Film der Woche
10.08.2016 hunderttausend.de  
Toni Erdmann

Von Furzkissen und schlechten Witzen

​Eine verschrobene deutsche Komödie, die sich ganze 162 Minuten lang hinzieht? Der dritte Spielfilm von Maren Ade ist eine Tragikkomödie mit Vater-Tochter-Beziehung, schwieriger Stoff mit vielschichtigem Ende in einer angenehmen Leichtigkeit erzählt. In dieser Woche der Film der Woche im Broadway.

 
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Winfried, 65, Musiklehrer mit ausgesprochen großem Hang zu Scherzen und sozialromantischer Alt-68er Ader, lebt gemeinsam mit seinem alten Hund. Seine Tochter Ines dagegen ist eine kühl kalkulierende, rationale Karrierefrau​, die Firmen optimiert und dafür um die ganze Welt jettet. 

Nach dem Tod seines Hundes hält Winfried nicht mehr viel zu Hause und so besucht er spontan die selten besuchte Tochter, die er überraschend aufsucht. Gerade befindet sie sich in Bukarest, Rumänien, und macht aus dem Besuch des Vaters gute Miene zu bösem Spiel und schleppt ihren alten Herrn, der mit lauen Witzen und unterschwelliger Kritik nervt, mit zu Businessempfängen, Massageterminen und Hotelbars. Die Zusammenführung führt jedoch eher zum Eklat, als zu einer neuen Annäherung der beiden. 

Schließlich hat Winfried vor, zu verschwinden - doch er taucht nur wenig später als Toni Erdmann auf. Radikal verändert präsentiert er sein schillerndes Alter Ego mit schiefem Gebiss, schlechtem Anzug und Perücke, wilder und mutiger als Winfried. Toni mischt sich in das Berufsleben von Ines ein als Coach ihres Chefs und startet so eine Art Amoklauf aus Scherzen. 

http://www.broadway-trier.de/ 


Peter Simonischek und Sandra Hüller brillieren in ihren Rollen, das schauspielerische Duett der beiden ist allein schon sehenswert. Doch nicht nur das Familienkomplex spielt die alleinige Rolle, Regisseurin Ade bringt auch weitere Themen auf den Tisch: Frauen in der männerdominierten Arbeitswelt, Sexismus am Arbeitsplatz, Armut in der Gesellschaft, hier am Beispiel Rumäniens und einiges mehr. filmstart.de schreibt, Ade "lässt ihre Protagonisten in Fettnäpfchen treten, bringt sie in peinliche Situationen, bereitet ihnen unangenehme Momente, von der Art, wie sie im Leben ganz alltäglich, aber im Kino – zumindest in einem bei aller Situationskomik doch ernsten Film - selten zu sehen sind", dabei stelle sie aber ihre Protagonisten nicht bloß, sondern dringe zu ihrem emotionalen Kern vor und kommt zu dem Schluss, dass "in diesem Film natürlich keine schlichte Katharsis [wartet], sondern ein vielschichtiges Ende, das den widersprüchlichen und anregenden Kinostunden davor gerecht wird. 162 Minuten großes Kino."  Auch die Zeit spricht lobend über den Film, gerade auch da er in Cannes zu sehen war und Kritiker wie Besucher bewegte, schlicht "Toni Erdmann begeisterte" und führte wohl für die Leistung der Schauspieler schon während der Vorführung zu Ovationen, obwohl der Film am Ende leer ausging. Nichtsdestotrotz ist der Toni Erdmann laut spiegel.de eine "Zäsur [...] der das deutsche Publikum wieder daran gewöhnen sollte, vom Kino bewegt und gefordert zu werden". 

In Kooperation mit dem Broadway Filmtheater stellt hunderttausend.de regelmäßig den Kinofilm der Woche vor.

Foto: filmpresskit.de

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