Reviews
24.05.2017 Julia Nemesheimer  
John Gabriel Borkman

Die Hölle der Familie

​Noch heute ist im Grand Théâtre de la Ville de Luxembourg das Stück John Gabriel Borkman nach Henrik Ibsen in einer Fassung von Simon Stone zu sehen. Das Gastspiel des Burgtheaters Wien konnte gestern bereits die Zuschauer überzeugen, Kurzentschlossene können sich heute Abend um 20 Uhr ihre Meinung bilden. 

 
Image

​Die Welt dreht sich weiter, doch Gunhild und John Gabriel Borkman haben sie weitestgehend ausgeschlossen. Vor Jahren hat er sich auf dem Finanzmarkt verspekuliert und Gelder von Anlegern veruntreut, er landet im Gefängnis, fünf Jahre lang ist er weg, jetzt haust er auf dem Dachboden, geht nicht raus, die Vorhänge sind immer geschlossen. Die einzige Verbindung nach draußen ist ein alter Röhrenfernseher. Ihr gehört das Untergeschoss, das Bild ist recht ähnlich, doch Gunhild ertränkt die Schmach von damals, als der Name Borkman in den Dreck und durch alle Boulevardzeitungen gezogen wurde, in Alkohol und hält ihren Kontakt zu Außenwelt über das Internet. Lediglich der gemeinsame Sohn Erhart, den sie mit besitzergreifender Liebe überschüttet, ein Anker, den er eigentlich nicht darstellen möchte, ebenso wenig wie den Retter, der den Familiennamen wieder rein wäscht, kommt täglich zu Besuch. In diese Szenerie bricht nun Ella hinein, Gunhilds Zwillingsschwester, mit der sie früher eine Einheit bildete und die vor langer Zeit mit John liiert war. Nach dem finanziellen und gesellschaftlichen Absturz half die Schwester den Borkmans, doch der Kontakt brach ab. Dabei hat Ella sieben Jahre lang Erhart bei sich aufgenommen und erzogen. Jetzt ist sie erkrankt und ihr bleibt nicht mehr viel Zeit.

Im Stück reißen alte Wunden auf, neues Salz wird hineingestreut – heile Familie findet man woanders. Der junge Regisseur Simon Stone hat es sich seit geraumer Zeit zur Aufgabe gemacht, ältere Texte zu überschreiben und in die Moderne zu transferieren.  Als diese Fassung von John Gabriel Borkman 2015 in Wien Premiere feierte, kam es in einigen Kritiken nicht sonderlich gut an, dass Stone um Jugendslang bemüht ist, jede Menge Internet mit in die Texte bringt oder seine Darsteller auch mal „Verfickte Scheiße" sagen lässt. Zu viel Telenovela oder Scripted Reality meinen viele. Gleichzeitig ist Borkman, das vorletzte von Ibsen geschrieben Werk und 1897 uraufgeführt, eines der schlechteren Stücke des norwegischen Autors. Aber wegen seiner Aktualität im Zuge der Finanzkrise wurde es gerade in letzter Zeit oftmals gespielt .

Kennt man nun das Original nicht, so ist es gerade für ein jüngeres Publikum sicher eine interessante Fassung, mit der man etwas anfangen kann, während ältere Generationen sich zwischendurch vielleicht fragen, was denn Skype ist. Für manche war es wohl zu viel Moderne, für andere genau richtig, auch wenn es in einigen Momenten vielleicht fehl am Platz und doch irgendwie treffend wirkt. Etwa wenn Ella und Gunhild sich nach Jahren wieder gegenüberstehen und zwischen Belanglosigkeiten, beispielsweise der Warenbestellung via Internet mit anschließender Drohnenlieferung und dem Nachtrauern der „guten Zeiten", in dem Falle der 90er, auch essentielle Infos austauschen. Im Laufe des zweistündigen Stückes gewöhnt man sich allerdings an diese Sprache, ebenso wie an die Kulisse. Kunstschnee liegt und geht den Beteiligten mindestens bis über die Knöchel und Kunstschnee rieselt auch beständig von der Decke, bedeckt die Figuren und auch die wenigen Kulissen, die aus dem Schnee gezaubert werden. Es wirkt ein wenig wie das Störbild beim Fernseher, ein seltsames Rauschen, wendet man den Blick kurz ab, bleibt ein Flimmern vorhanden und passt doch in seiner Symbolik zum Gesamtwerk.

Getragen wird das Stück jedoch von seinen DarstellerInnen. Birgit Minichmayer raucht zu Beginn wie ein Schlot und stellt die Alkoholikerin Gunhild, die sich verzweifelt an ihren Sohn klammert und hysterische Ausbrüche erleidet, in ihrem Zickenkrieg mit der Zwillingsschwester überzeugend dar. Das Pendant dazu bildet Caroline Peters, die eher den ruhigen und besonnenen, den stillen Part der Ella übernimmt, die mit ihren eigenen Problemen zu kämpfen hat, etwa der Ablehnung durch John, für die sie erst bei diesem Besuch die wahren Gründe offengelegt bekommt, der eigenen Kinderlosigkeit und ihrem nahenden Tod. Martin Wuttke spielt den Borkman in einer Mischung aus verschrobenem Verschwörungstheoretiker mit einem sehr verzerrten Selbstbild und Rumpelstilzchen. In den weiteren Rollen überzeugen Roland Koch, Max Rothbart, Liliane Amuat und Nicola Kirsch. Insgesamt fällt es schwer ins Gewicht, dass auf dieser Bühne hochkarätige SchauspielerInnen stehen, die Komik wie Ernsthaftigkeit vereinen können und die zwei Stunden Spielzeit im Nu verfliegen lassen. Man sollte sich den Abend und das Gastspiel des Burgtheaters daher nicht entgehen lassen.

Foto: Reinhard Werner

Bildgalerie



Karte anzeigen