf war ich nicht vorbereitet. Ich war eigentlich die gesamte Zeit, die ich bei Anti Flag bin, auch in dieser Beziehung, mit dem gleichen Partner. Und dieses Mal war das erste Mal, dass ich Songs schreiben musste, ohne das zu haben. Das hat den Texten eine deutlich emotionalere und mitfühlendere Note gegeben.
 
Wie muss man sich den typischen Album-Entstehungsprozess bei Euch vorstellen? Grade bei politischen Themen prallen da doch Meinungen aufeinander. Schreibt Ihr die Texte zusammen?
 
Wir schreiben alles zusammen. Normalerweise hat einer von uns, Justin oder ich, den Kern eines Songs und bringt das in die Band ein. In diesem Prozess ändert der Song dann seine Form nochmal. Oft sind es Dinge, die in der Welt passieren, die einen von uns inspirieren und der muss die anderen dann davon überzeugen, den Fokus darauf zu legen. Wenn dieser Kampf beginnt, gewinnt die stärkste Meinung. Aber nach zehn Alben und 20 Jahren vertrauen wir uns in diesem Punkt.
 
Das Album startet mit dem Song Fabled World, einem Abgesang auf die Welt, in der wir derzeit leben. Ihr habt Euch Eure politische Haltung seit Gründung der Band bis heute bewahrt. Es gibt dort zwei Dinge, die mich beschäftigen: Zum einen, wie seht Ihr Eure Aufgabe als Band in Hinsicht auf die Message, die Ihr transportiert? Seid ihr bloß Botschafter einer besseren Welt?
 
Unser einziger Job ist es, Kunst zu schaffen, an die wir glauben können. Das kann man nicht vortäuschen. Wir können uns glücklich schätzen, dass wir Teil einer Community sind, die Empathie vor alles stellt. Menschen vor Profit. Wir als Band sind keine Botschafter, aber dieses Kollektiv ist es. Die Musik ist eine Art und Weise, Menschen zusammen zu bringen und diese gemeinsame Stärke zu finden.
 
Zum anderen interessiert mich auch, inwieweit Ihr, ob der dramatischen Botschaften jeden Tag, noch immer an eine gute, lebenswerte Welt für alle glaubt. Ihr singt im Song All The Poison, All Of The Pain „Away, away I can’t get away from all the poison, from all the pain“. Ist die Situation, in der sich die Menschheit befindet, aussichtslos?
 
Es gibt Zeiten, in denen fühlt es sich sehr aussichtslos an. Und dann spielen wir eine Show, treffen Leute, die genauso gut grade in einem Krieg kämpfen könnten, die in der Armee sein könnten, um zu kämpfen, zu töten und für den Status Quo des Korporatismus zu sterben. Dieser Moment, wenn wir merken, dass wir nicht alleine sind mit unseren Ansichten, lässt uns uns einen gewissen Optimismus bewahren, den wir in den Momenten, in denen wir uns hilflos fühlen, brauchen.
 
Den Status als „politische Punkband“ habt Ihr ja definitiv inne. Hat Euch dieses Korsett des Politischen irgendwann auch mal eingeengt, sodass Ihr nicht das tun konntet, was Ihr eigentlich gerne getan hättet? Zum Beispiel einfach mal eine rosarote Liebesschnulze schreiben?
 
Wir schreiben die Songs, die wir schreiben wollen. Ja, es gibt eine politische Agenda in dem, was wir machen, aber wir sind doch keine Roboter. Wir spielen in einer verdammten Punk Rock Band! Wir genießen das Leben, das Miteinander. Und wir wissen schon ein bisschen was darüber, wie man Spaß haben kann.
 
Ihr steht mittlerweile seit über 20 Jahren auf der Bühne. Songs wie This is the End oder Die for the Government hatten und haben einen großen Einfluss in der politischen Punk-Welt bis heute. Ein deutscher Kabarettist sagte mal, dass er mit den gleichen politischen Geschichten schon seit 30 Jahren auftritt und diese bis heute immer noch aktuell sind. Was ist mit Euren Songs? Gibt es welche, die Ihr nicht mehr spielt, weil Dinge sich verbessert oder grundsätzlich geändert haben?
 
