Interviews
05.11.2016 Vincenzo Sarnelli Simon Engelbert/PHOTOGROOVE
Von Brücken in Prüm beim Eifel hilft e.V.

"Ich bin ein stabiler, mittelalter Mann"

​Am Freitag, den 28. Oktober 2016 veranstaltete Eifel hilft e.V. ein Benefizkonzert in Prüm. Mit von der Partie sind neben den Bands Elastiq und RoxxBusters auch Von Brücken. Wir sprachen mit Nicholas Müller und Tobias Schmitz über den guten Zweck, den Verein Eifel hilft und noch so viel mehr, dass wir aus den Interviews zwei Teile gemacht haben. Hier nun Teil Eins: Nicholas Müller.  

 
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hunderttausend.de: Nicholas, Wie gehts dir?
 
Nicholas Müller: Hervorragend, danke für die Nachfrage.
 
Wie oft wirst du das noch gefragt? Mit einem gewissen Unterton?
 
Du meinst, mit dem Gedanken, dass die Antwort auch schlecht sein könnte? Klar, häufiger. Das ist aber auch okay. Es gab ja viel zu besprechen und ich hab auch viel drüber gesprochen. Und da sollte es mich auch nicht ärgern, wenn die Leute dann fragen. Wenn sie dann aber besorgt sind, weil ich irgendwo, irgendwie mal was geschrieben habe, dann ist man schnell Ziel vieler Fragen.
 
Das habe ich auch beobachtet. Du hast vor kurzem bei Facebook eine Midnight-Session gemacht, in der du Songs in deiner Küche gecovert hast via Facebook-Live. Und da war deine Gesundheit großes Thema. Die Tatsache, dass du abgenommen hast und so spät nicht schlafen kannst und so. Wie fühlst du dich dabei? Einerseits ist es schön, wenn Menschen sich um einen sorgen, aber man will ja auch nicht immer in eine spezielle Ecke gedrängt werden.
 
Genau. Zunächst muss man den Leuten einfach erklären, dass aufgrund meines Musiker-Berufs mein Tagesrhytmus ein ganz anderer ist. Und natürlich sitze ich dann nachts bis drei Uhr in meiner Küche, weil das den Rest der Woche auch nicht anders ist, weil Songs geschrieben und Konzerte gespielt werden müssen. Das ist also das Normalste der Welt. Was ein bisschen genervt hat, war die Sache mit dem Abnehmen. Es ist natürlich einiges runter und es ist auch okay, dass man da fragt. Auch meine Tante fragt mich, ob alles gut bei mir ist. Ja, es ist alles gut bei mir. War Absicht (lacht). In diesen Momenten hat es dann so ein bisschen was von Promi-Flash oder In-Touch. Und da seh ich mich selbst nicht und gehöre auch nicht hin. Es gibt so viele interessante Dinge, die man fragen kann. Es ist also okay, dass die Leute fragen, aber es muss nicht grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass man sich um mich Sorgen machen muss. Ich bin mittlerweile ein stabiler, mittelalter Mann.
 
Sehr gute Nachrichten. Lass uns über den Anlass des Abends bei "Eifel hilft" sprechen. Ihr wart schon immer engagiert in diesen Themenbereichen. Seid ihr es nicht irgendwann mal leid, diese Themen anzupacken, dass sich nichts ändert und es nach wie vor nötig ist, sich zu positionieren?
 
Ich bin es deshalb leid, weil es diese Leute immer noch gibt. Weil das ein Zeichen von Feigheit und Dummheit ist. Die Angst vor dem Unbekannten kann ich ja noch nachvollziehen. Aber der kann man sich stellen und auf den Grund gehen. Man kann herausfinden ob sich diese Angst lohnt. Alles andere ist blanke Feigheit. Und das es diese Sorte Mensch in einer Gesellschaft, die eigentlich so fürchterlich aufgeklärt sein müsste, gibt, regt mich auf. Ich werde darum aber nicht müde dem Texte, Ansagen und Statements entgegen zu stellen. Aber es ist schon schade, dass man diese Dinge immer noch machen muss. Es ist also nicht schade um die Texte, sondern, dass es immer noch diese Menschen gibt. Die machen mir nämlich Angst. Die sagen ja, sie sind das Volk. Und wenn das das Volk ist, dann frage ich mich, wo ich denn noch hin soll. Ich habe mich neulich noch mit einer Freundin darüber unterhalten. Wenn irgendwann mal ein Komet an der Erde vorbei fliegt, der bewirkt, dass alle Menschen für 10 Minuten vernünftig sind, dann bricht die ganze Welt zusammen. Weil wir sie auf so viel unvernünftiger Scheiße aufgebaut haben. Ob das wünschenswert ist, weiß ich also auch nicht. Es gilt also jetzt, das Beste aus dem zu machen, was wir haben. Aber dafür sind einfach immer noch viel zu viele Deppen unterwegs.
 
