Interviews
25.05.2018 Julia Nemesheimer  
Madsen im Interview

"Man braucht Überlebensstrategien"

​​​Am 14. Juni 2018 eröffnen Madsen das diesjährige Porta hoch Drei-Festival. Mit im Gepäck hat die Band ihr neuestes und siebtes Album Lichtjahre. Grund genug, sich mit Schlagzeuger Sascha Madsen (1.v.l) ein wenig zu unterhalten. ​

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​hunderttausend.de: Vor kurzem habt ihr eure ersten Konzerte mit neuem Material gespielt, unter anderem in Berlin und Wien. Wie war es denn? Wie kamen die neuen Songs so an?
 
Sascha Madsen: Die Konzerte jetzt waren super. Aber wir haben auch acht Monate lang keine Auftritte mehr gehabt. Das ist für uns total ungewohnt, es war tatsächlich die längste Live-Pause, die wir bisher hatten. Wir waren an den Tagen auch wirklich aufgeregt und sind rumgelaufen wie aufgescheuchte Hühner. Wir waren völlig unentspannt, kamen zu spät zum Soundcheck und haben alle Leute hinter den Kulissen ziemlich genervt – trotzdem waren die Konzerte wirklich großartig. Es hat richtig viel Spaß gemacht und man hat gemerkt, wie ausgehungert wir waren und wie sehr wir uns darauf gefreut haben, wieder zu spielen. Das war ein sehr schönes Gefühl.
 
Meinst du, es lag nur daran, dass ihr so lange nicht mehr live gespielt habt, dass die Aufregung, das Lampenfieber an diesen Tagen so groß war oder spielt da auch die Tatsache mit rein, dass ihr neue Songs vorgestellt habt?
 
Da hat sicher beides mit reingespielt. Natürlich gab es mal kleinere Auszeiten von der Bühne zwischen zwei Alben, aber acht Monate ist wirklich eine lange Zeit. Aber natürlich ist auch auf Grund der neuen Platte eine gewisse Aufregung da. Pro Konzert haben wir drei neue Lieder gespielt und das ist insgesamt eine spannende Zeit. Die ersten Singles erscheinen und kürzlich hat uns unser Manager die erste fertige CD geschickt oder Videos. Und diese Tage vor so einem Release sind immer aufregend, weil ständig etwas passiert.
 
Ich hatte ja das Vergnügen, schon mal in das neue Album reinhören zu dürfen. Und es trägt natürlich stark eure Signatur, es klingt total nach Madsen, wobei es für mich auch ziemlich poppig und recht radiotauglich klingt. Wie kam es denn zu dem Sound?
 
Wir haben dieses Mal mit keinem großen Namen produziert. Das Album davor haben wir zum Beispiel mit Moritz Enders (u.A. Produzent für Kraftklub, Casper, Jennifer Rostock, K.I.Z., Heisskalt, Unheilig; AdR.) gemacht haben. Der ist so DER Soundtüftler. Manchmal verbringt man den halben Tag damit, den perfekten Snare-Sound zu kreieren. Bei der Kompass-Platte wollten wir das auch, so ein perfektes Soundbild. Doch für Lichtjahre war das nicht so. Vielmehr haben wir schon vor weit über einem Jahr überlegt, wie wir an das neue Album rangehen möchten. Einige Songs hatten wir schon und schließlich haben wir nochmal unsere alten Platten durchgeskippt, quasi quergehört. Dabei ist uns aufgefallen, dass wir bei den alten Alben wirklich noch auf ein Mehrspur-Tonbandgerät aufgenommen haben. Live mit der Band gespielt und alles in einem Take. Das hebt sich im Madsen-Kosmos komplett ab und uns wurde klar, dass wir das wieder so machen müssen. Wir müssen zu viert im Studio stehen und analog auf Tonband aufnehmen. Deshalb haben wir Simon Frontzek diesmal als Produzent gewählt, der das auch gemischt hat. Der Vorteil hierbei ist, dass wir Simon schon seit Ewigkeiten kennen, also seit bestimmt 25 Jahren. Der kommt aus unserer Ecke und wir waren in der gleichen Musikschule, wodurch wir schon mit zehn oder so auf der gleichen Bühne standen. Später war er auch bei Hoerstuatz (Vorgängerband von Madsen; AdR) mit dabei, ist dann bei Tomte eingestiegen und hat jetzt ein eigenes kleines Studio. Der kennt uns musikalisch entsprechend total gut und er hat den Indie-Gedanken, den wir gesucht haben. Da muss nicht alles perfekt sein, es darf auch mal wackeln und ein bisschen schrammeln, aber gleichzeitig hat er ein feines Gespür für Pop.
 