Wir haben Fuck Police Brutality im Jahr 1996 geschrieben, weil es in unserer Heimatstadt Pittsburgh die höchste Quote an Polizeigewalt in ganz Amerika gab. Heutzutage ist dieser Song, bezogen auf die gesamte amerikanische Ebene, krasser denn je. Absolut frustrierend eigentlich. Aber wir sind froh, dass wir eine Gegenstimme zu diesen Dingen aufbauen können. Es ist ermutigend, zu wissen, dass wir in dieser Hinsicht auf der richtigen Seite der Geschichte stehen.
 
Die politische Lage in den USA ist derzeit wieder großes Thema in Europa. Bei allem, was auch hier falsch läuft: Wie zum Teufel kann jemand wie Donald Trump Präsidentschaftskandidat werden?
 
Weil er eine Marionette der Massenmedien ist und den Status Quo des Korporatismus zementiert. Wir müssen wirklich besorgt sein. Die Menschen sollten sich vor Trump fürchten, es ist kein Scherz mehr. Die traurige Wahrheit ist aber auch, dass wir die Präsidenten bekommen, die wir verdienen.
 
Und warum zum Teufel jemand wie Bernie Sanders nicht?
 
Naja, aufgrund der gleichen medialen Mechanismen.
 
Auch in Europa läuft vieles schief. Die Flüchtlingskrise, die eher eine Menschlichkeits-Krise ist, das Erstarken der Rechten in vielen europäischen Ländern. Wenn Ihr hier auf Tour seid, nehmt Ihr da auch etwas die politische Stimmung in den verschiedenen Ländern wahr? Was erlebt Ihr in dem Zusammenhang?
 
Wir versuchen schon, Leute zu treffen. Wir haben viele alte Freunde, Mitglieder von Organisationen und Friedensbewegungen, die zu unseren Shows kommen. Wir versuchen, den politischen Zeitgeist überall zu erfassen, wo wir uns befinden. Aber wir müssen in dem Zusammenhang schon auf die Beziehungen zurückgreifen, die wir haben und deren Sicht der Dinge. Man kann nicht alles wissen. In dem Zusammenhang: All diese Krisen, die Du angesprochen hast, lassen sich zurückführen auf die Waffen-und Rüstungs-Geschäfte auf der ganzen Welt. Die Menschen, die damit Geld machen, sind die Profiteure und Urheber dieser Krisen.
 
Gerade ist ja wieder Fußball-Europameisterschaft. In dieser Zeit flammen immer wieder auch Nationalismus-Debatten in den Medien hoch. Darüber, ob man die Farben seiner Nationalmannschaft und damit die seines Landes tragen darf und soll. Grade in Deutschland aufgrund der Geschichte ein heikles Thema. Glaubt Ihr an so etwas wie positive nationale Identität?
 
Anti Flag sieht sich als standhaft anti-national. Für uns macht das überhaupt keinen Sinn. Und die Geschichte beweist das.
 
Ihr habt schon 2010 in Trier gespielt. Kurzfristig angesetzt und in einem extra kleinen Saal. Wie wichtig sind Euch auch solche Gigs, die dann auch noch für einen guten Zweck sind?
 
Unfassbar wichtig. Wir können uns oft machtlos ob der vielen Probleme fühlen. Wir sind nicht wirklich reich im ökonomischen Sinne, aber wir können mehr als das sein. Mit unserer Kreativität und unserer Gemeinschaft können wir versuchen, die Probleme einzudämmen und vielleicht sogar die Möglichkeit auf ein Ende liefern.  
 
Habt Ihr Erinnerungen an diesen Abend?
 
Na klar, einige! Wir spielen immer wieder gerne in Trier und freuen uns, bald wieder zurück zu sein.
 
Danke für das interessante Gespräch und viel Spaß auf dem Southside Festival und bei uns in Trier auf der Exhaus Sommerbühne!
 
Dank dir auch. Wir sehen uns bei den Shows!

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