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16.02.2019 Janine Köppel  
Politisch Korrekt

Mittendrin

Gleich von drei Seiten konnten sich die Zuschauer in der frisch eingeweihten Spielstätte an der Europäischen Kunstakademie um den Schauplatz von Politisch Korrekt scharen: ein Bistro in der Bastille. Das Stück von Salomé Lelouch feierte bereits am 25. Januar Premiere – höchste Zeit für hunderttausend.de sich selbst ein Bild zu machen.

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Alles beginnt ganz harmlos: Alexandre, gespielt von Martin Geisen, trifft am Abend des ersten Wahlgangs einer französischen Präsidentschaftswahl auf Mado (Marsha Zimmermann). Beide jung, attraktiv und damit endet auch schon die Liste der Gemeinsamkeiten. Alexandre ist von Beruf Anwalt und wirkt dank seiner arroganten Art spontan eher unsympathisch. Mado hingegen macht auf Anhieb einen liebenswerten Eindruck. Ihre Augen strahlen, sie ist chaotisch, energiegeladen und rein äußerlich das wandelnde Klischee einer Französin – Baskenmütze inklusive. Im Laufe der darauffolgenden 95 Minuten werden die Sympathiekurven der beiden jedoch eine rasante Achterbahnfahrt vollführen.

Was sie am Abend ihrer ersten Begegnung noch nicht wissen, ist, dass ihre jeweilige politische Gesinnung kaum weiter auseinanderliegen könnte. Mado ist politisch links orientiert, während Alexandre sogar Wahlkampfmanager der rechtsextremen Front National ist. Eine Katastrophe ist vorprogrammiert! Alexandre erfährt als erstes von Mados Idealen und versucht schon früh die Karten auf den Tisch zu legen. Jedoch ist ihm klar, dass das vermutlich das Ende der noch jungen Romanze bedeuten würde und er bringt es letztendlich nicht über sich. Trotz der moralischen Bedenklichkeit dieser Entscheidung, hegt man in diesem Moment das erste Mal Sympathie für Alexandre. Er ringt mit sich, möchte Mado nicht verlieren und zeigt sich menschlich.

Möglicherweise hätte er das Konstrukt auch noch eine Weile aufrechterhalten können, wären da nicht sein bester Freund und Parteikollege Louis (Benjamin Schardt) und Mados beste Freundin und – nach eigenen Angaben – Feministin und Marxistin Andrea (Nadine Stöneberg). Besonders Andrea lässt den Zuschauer durch ihre unübersehbare Klischeehaftigkeit schmunzeln: von der Holzkette bis zur bissigen Art wurde sie mit allem bestückt, was in der Stereotypen-Kiste der linken Feministinnen zu finden war. Sie und Louis sind jedoch mehr als nur die überzogenen Sidekicks der Hauptprotagonisten, indem sie die Gegenpole der Geschichte verkörpern – links und rechts, das Schwarz und das Weiß. Sie verteidigen strengstens ihre Werte und sehen im jeweiligen anderen nichts als den Feind.

Es kommt, wie es kommen muss und Mado erfährt auf unsanfte Art und Weise von der wahren Identität ihres Alexandre. Während die beiden unglücklich Verliebten noch mit ihren Gefühlen ringen und sich fragen, wie ihr Weltbild so auf den Kopf gestellt werden konnte, kennen Louis und Andrea keine Gnade. Mados und Alexandres Verzweiflung wird durch geschickt parallel inszenierte Gespräche mit deren Freunden dargestellt. Mado nimmt Alexandre gegenüber ihrer strengen Freundin in Schutz und Alexandre verteidigt Mado vor seinem Parteikollegen – es scheint, als fungierten die beiden Freunde als die Gegner, die im eigenen Inneren überzeugt werden müssen.

Andrea und Louis sind es auch, die beim finalen Treffen zu viert den Kampf von Mado und Alexandre austragen. Während diese erst weiter versuchen einander in Schutz zu nehmen und schließlich dem hitzigen Streit der anderen nur noch hilflos zusehen können, kann man dem Paar die Verzweiflung und Desillusionierung von den Gesichtern ablesen. Der Streit eskaliert und Alexandre und Mado bleiben verwundet wie nach einer Schlacht zurück. Er will Liebe von Politik trennen, sie jedoch kann seine Werte nicht von ihm abgrenzen. Eine Liebe, die sich im Laufe einer Präsidentschaftswahl entwickelte, droht nun mit dem Ausgang der Wahl zu stehen, oder zu fallen. Mado sagt selbst „mein Leben verwandelt sich gerade in eine politische Tragödie“.

Die Handlung lässt sich mühelos auf die politische Situation in Deutschland übertragen und so kommt es, dass man sich - dank der besonderen Bühnensituation - sowohl thematisch, als auch räumlich mitten drin befindet. Entgegen Andreas Urteil ist Politisch Korrekt mehr als „ein schlechtes Remake von Romeo und Julia“. Es ist ein Gesellschaftsporträt, das die aktuelle politische Situation auf die kleinstmögliche Einheit übertragt. Indem die Thematik auf eine ganz persönliche Ebene – eine Liebesbeziehung – heruntergebrochen wird, kann es vermutlich so manchem, für den Politik eher abstrakt und entfernt scheint, einen Denkanstoß geben. Mado und Alexandre zeigen, dass zwischen schwarz und weiß, oder „Gut und Böse“ ein Spielraum besteht. Durch die Persönlichkeiten des Paars werden die Grenzen, die Andrea und Louis so zweifelsfrei verkörpern, verwischt. Sogar die rechte Position Alexandres wird vermenschlicht, indem sie ein keineswegs eindimensionales Gesicht bekommt. Im Laufe der Inszenierung haben beide ihre Augenblicke, in denen man deren Verhalten nachvollziehen, wenn auch nicht immer gutheißen kann. Sogar die herzliche Mado büßt zwischendurch Sympathiepunkte ein, während Alexandre, den man aus Prinzip schon nicht mögen will, auch seine guten Momente hat.

Das Stück setzt den Zuschauer dem gesamten Gefühlsspektrum von Schmunzeln bis Beklommenheit aus. Kurzweilig und unterhaltsam bringt es ein Thema näher, das derzeit jeden betrifft. Außerdem zeigt die neue Spielstätte mit Politisch Korrekt, dass sie funktioniert. Die Inszenierung mit gerade einmal fünf Darstellern erfordert Nähe und davon gibt es in der EKA reichlich. Man fühlt sich in der Szenerie des Bistros fast schon voyeuristisch, wenn man dem Liebespaar über die Schulter schaut, während es tiefe Blicke austauscht.

 

Kommende Termine:


Foto: Martin Kaufhold


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