Interviews
10.06.2016 Vincenzo Sarnelli Veranstalter
Konstantin Wecker beim Porta Hoch Drei Festival

"Revolution der Empathie"

​​Wenn es moralische Instanzen überhaupt gibt, dann ist er sicher jemand, den man diesen Titel geben könnte. Konstantin Wecker ist auch nach fast 50 Jahren auf der Bühne noch nicht müde. Im Rahmen des Porta Hoch Drei Festivals tritt der Liedermacher am 17. Juni 2016 auf dem Porta Nigra Vorplatz auf. hunderttausend.de sprach im Interview mit ihm über das Wort Revolution. 

 
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hunderttausend.de: Herr Wecker, Lassen Sie uns über das Wort „Revolution“ reden! 

Konstantin Wecker: Ja, gerne!
 
So heißt Ihre Tour mit der sie am Juni auch nach Trier auf den Porta-Nigra-Vorplatz kommen. Gehe ich richtig in der Annahme, dass Sie die Hoffnung auf eine bessere Welt noch nicht aufgegeben haben?
 
Nein, auf keinen Fall. Das habe ich die ganzen letzten vierzig Jahre nicht aufgegeben. Ich glaube, ich konnte immer, auch wenn es jetzt gesamtgesellschaftlich vielleicht anders aussieht, das ein oder andere Mosaiksteinchen bewegen. Ich betrachte es zumindest nicht so, dass ich die letzten vierzig Jahre nichts bewegen konnte. Das, was die Kunst bewegen kann, ist ja nichts anderes als Mut zu machen und den Menschen das Gefühl zu geben, dass sie in ihrer eigenen Geschichte und ihrem eigenen aufrechten Gang nicht alleine sind. Mehr kann und will ich als Künstler nicht bewegen, sonst hätte ich ja in die Politik gehen können. Warum ich aber Revolution für wichtig erachte und das Wort ganz bewusst wieder einsetze, ist, und so war es in der Geschichte immer gewesen, dass wenn “wir“ keine Revolution machen, die Rechten putschen. Diesen Putsch möchte ich auf keinen Fall erleben. Deshalb ist es wichtig, eine Revolution zu machen, sich auch dem Wort wieder zu stellen. Es bedeutet ja nichts Anderes als umwälzen, umdrehen, eine Situation verändern. Ich sage aber auch immer bei meinen Konzerten, dass ich nicht plötzlich Guillotinen aufbauen oder jemanden erschießen werde. Ich bleibe nach wie vor Pazifist.
 
Das ist auch gut so…
 
Ja! Es geht um eine Revolution des Bewusstseins, der Empathie und der Liebe.
 
Mir fällt es persönlich ja schwer an eine bessere Welt zu glauben, wenn Personen wie Björn Höcke es jeden Tag in die Nachrichten schaffen. Sie haben ihm vor kurzem auf Facebook sogar ein kleines Gedicht gewidmet. Warum ist heute so etwas oder so jemand wie Höcke noch möglich? Warum haben solche Menschen soviel Einfluss?
 
Man muss die Frage, glaube ich, anders stellen. Die Höckes dieser Welt gibt es, aber man könnte sie auch klein halten. Ich spreche natürlich nicht von Lügenpresse oder Verschwörung, aber es scheint eine Lust am Spektakulären zu geben. Es kommt einfach besser an. Man könnte viele Seiten füllen mit Menschen, die sich voller Empathie zum Beispiel um Flüchtlinge kümmern. Über gelebte Integration schreiben. Aber dann stellt sich da jemand hin und erzählt was von den „reinen Deutschen, die erhalten bleiben müssen“. Es ist interessant, denn in den meisten Videos und Beiträgen, die gezeigt werden, wird er ja nicht gelobt. Im Gegenteil. Aber er wird gezeigt. Das könnte man verhindern. Ich merke das selbst, immer wenn ich in Talkshows eingeladen werde, heißt es: „…aber, wenn Sie kommen, dann muss auch ein AfD-Mann da sein“. Und ich frage mich: Warum eigentlich? Ich will jemandem von der AfD oder Pegida nicht auch noch einen Platz einräumen. Dann komme ich lieber nicht. Ich bin überzeugt, dass die Gesellschaft in der Mehrheit voller Empathie ist. Die Willkommenskultur ist nicht gestorben, man hat sie nur kaputt geredet. Weil, und da müssen wir auch über das System nachdenken, unser Wirtschaftssystem Empathie als solche nicht brauchen kann. Das führt zu Solidarität. Und das ist genau das Gegenteil von dem, was das Wirtschaftssystem braucht. Das braucht Ehrgeiz, Abgrenzung und im Endeffekt immer den ganz persönlichen Vorteil.
 