Du kommst ja aus der Eifel…
 
Sackeifel, ganz liebevoll.
 
Wie hast du denn die Eifel in dem Kontext kennen gelernt? Wie hast du das hier in dieser ländlicher Region wahr genommen?
 
Was mich seit jeher gestört und aufgeregt hat, war diese “Stammtischbräune“. Die gibts natürlich nicht nur hier in der Eifel. Aber ich bin in einem Dorf aufgewachsen in dem 700 Leute wohnen. Da kennt jeder jeden und man kennt natürlich auch seine Pappenheimer. Wenn ich in Münster dann an der Theke stehe und neben mir erzählt ein Idiot einen Türken-Witz, dann steh ich auf und geh. Das ist mir noch nicht mal die Diskussion wert. Der wird traurig und einsam sterben. Mit Hass und Missgunst kommst du nicht weit. Wenn du aber aufwächst mit wenig Menschen um dich herum und die Auswahl so begrenzt ist, dann nervt das natürlich mega. Ich weiß aber, dass das kein Eifel-Phänomen ist, genau so wenig wie es ein Ostdeutsches Problem ist. Diese Stammtischbräune gibt es überall. Und die ist für mich sogar gefährlicher als die hakenkreuz-tätowierten, reichskriegsflaggen schwenkenden Nazi-Vollidioten. Weil der versteckt sich wenigstens nicht hinter seinem „Ich bin ja kein Nazi, aber“-Geschwätz.
 
Ihr seid ja emotional mit dieser Region rund um Trier verbunden. Heimat ist ja immer so ein Wort. Zum einen ist es was schönes, weil es nach Zuhause klingt und nach Bodenständigkeit. Andererseits ist es auch negativ konnotiert und besetzt…
 
Ich geh da komplett mit dir. Es ist eigentlich ein schönes Wort, wenn man sich damit mal auseinander setzt. Es ist aber grade in Deutschland, im Land der Erbschuld, die ich nicht einsehe, mein Opa war Pole, absolut negativ konnotiert. Deswegen bevorzuge ich das Wort Zuhause und hab es mir auch so tätowieren lassen. Für mich ist Heimat da, wo meine Tochter ist. Klingt total kitischig, aber ist tatsächlich so. Das ist allerdings aus einem sehr bequemen Blickwinkel ausgesprochen. Wenn jemand grade aus Aleppo auf einem alten, schäbigen Kahn hier rüber geflüchtet ist und seine Heimat und Familie verloren hat, dann nimmt das nochmal ganz andere Formen an. Dann hat Heimat einen totalen Sinn. Aber hey, ich wohn im schönen, fancy Münster. Wenn ich in die Eifel will, dann setz ich mich in den Zug und fahr viereinhalb Stunden und muss keine Angst haben, dass mir jemand in den Kopf schießt. Ich kann also leider mit dem Wort Heimat wenig anfangen. Ich weiß nur, was es für mich persönlich bedeutet.
 
Lass uns über die Musik sprechen. Beim letzten Interview sagtest du zu mir, dass ihr bereits wieder an neuen Dingen schreibt. Da war eure letzte Platte „Weit Weg von fertig“ grade draußen. Wie siehts denn aus damit?
 
Für mich völlig katastrophal. Denn die Musikfraktion rund um Tobi, Ulle und den anderen Bagaluten, haben sich im Emsland in ein Studio eingemietet, in dem ich damals mit meiner ersten Band „Inner Logic“, anno als die Gummistiefel noch aus Holz waren, eine Platte aufgenommen habe. Das ist wortwörtlich am Arsch der Heide. Und da haben diese genialen Idioten, weil ich sie dafür gleichzeitig liebe und hasse tatsächlich 14 Songs geschrieben. Und die hab ich jetzt zuhause liegen. „Dann schreib doch da mal jetzt Texte drauf“. Ja, schönen Dank. Für mich ist Texte schreiben ohne Musik schwierig, ich war also nur mit im Studio um zuzugucken. Das was musikalisch dabei rausgekommen ist, darf ich sagen, ist überragend. So, dass ich sagen würde, ich würde es mir sofort selbst kaufen. Jetzt muss ich also ein paar gute Texte dazu schreiben. 14 Texte sind da wirklich ne Ansage, das ist nicht wenig. Und die sind ja noch nicht fertig. Die komponieren ja einfach weiter.
 
