Interviews
07.02.2017 Vincenzo Sarnelli Veranstalter
Vida! Argentino - Nicole Nau und Luis Pereyra

"Den unberührten Tango erleben"

Als Nicole Nau in den 80er Jahren nach Argentinien ging, wollte sie einen Tango finden, der unberührt ist, vom Kommerz und Mainstream, der von der Kultur eines Landes lebt, dass nicht nur gute Seiten hat. Am 17.02.2017 kommt Sie mit Vida! Argentino ins Trifolion nach Echternach zurück und hat eben genau diese Kultur mit im Gepäck. Im Interview mit uns sprach sie darüber wie es sich anfühlt auf einer Briefmarke zu sein und ihren Werdegang. 

 
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​hunderttausend.de: Frau Nau, die erste Frage bekommen Sie vermutlich ständig gestellt, aber es ist ja auch eine bemerkenswerte Geschichte. Wie fühlt sich das an, wenn man in Argentinien ins Postamt geht und sein Konterfei auf zwei Briefmarken sieht? 

Nicole Nau: Es ist auf der einen Seite ein fast absurdes Gefühl, weil es eine Leistung ist, von der ich nie geträumt habe. Es ist absolut besonders. Es ging bei der Briefmarke um das Thema „100 Jahre Tango Argentino“ und das Postamt hatte nach dem typischsten Bild dafür gesucht. Und das war dann ausgerechnet „die Deutsche“. Ein ganz irres Gefühl natürlich.
 
Wie ist das in Argentinien angekommen, dass Sie als „Deutsche“ dort auf der Briefmarke sind?
 
In manchen Kreisen wurde natürlich darüber gesprochen. Ich hatte es sowieso nicht immer leicht in Argentinien. Das ist ein Krisenland. Und wenn man, wie ich, aus einem Land kommt, wo modernste Autos über die Autobahnen flitzen, dann haben mir durchaus auch Kollegen mal zugerufen, ich solle doch zurückgehen und ihnen nicht die Arbeit wegnehmen. Ich habe mich natürlich wahnsinnig über die Briefmarke gefreut und ich bin auch gleich zum Postamt hin und habe sie mir geholt, aber ich habe sie bis heute nicht an der Wand hängen oder zeige sie groß rum. Ich trage sie zwar immer in der Brieftasche, aber es war, glaube ich, schon ein Schlag in die Magengrube für Argentinier. Für mich war es dagegen eine Bestätigung, dass ich auf einem guten Weg bin.
 
Sie sind 1988 nach Argentinien gegangen. Unter welchen Umständen haben Sie diesen Schritt gemacht?
 
Ich war bin in Düsseldorf geboren und aufgewachsen und habe dort als angehende Grafikerin gearbeitet, war mitten im Studium. Tanz spielte in meinem Leben bereits sehr früh eine Rolle: Meine Mutter war damals Alkoholikerin und ich hab dann in den Zeiten, in denen mal etwas Ruhe eingetreten war, man muss sich vorstellen, dass so ein Haushalt sehr chaotisch sein konnte, mir die Schallplatten von meinem Vater genommen und die Traurigkeit weggetanzt. Das war das erste Mal, dass ich mit Tanz in Berührung kam. Ich wollte dann in der Folge eigentlich Malerin werden, das habe ich mich aber nicht wirklich getraut, da man davon ja gar nicht leben kann, weil keiner meine Bilder kauft und wenn sie gut sind, dann will ich sie gar nicht verkaufen. Der Kompromiss war für mich dann das Grafikdesign-Studium. Das war zwar sehr kreativ, aber es ist keine Kunst und nicht frei. Mein Künstlerisches Ich blieb auf der Strecke und ich war sehr unglücklich. Ich habe dann Tanzunterricht genommen um weg- und rauszutanzen, was noch in mir steckte und raus wollte. Ich bin eines Abends dann von der Kö, wo ich gearbeitet habe, nach Hause gelaufen in die Altstadt und da blieb ein Flyer an meinem Schuhabsatz hängen. Und da stand Tango drauf. Das war also meine erste Berührung mit diesem Thema. Die Musik hat mich sofort mitgenommen, aber als ich ins Tanzstudio geschaut habe, war ich etwas enttäuscht. Denn das Gefühl und die Musik waren für mich viel größer, als das was da getanzt wurde. Und dann kam „Tango Argentino“ nach Deutschland, genauer gesagt nach München. Die legendäre Show, die übrigens verantwortlich ist, dass wir weltweit wissen, dass es Tango gibt. Ich habe mir ein Zugticket gekauft und mich in Reihe drei gesetzt. Und dann ging es los. Ich war sehr aufgeregt.
 
Das Schlüsselerlebnis, bzw. der Auslöser für Ihre Reise nach Argentinien?
 
