Interviews
31.05.2017 Vincenzo Sarnelli Veranstalter
Jennifer Rostock beim Porta Hoch Drei Festival

"Kunst soll Diskussion auslösen"

Wenn der Festival-Sommer beginnt, darf eine Band nicht fehlen: Jennifer Rostock. Beim Porta Hoch Drei Open Air spielen sie  am 17. Juni 2017 vor dem wichtigsten Wahrzeichen in Trier. Im Interview mit hunderttausend.de sprechen Sängerin Jennifer Weist (Bild: Mitte), Keyboarder Joe Walter (Bild: Mitte links) und  Bassist Christoph Deckert (Bild: Mitte rechts) über  ihr aktuelles Album, Kontroversen und diverse Nebentätigkeiten.

 
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​Jennifer, Joe und Christoph von Jennifer Rostock! Wir sehen euch am 17. Juni 2017 direkt vor dem Trierer Wahrzeichen schlechthin, der Porta Nigra. Wer von euch war denn der bzw. die Beste in Geschichte in der Schule?

Interessante Überleitung! Und einfache Antwort: Joe. Der hat ganz allgemein das Projekt Schule relativ ernst genommen, der Rest war irgendwie abgelenkt.
  
Ganz im Ernst: Das Porta Hoch Drei ist schon ziemlich besonders. Was war denn für euch die interessanteste Location, in der ihr spielen durftet?

Du machst uns ganz schön neugierig mit all der Schwärmerei! Schwierige Frage, wir haben in unseren 10 Jahren schon so einiges durch, von ehemaligen Bordellen bis zu finnischen Schulsporthallen. Gar nicht so einfach, sich da festzulegen. Im Zweifelsfall entscheiden wir uns für Brasilien als solches!
 
Ihr kommt mit eurem aktuellen Album „Genau in diesem Ton“. Christoph hat mal in einem Interview gesagt, dass er die Platte als „wütend positiv“ beschreibt. Ich finde die Bandbreite insgesamt immer eine ziemliche Achterbahnfahrt. Feiermomente reihen sich an nachdenkliche Songs, es folgen kritische Töne. Ist der Produktionsprozess eines Albums für euch genauso eine Achterbahnfahrt?

Als Außenstehender ist sowas wahrscheinlich schwer nachzuvollziehen, aber so ein Album treibt uns in aller Regelmäßigkeit an die äußersten Grenzbereiche des Wahnsinns. Man hockt Wochen bis Monate aufeinander und versucht in einem relativ eng abgesteckten Zeitkorsett ein Manifest des aktuellen künstlerischen Schaffenshorizont abzuliefern. Ja, es ist genau so seltsam, wie der letzte Satz sich anfühlt.
 
Der Song Hengstin hat, spätestens nachdem ihr das Video dazu veröffentlicht habt, durchaus für Diskussionen gesorgt. Leider war es, zumindest meines Eindrucks nach, eine komische Diskussion, weil viel mehr darüber diskutiert wurde, warum Jennifer sich ausgezogen hat, als zum Beispiel darüber, dass im „Big Musik-Business“ fast keine Frauen in vermeintlich wichtigen Positionen sitzen. Wie habt ihr das wahrgenommen?

In Zeiten der Clickbaitkultur hätten wir damit rechnen müssen, dass die Nacktheit im Video ein Aufhänger für die einfacher gestrickten Medien wird. Haben wir aber nicht. Für uns war das ein stilistisches Detail des Gesamtpakets. Es wurde oft am eigentlichen Thema vorbei diskutiert, aber anderseits ist es gut, dass überhaupt diskutiert wurde. Das ist es, was Kunst auslösen sollte.
 
Insgesamt spielen sich da aber auch die Medien und das Business in die Hände. Grade schön zu beobachten bei den Mädels der Berliner Rap-Kombo von SXTN, über die dann das Jugendmagazin bento schreibt: „Die Frauen feiern und rappen so hart wie die Männer.“ Wenn ihr im Studio sitzt und Texte schreibt oder Videos konzipiert, könnt ihr dann schon abschätzen, welche Dinge kontrovers aufgenommen werden und warum?