Ich habe vor kurzem eine Diskussion verfolgt, in der ein AfD-Mitglied sagte, dass sie auch eine Revolution starten, nur eben von der anderen politischen Seite. Was unterscheidet denn Ihre Revolution von dem, was Pegida als ihre Revolution bezeichnet?
 
Na, dass sie geschichtsblind sind. Das waren nie Revolutionen, sondern immer Putsche. Unabhängig davon, ich habe da mal mit einem klugen Journalisten drüber gesprochen, der mich etwas Ähnliches fragte: Was unterscheidet das eigentlich von der 68er-Revolution, die ich als eine der spannendsten Zeiten erlebt habe? Da wurde zum ersten Mal alles in Frage gestellt, was Jahrtausende lang gültig war. Es gibt Herrschende, es gibt einen Markt. Das wurde in Frage gestellt mit dem schönen Satz „Make Love, Not War“. Liebe machen ist übrigens wirklich schöner als Kriege machen. Der Unterschied ist gigantisch. Wir haben damals in nächtelangen, monatelangen Recherchen und intellektuellen Diskussionen gefragt, wo kommt das alles her, was wir bekämpfen. Es gab kluge Menschen wie Rudi Dutschke, der sensationell gescheit war, sich auskannte und emphatisch war. Es gab natürlich auch die strengen Ideologen, die mich damals schon genervt haben. Aber es waren oft Menschen, die sich genau überlegt haben, gegen wen sich ihr Unmut richtet und warum. Was Pegida macht ist etwas völlig Anderes. Die haben Wut und Unmut. Das kann ich verstehen, denn es geht ihnen vielleicht wirklich nicht gut. Die werden von einem Gesellschaftssystem klein gehalten und ungerecht behandelt. Aber sie sollten sich auch an die Richtigen wenden mit ihrem Unmut und nicht gegen die noch Schwächeren. Das ist der große Unterschied. Da ist keine intellektuelle Überlegung. Es ist schlichtweg unvernünftig, was sie machen.
 
Brechen wir das, was Sie gesagt haben, doch nochmal herunter auf Ihre Musik. Ihr Song „Revolution“ ist ein großer Erfolg. Was war denn Ihre kleine persönliche Revolution?
 
Da ist persönlich einiges passiert. Aber das verrate ich natürlich nicht (lacht). Eigentlich passieren bei mir immer irgendwelche Revolutionen, weil ich gemerkt habe, dass es in meinem Leben selten von Erfolg gekrönt war, wenn ich mir etwas ganz fest vorgenommen und gesagt habe, das ziehe ich jetzt genau so durch. Das Schicksal hat mir eigentlich immer irgendwo eine Falle gestellt. Und im Endeffekt, sage ich Ihnen ehrlich, das Schicksal war immer klüger als ich. Es hat mich immer dann in Unruhe versetzt oder mir Schmerzen zugefügt, wenn ich zu faul oder zu überheblich geworden bin. Da muss ich dem Schicksal sehr dankbar sein, für die Revolutionen, die es mir zugefügt hat (lacht).
 