Wenn man dir in den sozialen Medien folgt, kriegt man schnell mit, welche Musik du so hörst. Ist das was, woraus man schließen kann, was dich persönlich grade auch lyrisch, textlich beschäftigt? Ben Folds ist zum Beispiel ein Riesen-Thema…
 
Stimmt, aber das schon seit Jahren. Wir haben den heute auf der Fahrt hierher noch gehört. Leider kann man den nicht so gut ins Deutsche übersetzen (lacht).
 
Beeinflusst dich das denn irgendwie, was du privat an Musik entdeckst?
 
Auf jeden Fall, nur die Bilder, die ich verwende, sind andere. Im Moment höre ich viel Intrumentales, wie zum Beispiel Nils Frahn. Dann ist derzeit viel isländisches dabei, wo ich kein Wort verstehe. Aktuell auch mit ganz viel Passion und Liebe die Neue von Bon Iver. Aber die schreiben sehr kryptisch und auf englisch. Dennoch, es beeinflusst mich total in den Bildern, die ich selbst entwickeln will. Aber die dürfen auch nicht totale Kunst sein, da habe ich auch gar keinen Bock drauf. Wir machen ja auch Musik für andere Leute. Wobei jeder ernsthafte Künstler würde vermutlich sagen, dass er Musik erstmal für sich selbst macht. Aber das kann ich mir bei Leuten wie David Guetta gar nicht vorstellen. Der muss ja einen unfassbar fürchterlichen Geschmack haben, wenn das, was er da macht, das Beste ist, was er für sich machen kann (lacht). Aber ich mag das, wenn Leute den Text mitsingen können und verstehen, worum es geht. Tatsächlich beeinflussen mich Bücher noch mehr, als Texte anderer Bands.
 
Was liest du denn grade?
 
Ich hab drei Sachen gleichzeitig angefangen. Aktuelle lese ich “Panikherz“ von Stuckrad-Barre. Ich hatte es eigentlich sehr lange liegen lassen, weil ich die alten Sachen von ihm nicht so mochte. Aber es ist ein phantastisches Buch. Es ist so ehrlich und dahin gekotzt mit einer Seele, dass es eine helle Freude ist. Dann lese ich Kathrine Dunns „Binewskis: Verfall einer radioaktiven Familie“. Und „Der goldene Handschuh“ von Heinz Strunk. Ich bin also ein bisschen hinten dran, was Bücher angeht. Aber vom goldenen Handschuh wird sich in meinen Texten nicht so viel wieder finden denke ich (lacht).
 
Ihr seid grade auf Tour mit Von Brücken. Aber in unterschiedlichsten Konstellationen. Ihr nennt das glaub ich „kleinstes Besteck“, "kleines Besteck" und "großes Besteck". Übersetzt bedeutet das, nur Du und Tobias Schmitz, dann in einer kleinen Unplugged Vierer-Konstellation und als große Band zu acht. Mit welcher Konstellation fühlst du dich am wohlsten?
 
Das kannst du mich glaub ich nach jedem Konzert wieder fragen und ich werd dir sagen: „Boah, das grade“. Ne wirklich. Das hat alles totale Qualität. Mit Tobi alleine zum Beispiel, da kann ich viel sabbeln. Der Tobi kann sich zwar wehren, aber grundsätzlich sind die Ansagen da gefühlt immer länger als die Musik. Wir haben grade in Hamburg zweineinhalb Stunden gespielt und davon nur zehn Songs. Es ist aber niemand gegangen, also alles total in Ordnung (lacht). Dieses kleine Besteck, da war es total interessant, die Songs, die man oft gespielt und gehört hat, anders umzusetzen. Hat total Bock gemacht. Aber grade eben beim Soundcheck hab ich nur gedacht, dass es auch nochmal schön ist mit allen auf der Bühne zu stehen. Das ist schon ziemlich mächtig, die alle im Rücken zu haben. Und wenn alle Bock haben und reinhauen, dass hat einfach was für sich. Das hier ist also keine wirklich legitime Antwort auf deine Frage, aber alle drei Sachen haben ihre Qualität und einen Favoriten habe ich jedes mal aufs Neue. 

Nicholas, vielen Dank für das Gespräch!

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