Wobei die Produktion von Kompass viel poppiger war als jetzt Lichtjahre, insofern finde ich das ganz interessant, dass du jetzt diesen Eindruck hast.
 
Naja, ich habe halt vor allen Dingen euer erstes Album Madsen. im Kopf, weil ich euch damals, 2005, ziemlich rauf und runter gehört habe und die Platten dazwischen nur am Rande mitbekommen habe.
 
Das erklärt natürlich einiges. Das erste Album ist aus heutiger Sicht schon fast 'ne Frechheit, wie das klingt, allein von der Soundästhetik her (lacht). Aber gleichzeitig ist das ja super. Heutzutage würde das kein Mensch mehr so machen – leider, meiner Meinung nach. Denn es ist ein super Garagenalbum. Aber wir wollten im Laufe der Jahre auch nicht permanent eine Wiederholung abliefern. Wir haben uns ausprobiert und Sachen gelernt über sieben Alben.
 
Dabei bleibt ihr aber ja trotzdem immer eurer Schiene treu, also ihr fangt ja jetzt nicht mit Ausflügen in andere Genres an...
 
...ja, das stimmt schon. Wobei wir mit der Instrumentierung schon ein bisschen spielen. Jetzt auf dem neuen Album sind zum Beispiel auch Bläser dabei, wobei wir die nicht mit auf Tour nehmen werden. Obwohl wir die Idee tatsächlich mal hatten, aber das ist 'ne andere Geschichte (lacht).
 
Kommen wir dann kurz noch zum Songwriting. Es ist ja allgemein bekannt, dass vor allen Dingen Sebastian für die Texte verantwortlich zeichnet. Wie läuft das denn aber insgesamt bei euch ab? Ist da jeder auf irgendeine Art beteiligt?
 
Die Texte und auch die Musik kommt zum allergrößten Teil von Sebastian. Wir bringen uns musikalisch natürlich alle mit ein. Es kommt auch vor, dass der ein oder andere auch mit an den Texten arbeitet. Lisa (Keyboarderin, Live; AdR) oder Johannes haben sich damit beschäftigt und für die neue Platte hab ich auch einen Text mitgeschrieben. Wenn man also eine Idee hat, kann man damit immer zu ihm kommen und dann ist er auch meist dankbar für den Input. Aber im Prinzip ist alles mehr oder weniger auf seinem Mist gewachsen, das muss man schon sagen.
 
Jetzt hängt ihr ja entsprechend wirklich viel miteinander ab und seid untereinander ja familiär doch arg verbunden, wie allseits bekannt ist. Johannes, Sebastian und du seid Geschwister, Sebastian wiederum ist mit Lisa liiert – auch wenn euch die Frage sicherlich oft gestellt wird – wie oft kommt es denn da zu Reibungen und wie biegt ihr sowas wieder gerade?
 
Natürlich kommt es häufiger mal dazu, dass es knallt. Das ist ja auch ganz normal, anders wäre es ja irgendwie komisch, wenn da nicht mal die Fetzen fliegen würden. Aber dass es tatsächlich „Brüderstress“ gibt, darüber sind wir weit hinaus. Das war mit 16 oder so vielleicht mal ein Thema beziehungsweise als es mit der Band losging. Damals mussten wir ja auch unsere Rollen klar definieren, insbesondere die von Nico (Maurer, Bass; AdR) beziehungsweise Folli (Folkert Jahnke, ehemaliger Keyboarder; AdR). Seitdem gibt es da auch so gut wie keinen Stress mehr. Jeder kennt seine Rolle und weiß, was er zu tun hat. Wir müssen uns gegenseitig auch mal ein bisschen in den Arsch treten oder uns runterholen (lacht). Aber das ist auch innerhalb der Familie meiner Meinung nach ein bisschen einfacher. Von daher sehe ich es so, dass das wesentlich mehr Vorteile als Nachteile hat.
 
Wie sehr haben euch denn eure Eltern in den Anfangstagen und vielleicht auch heute noch unterstützt und ermutigt, diesen Weg zu gehen?
 