Genau. Was ich dort auf der Bühne gesehen habe, war der Zünder dafür, dass ich zu mir selbst gesagt habe, dass ich nach Argentinien muss um mir das vor Ort anzuschauen, weil man das in Deutschland nicht lernen kann. Da muss man hin. Ich bin dann über Amsterdam und Kanada nach Buones Aires. Mein erster Eindruck in dieser Stadt war furchtbar. Ich war sehr schockiert. Ich fand die Stadt unglaublich hässlich und das Schlimmste war, es gab gar keinen Tango. Nach all den Fantasien, die ich im Kopf hatte, wo eine Kompanie von Tänzern, Sängern und Musikern auf der Bühne so eine Leidenschaft gezeigt hatte, dachte ich, das ganze Land müsste doch tanzen. Dem war aber nicht so. Ich habe dann gesucht und in Nischen diesen fast ausgestorbenen Tango gefunden. Heute bin ich froh, dass ich diese Zeit erwischt habe, weil ich dadurch einen Tango erleben durfte, der noch unberührt von dem ganzen Kommerz war. Ich habe mitbekommen wie die Argentinier mit ihrem Tango umgehen. Das ist bis heute für mich sehr wertvoll. Nach meinen sechs Wochen Urlaub wollte ich eigentlich gar nicht mehr zurück. Das alte Leben war eh zugewachsen und nicht das, was ich wollte. Dann bekam ich diesen erlösenden Anruf aus Kanada, ob ich nicht in einer Show mitmachen wollte. Das war 1989. Im Laufe dieser Show habe ich dann den Produzenten gebeten mein Rückflugticket nach Buones Aires zu buchen und seitdem lebe ich dort.
 
Gab es Momente, vor allem nach der Ankunft in Argentinien, in denen Sie gesagt haben: „Ich will wieder zurück in mein altes Leben“?
 
Als ich die Stadt gesehen habe, war mein erster Instinkt, dass ich umdrehen und weg will. Nur weg. Ich habe viel Zement und Staub gesehen, viel Schmutz. Ich bin aber jemand, der überhaupt nicht aufgibt im Leben. Es gibt etwas in uns Menschen, sowas wie Intuition oder Sehnsucht, die einen ein Leben lang leitet. Ich weiß, wonach ich suchen muss, auch wenn ich es vielleicht so schnell nicht finde. In meinem Inneren war das total real. Das ist ein zündender Impuls den ich auch habe, wenn ich Kunst oder Choreographien mache. Manchmal sieht man Dinge und kann sie nicht direkt umsetzen. Ich gebe da dann aber grundsätzlich nicht auf, weil ich weiß, wenn ich dem nicht nachgehe, dann sterbe ich am lebendigen Leib weg. Stattdessen habe ich also erst recht gesucht. Unermüdlich. Deshalb habe ich diese Nischen ja auch entdeckt. Und genauso wie ich damals unermüdlich war, so bin ich heute unermüdlich diese Original-Kultur zu entdecken und auf die Bühne zu bringen. Wenn ich nicht immer wieder diesen Mut gehabt hätte von vorne anzufangen, dann wäre ich heute nicht da wo ich stehe.
 
Was haben denn diese Nischen, dieser nicht-kommerzielle Tango, den Sie damals kennen gelernt haben, heute für eine Bedeutung für Sie?
 
Ich habe damals einen Tango entdeckt, den es heute nicht mehr gibt. Durch diesen Boom, den diese legendäre Show „Tango Argentino“ ausgelöst hat, ist plötzlich aus aller Welt Tourismus nach Argentinien gekommen. Alle wollten Tango. Und so kamen aus allen Ecken Leute, die natürlich schon ihr Leben lang getanzt haben und der Cousin und die Cousine tanzen auch. Auch die professionellen Tänzer sind alle auf Tango umgesprungen. Dann haben Schuhmacher, die jetzt plötzlich Tangoschuhe herstellen sollten, mich gebeten Tangoschuhe aus Europa mitzubringen, damit die schauen können wie so etwas gemacht wird. Das ganze Ding und das erste Gefühl, was wir immer mit Magneten umschreiben, die entweder komplett aneinanderkleben oder sich abstoßen, ist komplett verwässert. Wenn man die Kultur nämlich tief an den Wurzeln begreift, dann ist das eine Tiefe und hat nichts mehr mit Erotik, Feuer und Leidenschaft zu tun, sondern mit noch viel mehr. Zum Beispiel das Verhältnis von Frau und Mann. Der Mann muss führen, alleine das kann heute ja schon keiner mehr. Und die Frau folgt nicht, sondern sie interpretiert diese Führung. Das sind Ansätze, die man verstehen muss. Der „Tango Argentino“ hat eine ganz kraftvolle Musik, weil sie auf der einen Seite sehr sehnsüchtig, aber auch schwarz und rebellierend ist. Das sind Dinge, die man heute gar nicht mehr so mitbekommt. Auch, weil der Tango sich in Europa niedergelassen hat und beeinflusst wird durch das Lokalkolorit. Das heißt: Argentinischer Tango in Berlin ist längst Berliner Tango. Der Tango in Buenos Aires ist auf einer ganz schlimmen kommerziellen Schiene. Man kann alles dazu erwerben. Aber wo man kaum noch dran kommt ist diese Tiefe. Luis (Pereya, Ehemann und ebenfalls erfolgreicher Tänzer; Anm. d. Red.) und ich sind in dieser Hinsicht vom Staat ausgezeichnet worden, als Botschafter der Kultur. Wir sind wirklich die letzten Mohikaner, die das überhaupt noch tanzen können. Dazu kommt, dass Luis sowieso in der Folklore gestartet ist. Der kann die ganze Bandbreite darstellen.
 