Ich hatte beim Hören des Songs den Eindruck, dass es auch eine Abrechnung mit den Revoluzzern ist, die heute zum Establishment gehören…
 
Ja, natürlich. Das haben wir ja nun wirklich erlebt. Auch ein Grund übrigens dafür, dass die Jugend heute wesentlich weniger revolutionär ist als damals. Weil sie natürlich auch sehen, dass Leute, die früher große Revoluzzer waren, sich heute dem System gebeugt haben. Da gibt es viele Beispiele. Aber es gibt auch Ausnahmen. Der Bernie Sanders in den USA zum Beispiel, der ist doch sensationell. Ein 73-Jähriger, der von der Jugend geliebt wird, weil er unbeugsam war über Jahrzehnte hinweg. Sie haben aber völlig recht, es ist eine Abrechnung mit denen, die es sich irgendwann zu leichtgemacht haben. Sie haben mit Ihrer Frage vorhin auch recht gehabt. Man muss auch bei sich selbst hin und wieder Revolutionen zulassen.
 
Wo Sie die Jugend erwähnen. Die Band Kraftklub hat mal einen Song darüber geschrieben, dass Jugendliche heutzutage gar nicht mehr aufbegehren können, weil die Eltern eigentlich in ihrer Jugend viel schlimmer waren. Ist denn der Anzug des 19-Jährigen das, was damals Kiffen und lange Haare waren?
 
Ja, das mag die Revolution gegen die Eltern sein, aber keine im politischen Sinn. Jugendliche müssen gegen ihre Eltern rebellieren, das gehört dazu. Meine große Angst war ja, dass meine Söhne, die sind jetzt 16 und 19, aus lauter Revolutionsbegehren gegen den Vater freiwillig zum Militär gehen oder sowas (lacht). Ich habe Glück gehabt bei den Buben, das haben sie nicht gemacht. Aber es gibt in dem Zusammenhang noch eine andere Überlegung mit dem Anzug. Der Neoliberalismus hat ja gesiegt über die 68er-Bewegung. Die Konterrevolution hat gesiegt und hat es im Endeffekt nur geschafft, dass ein paar wahnsinnig Reiche noch reicher geworden sind. 30 Konzerne beherrschen heute den gesamten Weltmarkt. Die haben natürlich ihre Think Tanks und in den 90ern, Anfang 2000 wurde der Jugend mit Werbung ganz geschickt eingeredet, dass Revolte völlig unsexy ist. Sexy ist nur, sich in Fußgängerzonen rumzutreiben und Markenkleidung zu kaufen. Die Jugend tut mir in der Hinsicht auch ein bisschen Leid, denn sie haben nicht gemerkt, dass das natürlich eine Einflüsterung ist. Sie haben sich gesagt, dass das ihr Geschmack ist. Ich hab mit vielen Jugendlichen gesprochen und gefragt, warum sie diese unglaublich sinnlose überteuerte Markenkleidung an? Es bedurfte langer Erklärungen darüber, wo Geschmack herkommt. Der fällt ja nicht vom Himmel, der wird ja auch gemacht. Da fehlte sicher auch die Aufklärungsarbeit. Ich denke, dass es vielleicht bei den heute 16-17-Jährigen  wieder etwas anders ist. Ich kriege erstaunliche Briefe manchmal. Erst neulich, da wollten Jugendliche von einer Waldorfschule eine Demo zum Flüchtlingsthema machen und so zeigen, dass sie in den Ferien nicht nur vorm Computer sitzen, sondern auch gesellschaftlich etwas tun wollen. Auch mein Sohn, der war letztes Jahr auf Lesbos und hat dort zum ersten Mal ein Schlauchboot erlebt, dass mit Flüchtlingen ankam. Das hat einiges in ihm bewegt, dieses Erlebnis wird er sein Leben lang nicht vergessen. Da tut sich was, glaube ich. Oder hoffe ich vielmehr.
 
Ihr Wort in Gottes Ohr. Ich folge Ihnen auf Facebook und bin immer wieder fasziniert ob der Tatsache, wie umfangreich ihre Facebook-Posts sind, aber auch was für Reaktionen Sie darauf immer wieder bekommen. Ich habe den Eindruck, dass viele Leute in Ihnen auch eine gewisse moralische Instanz sehen. Ist das eine Verantwortung, die Ihnen bewusst ist und die Sie annehmen?
 