Das geht tatsächlich noch bis heute. Unsere Eltern sind nach wie vor sehr wichtig in und für die Band Madsen. Sie haben immer noch eine starke Meinung. Das könnte nerven, mögen manche denken, aber bei unseren Eltern ist es nicht so. Die drängen sich uns nicht auf, sondern sie sagen ihre ehrliche Meinung, wenn wir sie fragen und die ist uns allen ziemlich wichtig.
 
Wo wir gerade beim Thema Familie sind. Ihr seid inzwischen in dem Alter, in dem man durchaus Nachwuchs haben kann und da ihr ohnehin viel Zeit miteinander verbringt, wäre es ja nicht abwegig, dass eure Kids irgendwann auch mal zusammen Musik machen möchten. Wenn die jetzt ein Madsen 2.0 – Projekt starten würden, inwiefern würdet ihr ihnen dabei unter die Arme greifen?
 
(lacht herzlich). Also, ich kann die Frage glaub ich ganz gut beantworten, weil ich selbst drei Kinder hab. Aber ich lenke die in keine Richtung. Wenn die Bock drauf haben, Musik zu machen, dann werde ich sie dabei unterstützen, aber ich würde sie nie zu irgendwas drängen. Die finden das natürlich alles cool mit der Musik, aber sind ab und an auch ein wenig genervt davon, wenn ich wieder so viel weg bin. Jetzt gerade ist eben wieder so eine Phase, in der ich kaum zu Hause bin. Das ist zwar nicht super, aber alle können damit umgehen. Sollten sie jetzt aber mal auf die glorreiche Idee kommen, wirklich eine Band zu gründen – wobei ich das nicht glaube -, dann haben sie natürlich meine Unterstützung. Aber ich würde ihnen da auch nicht zu viel unter die Arme greifen. Es muss immer auch mal was in die Hose gehen, sonst kann man als Band nicht wirklich daraus lernen und daran wachsen. Wenn immer alles funktioniert, dann kann man meiner Meinung nach als Band nicht lange überleben. Man braucht diese Überlebensstrategien, das „An-die-Wand-fahren“ und sich danach wieder aufrappeln und neustarten.
 
Gibt es denn einen Moment, von dem du sagen würdest, dass ihr das Ding so voll an die Wand gefahren habt?
 
Naja, also es gab kleine Entscheidungen, die wir im Nachhinein bereuen, aber vom Verlauf her würde ich gar nicht viel anders machen. Als Band sind wir ziemlich gesund gewachsen. Zwar war unser Anfang mit einem großen Knall verbunden, wir sind ja auf MTV hoch und runter gelaufen und haben auf großen Festivals gespielt. Aber das ist mit der Zeit ein wenig abgeebbt. Wir konnten danach gut weiterleben und viele Fans sind ja auch über die Jahre erhalten geblieben.
Einen richtigen Knall gab es, als Sebastian seinen schweren Unfall hatte. Das war kurz bevor die Labyrinth-Platte veröffentlicht wurde und wir beim Videodreh waren. Damals hing er fünf Meter über dem Boden an einem Stahlseil, das Teil ist gerissen und er ist auf den Betonboden gekracht. Da war die linke Hand komplett zertrümmert, die Lippe war durchtrennt, Hämatome im Gesicht, Fuß und Zehen gebrochen. Also er war von oben bis unten komplett kaputt. Ein paar Wochen sind wir davon ausgegangen, dass er nie wieder Gitarre oder Klavier spielen kann, da die Ärzte das für sehr unwahrscheinlich hielten, weil eben so viel gebrochen war. Aus diesem Loch wieder rauszukommen und das als Band zu überstehen, da glaube ich, dass viele andere Gruppen dran zerbrochen wären. Wir konnten ja vieles, was zur Promotion von Labyrinth angesetzt war, gar nicht machen. Aber wir haben es geschafft und er hat alles erstaunlich gut weggesteckt. Für uns als Band war das also auch eine Art Neuanfang.
 
Dann drücke ich euch mal die Daumen für Lichtjahre und freu mich schon auf euer Konzert vor der Porta Nigra im Rahmen von Porta hoch 3 am 14. Juni 2018! Vielen Dank für deine Zeit und das Gespräch.
 

Foto: Marco Sensche

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