Lassen Sie uns die Diskussion auch noch mit dem Land in Verbindung bringen. Sie haben gesagt, dass Argentinien ein Krisenland ist. Welche Bedeutung hat denn der Tango und diese Kultur, die Sie erwähnen, für das Land heute?
 
Man muss diese Frage auffächern auf die gesamte Bandbreite der populären Musik in Argentinien. Von den 22 Provinzen ist Buenos Aires eine und der gehört der „Tango Argentino“. Und die anderen 21 haben auch eigene Tänze. Zum Beispiel Samba oder Flamenco. Der Argentinier tanzt einfach. Das ist ein Tanz- und Musikvolk. Das bringen wir auch auf die Bühne. Eine Art Innenhof und dieser Innenhof kann überall stattfinden. In der Stadt, an einem Haus oder Hinterhaus. Und auf dem Land ist es die sandige Erde vor einer Hütte. Als Argentinier ist man auch ständig draußen. Und dort vor diesen Hütten finden sich die Leute zusammen. Einige haben Instrumente, andere singen und tanzen. Die Argentinier haben ein ganz anderes kulturelles Leben. Es ist die Kultur des einfachen Volkes. Des normalen, aber liebevollen Menschen. Es spiegelt auch absolut die Welt von Mann und Frau wieder. Mann und Frau sind Pole, die nicht gegenseitig in das Leben des anderen schnuppern. Da sind die ganz streng. In der argentinischen Kultur darf, kann und muss ich Frau sein, aber verbunden mit einer Stärke, die man meinem Empfinden nach in der Emanzipation abgeben musste. Es ging damals für mich um das Gleichwerden mit dem Mann. In dieser Kultur muss man das, was ich als kostbarstes Gut empfinde, nicht niederlegen.
 
Das Programm heißt „Vida! Argentino“. Was meint dieser Ausruf Vida!, also Leben?
 
Den Titel hat das Publikum gegeben. Wir touren mit der größten Produktion, die wir je auf die Bühne gebracht haben, weil wir Gott sei Dank mit Live-Musik unterwegs sind. Das Publikum hat den Titel gegeben, weil sie uns sagen, dass dort so viel Lebendigkeit drin ist. Man ist mal freudig, mal haben Leute geweint, es ist immer intensiv und authentisch. Mit solchen Worten werde ich regelrecht überschüttet. Ich gehe nach der Show immer noch zu den Fans und stehe für Autogramme zur Verfügung. Das Argentino kommt von uns, denn es geht um das argentinische Leben. Ich brauche ja nur meinen Mann anschauen. Er ist ein Ausnahmekünstler. Ein Mensch der unglaublich in Extremen lebt. Wir bekommen auch wahnsinnig viele Komplimente von den Männern für meinen Mann. Männer kommt oft: „Meine Frau hat mich mitgeschleppt. Die ersten drei Stücke gucken wir dann vielleicht noch nach den Frauen, aber dann rutscht unser Blick schnell zu den Männern oder Ihrem Mann, denn das ist ja Wahnsinn, was der macht“. Unsere Kultur ist so viel Männlicher als vieles heute. Nicht so aufgesetzt und machismohaft. Weil das ist eine krankhafte überflüssige Form des Mannseinwollens ist, die kein Mensch braucht. Sondern es geht um eine Männlichkeit, die ihnen niemand wegnimmt. Unsere Produktion ist sehr pur. Wir bleiben an diesen Wurzeln und kulturstimmig. Sie ist auch sehr stark musikalisch. Alle unsere Tänzer müssen Instrumente spielen können. Viele können singen und singen mit. Wir haben ein Quartett mit. Wir haben zusammen mit Luis eigene Kompositionen geschrieben. Neben Luis und mir sind sechs Tänzer da. Die müssen alles können. Tango Argentino, Steppen, Samba, alles. Dann gibt es eine riesen Palette an Kostümen. Sehr, sehr attraktiv fürs Auge. Auch das Bühnenbild und Lichtdesign ist sehr aufwendig. Wir kommen mit einem ganzen LKW. Ich merke, ich bin selbst sehr begeistert von der Produktion.
 
Wir freuen uns auch sehr auf den Abend und danken Ihnen für das informative und offene Gespräch!

Foto: Sebastian Balint

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