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08.01.2014 Ralf Hoff Veranstalter
Señor Karōshi

| ñ | ō |

Señor Karōshi aus Trier sind eine neue Band aus selbsternannten "alten Hasen" der Trierer Punkrock-Szene und veröffentlichen nun ihre Debüt-EP "| ñ | ō |", die die ersten vier Songs der noch jungen Bandgeschichte auf CD und sogar Vinyl bannt (was für lokale Bands noch immer eine kleine Ausnahmeerscheinung ist). hunderttausend.de hat reingehört.

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​"Junge Bandgeschichte" ist dabei natürlich mit Vorsicht zu genießen: Jahrelang haben die Herren in beinahe gleicher Formation (noch mit zweitem Gitarristen) unter dem Namen Corman in Trier und anderswo bei über 100 Shows komplex-hysterischen Postcore unters Volk gebracht. Da war irgendwann die Luft raus, es folgte eine Neuorientierung – und mittlerweile ist die Band beim deutschsprachigen Indie-Post-Punk angekommen. 


Hörbar inspiriert von der jüngeren Deutschpunkwelle mit Bands wie Turbostaat und nicht zuletzt den ebenfalls aus Trier kommenden Szene-Senkrechtstartern von Love A konzentrieren sich Señor Karōshi nun auf geradlinigere Songstrukturen und direktere Texte als noch zu seligen Corman-Zeiten. Dass dabei trotz nur einer Gitarre ordentlich Druck dahintersteckt, ist zu begrüßen: Señor Karōshi holen aus der limitierten Trio-Besetzung das Maximum hervor. Schon der EP-Opener "Zum Rapport" zeigt, wo die Stärken und Prioritäten der Band liegen und was als Markenzeichen des neuen Soundgewands angesehen werden kann: präzise Riffs, ein wummerndes Bass-Fundament, simples aber prägnantes Schlagzeugspiel und darüber die oftmals regelrecht gekeiften, bissigen Lyrics von Sänger Pal. Gerade dieser verrät noch sehr deutlich, mit welchen Trierer Musikern man es hier zu tun hat: meilenweit entfernt von ihrem ureigenen Sound von früher haben sich Señor Karōshi nicht und das ist auch gut so. Rhythmus und Songaufbau sind zwar reduzierter, atmen aber noch den Geist alter Tage und dass sich gerne auch mal der ein oder andere dissonante Akkord in ein Riff schleicht, ist man auch noch von Corman gewohnt, die gerne mal im Noise gewildert haben. Man schreibt sich nur neuerdings den "Punk" etwas dicker auf die Fahnen: Die Textzeile "Ich hör immer noch Musik aus meiner Jugend" in besagtem ersten Song spricht hier Bände und so macht der Opener schon zu Beginn unmissverständlich klar, wo die Reise auf "| ñ | ō |" hingehen soll. 


Im Anschluss geht es genau so weiter: Das folgende "Atmen" kleidet subtile Alltagsbeobachtungen in ein erneut krachig-impulsives Punkrock-Gewand, bevor "Der Herr im Haus" mit dem "Wahnsinn des zivilisierten Lebens" abrechnet und dazu stakkato-artige Riffs auffährt, die gerade hier angenehm an die Brüder im Geiste von Turbostaat erinnern, ohne eine bloße Kopie der Flensburger Deutschpunk-Stars zu sein. Im abschließenden "Polizei" schlüpft das lyrische Ich dann in die Rolle des versnobten Wutbürgers, um dessen Nörgeleien und Unzufriedenheit im vielleicht besten Song der EP ad absurdum zu führen. Generell sind die neuen deutschsprachigen Texte vor allem eines: ein Abgesang auf die moderne Welt; die meistens doch eher anstrengenden Menschen, die darin Tag ein Tag aus ihr Unwesen treiben, und dazu der eindeutige Ausdruck der Gewissheit, dass man mit dem Meisten doch eigentlich gar nicht so viel zu tun haben möchte. Der Gesellschaft wird der Spiegel vorgehalten: Hier läuft irgendwas verkehrt. 

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Das Rezept von Señor Karōshi geht auf: "| ñ | ō |" ist ein kompaktes, eher simpel gehaltenes aber dennoch höchst-effektives (Deutsch-)Punk-Bonbon geworden, welches mit Knalleffekten nicht sparsam umgeht und Wut und Entrüstung in vier reduziert-eingängige, das Stillsitzen ziemlich erschwerende und großteils zappelig-nervöse Song-Entwürfe packt, die es in sich haben. Noch geiler wär das Ganze natürlich auf einer Langspielplatte (jf).​

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