Überhaupt nicht. Wenn wir das kalkulieren könnte, liefe es vermutlich wesentlich einfacher mit der Karriere. Anderseits ist es gut, dass wir gerade mit unseren politischen Statements meist versehentlich eine große Aufmerksamkeit erreichen. Nicht unbedingt für Ruhm und Seelenheil allerdings.
 
Im Song Deiche geht es um (Selbst-)Zweifel und davon, dass man sich und sein Handeln hinterfragt und die Emotionen die Überhand nehmen. Wie schwer ist es in dieser Hinsicht man selbst zu sein, wenn man in der Öffentlichkeit steht? Wieviel eigene Schwäche könnt ihr zeigen?

Hast du mal Jennifers instagram Stories verfolgt? Ehrlicher geht's kaum. Klar, es gibt Künstler, die sich aus Selbstschutz ein Alter Ego aufbauen, aber das passt nicht zu uns. Gerade weil wir auch sehr persönliche Botschaften transportieren, können wir uns nicht hinter Kunstfiguren verstecken.
 
Besonders interessant finde ich das auch hinsichtlich der Tatsache, dass du, Jennifer, sehr aktiv in den sozialen Netzwerken bist. Durch deine Instagram-Stories erhält man ziemlich unvermittelt einen Einblick in dein Leben und durchaus auch mal in deine Gefühlswelt. Ich stelle mir das nicht immer so einfach vor, so viele Idioten wie da im Netz unterwegs sind und sich hinter irgendwelchen Accounts verstecken…

Da schließt sich der Kreis! Aber gegen die genannten Idioten gibt es ein einfaches Heilmittel: Ignoranz. Die Trolle nicht füttern.
 
Joe, du bist als Songwriter auch für andere Künstler tätig. Vor kurzem hat Jan Böhmermann eine Debatte losgetreten, in der er unter anderem auch thematisiert hat, dass im Musikbusiness mittlerweile alles sehr gleich klingt, weil es oft aus der gleichen Feder stammt und nur von anderen Leuten gesungen wird. Beschäftigt dich das als Songwriter? Wieviel von dir kannst du in einen Song stecken, wenn du ihn explizit für jemand anderen schreibst?

Was in der Diskussion vernachlässigt wurde: Es gibt eine wichtige empathische Komponente. Meist schreibt man nicht nur für jemanden, sondern mit dem Künstler zusammen. Da sitzt kein „Produkt“ neben dir, sondern ein Mensch, der sich öffnet und seinen Innenleben mit dir teilt. Der dir vertraut, das Ganze in Musik zu verpacken. Natürlich muss man bei Popsongs immer Authentizität und Kommerz unter einen Hut bringen. Aber ich muss mich auch immer selbst wiederfinden können in einem Song, sonst kann ich ihn nicht schreiben. Und hey, bei unserer Band klappt das ja auch und wir sind immerhin zu fünft!
  
Apropos Nebentätigkeiten: Christoph und Jennifer waren vor kurzem in der Region als DJ unterwegs. Wieviel Zeit habt ihr eigentlich noch um andere Bands abzufeiern? Und wieviel Zeit bleibt um selbst einfach mal entspannt feiern zu gehen?

Das ist ganz unterschiedlich. Teile der Band rennen sehr regelmäßig auf Konzerte, andere hören lieber entspannt zuhause den New Music Friday auf Spotify. So oder so: Musik ist bei uns allen ein sehr regelmäßiger Bestandteil des Alltags. So richtig entspannt feiern müssen wir mittlerweile allerdings eher selten, da werden wir wohl etwas altersmilde.
 
Abfeiern werden euch ziemlich sicher auch die Fans vor der Porta Nigra beim Porta Hoch Drei. Vielen Dank für das Gespräch Jennifer, Christoph und Joe von Jennifer Rostock!

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