Das ist eine gute Frage. Vor zwanzig Jahren hätte ich Ihnen noch gesagt, dass ich keine Verantwortung will. Da gibt es noch ein bekanntes Interview von mir, wo ich sage, ich will kein Vorbild sein, denn wenn ich Verantwortung hätte, dann müsste ich ja ein vorbildliches Leben führen, das ich nicht führen will. Ich will frei sein und nicht verantwortlich. Heute sehe ich das schon anders. Ich hab zwei, drei Mitarbeiter, unter anderem einen Historiker. Wenn dann Posts kommen, zum Beispiel wie der letzte über die SPD, dann diskutiere ich den schon nochmal in der Runde. Ich möchte dann schon, dass es so formuliert ist, dass ich 100 % dahinter stehen kann. Ich ecke oft an mit meiner Meinung, aber bin mir dieser Verantwortung bewusst. Ich merke dann auch bei meinen Konzerten, dass da Leute kommen, die schon in der eigenen Familie als „Gutmenschen“ beschimpft werden, die dann sehen, dass da viele Menschen sind, die auch so denken wie sie. Die Spaltung der Gesellschaft ist in der Hinsicht deutlich zu spüren. Das Gefühl, nicht alleine zu sein mit der eigenen Meinung, tut dann gut.
 
Es gibt ein Zitat, welches Karl Marx zugeschrieben wird, was aber vermutlich gar nicht von ihm stammt. Dennoch ist es passend an dieser Stelle: „Alle Revolutionen haben bisher eines bewiesen, dass sich vieles ändern lässt, bloß nicht die Menschen“. Würden Sie dem zustimmen?
 
Ich würde ihm zustimmen. Deswegen ist auch meine Vorstellung der Revolution des Bewusstseins so wichtig. Wenn die Revolution immer nur auf äußere Umstände zielt, also dass der eine Herrscher weg muss, dann läuft man Gefahr, dass einfach ein anderer Herrscher kommt und der wird ziemlich sicher auch nicht sehr viel besser sein. Ich habe mich immer dazu bekannt, dass ich im Grunde meines Herzens Anarchist bin, also für eine liebevolle, herrschaftsfreie Gesellschaft plädiere. Es ist eine Utopie, keine Frage. Aber der Mensch muss eine Utopie haben, er muss eine Idee haben, sonst kann er sich ja an nichts orientieren. Der Mensch muss sich also ändern. Und jetzt kommt wieder der Marxist, der sagt, der Mensch kann sich aber nicht ändern, wenn die Verhältnisse so sind, dass er sich nicht ändern kann. Das ist der Streit, den ich manchmal mit puren Marxisten führe, wenn ich sage, dass wir auch eine Spiritualität brauchen. Das ist etwas, für das ich seit Jahren plädiere. Wir brauchen ein verändertes Bewusstsein. Das hat erstmal nichts zu tun mit dem Ego, das wir uns dauernd überstülpen. Wir sind eine Gesellschaft mit enormen Egos geworden. Denen es fast nur um materiellen Gewinn geht. Die Revolution, von der ich träume, hat nichts mit ausschließlich materiellen Umschichtungen zu tun. Natürlich soll es allen Menschen gut gehen und keiner soll Hunger leiden. Aber man sollte vielleicht auch mal fragen, ob es einen wirklich glücklicher macht, wenn man das dritte Auto hat und die fünfte und sechste Millionen, bei manchen auch die Milliarden. Der Verstand alleine ist gefährlich. Die Ratio allein, das haben wir immer erlebt in der Geschichte, wenn sie nicht angebunden ist an das menschliche, die führt zum Wahnsinn. Für mich persönlich ein gutes Beispiel: Du musst unheimlich klug sein, um eine Atombombe zu erfinden, du musst ziemlich dumm sein, um sie zu bauen und völlig bescheuert um sie zu zünden.
 
Konstantin Wecker, vielen Dank für das inspirierende Gespräch!

Foto: Thomas Karsten Photography​​​​

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