Interviews
08.12.2016 Vincenzo Sarnelli Veranstalter
Guildo Horn in der Europahalle

"Ententanz meets Weltrettung"

Eine absolute Tradition und das seit vielen Jahren. Das Weihnachtskonzert am 23. Dezember von Guildo Horn und den Orthopädischen Strümpfen in der Europahalle Trier. Auch dieses Jahr heißt es wieder "Schlager unser" zur Einstimmung auf die besinnliche Zeit. Wir sprachen mit dem Meister im Vorfeld auch über sein Video zum Song "Hier ist ein Mensch". 

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Video

hunderttausend.de: Guildo, "Hier ist ein Mensch" - Ein Klassiker von Peter Alexander. Neu vertont im Jahr 2016 von Ihnen. „Hier ist ein Mensch schick ihn nicht fort." heißt es im Song. Bezogen auf die Flüchtlingsthematik ein klares Statement…

Guildo Horn: Mir sind diese bis zur Selbstaufgabe ernsthaften 68er Propheten schon immer auf den Keks gegangen, die Dir ständig erklären wollten, wie die Welt zu funktionieren hat. Wir, die „Orthopädischen Strümpfe" haben dem als klingende Antithese stets Roy Blacks "Schön ist es auf der Welt zu sein" entgegengesetzt. Heute ist es aber durchaus wichtig, dass man Farbe bekennt und der Horn mutiert plötzlich zum klitzekleinen Prophetchen: es ist doch offensichtlich, dass es mit dem allgemeinen Stechen und Hacken so nicht weiter geht. Ich meine das in alle Richtungen und für Hörer aller Fachbereiche. Es ist wichtig, dass wir wieder lernen miteinander zu reden und dem Gegenüber zuzuhören. Ich spreche hier von orthopädischen Schlager-Grundtugenden. Eine Gesellschaft ist immer nur soviel wert, wie man bereit ist aufeinander zuzugehen. „Hier ist ein Mensch" steht nicht gegen, sondern für etwas: Es ist kein "Winke-Winke-Willkommenskultur"-Song, sondern steht für offen und nett!  Ja, ich lebe gerne in einer netten Welt mit netten Menschen, egal woher!  Menschen mit kurzer Zündschnur, die gleich explodieren  weil sie sich wegen Pipikram in ihrem Stolz verletzt fühlen, brauch und will ich nicht. Wir leben zurzeit in einer Welt der Flüchtlingskrise, Horrorclowns und jetzt haben sich auch noch die Lombardis getrennt, von den Yottas ganz zu schweigen. Es werden einem die Grundfesten des Zusammenlebens entzogen. Ich stemme mich dagegen!

Hatten Sie Bedenken, wie es inhaltlich ankommen könnte? Es gibt Künstler die haben schon Shitstorms für solche Worte geerntet…

Wir spielen nächstes Jahr auf dem Baltic-Open-Air. Das ist ein Heavy Festival im Norden. Ich musste total lachen, als ich das Plakat gesehen habe, weil wir auf einem Metal-Festival mit Doro Pech, Extremo und Megaherz als Topact geführt werden. Dann bin ich angepiekst worden, weil dort auch Frei Wild spielen. Nach dem Motto: „Wie kommst du dazu mit Rechten zusammen zu spielen" und wie steht es eigentlich mit deiner Gesinnung? Wer mein Tun auch jenseits der Bühne kennt, weiß, wie absurd so etwas ist. Ich bin vielleicht Tonsurträger und eine Naschkatze, aber mit Sicherheit nicht rechts. Jetzt soll ich wegen: „Hier ist ein Mensch" Bedenken davor haben, dass ich jetzt zu links sein sollte?! „Das bin ich und das ist mein Ding, egal was die andren sagen!" Das ist nicht von mir, aber gut! "Hier ist ein Mensch" ist ein getanztes Statement zur Lage der Nation. Getreu dem Motto: „Festival der Liebe soll unser Leben sein" Ich bin praktizierender SozioEgoist und glaube, dass die größten Egoisten eh schauen müssen, dass sie mit jedem auskommen, weil es dann angenehmer und geschmeidiger miteinander zu Leben ist.

Immer öfter liest man von einem starken Bruch in der Gesellschaft. In einem E-Mail-Newsletter schreiben Sie „Es lebe der Kreuzzug der Zärtlichkeit". Glauben Sie denn noch an das Gute in der Gesellschaft, im Wesen der Menschen?

Ich bin vor 30 Jahren aus der Kirche ausgetreten. Was ist denn überhaupt das Gute? Selbst Fußball ist nicht immer gut! Das ist eine Sache des Standpunktes. Ich habe vor 5 Jahren eine Reportage für den MDR mit dem Titel „Auf der Suche nach dem Glück" produziert. Dazu habe ich mit einen renommierten Professor der Uni Leipziger gesprochen. Er hat mir erzählt, dass laut einer Studie Kindersoldaten zum Teil Glückshormone beim Töten ausschütten, weil sie für ihre Handlungen belobigt werden. Das hat mich doch ziemlich durchgerüttelt! Glücksempfinden und damit die Frage "was ist Gut" ist in der Tat eine extrem relative Sache. Das Gute im Menschen per se gibt es, glaube ich, nicht. Der Mensch ist eigennützig. Aber Eigennutz muss nicht unsozial sein! Wieder das HornProphetchen! Auch ich bin ein Egoist und glaube, dass die größten Egoisten gut daran täten nach dem „was Du nicht willst" Prinzip zu handeln, weil es sich so angenehmer und geschmeidiger miteinander leben lässt, wie oben auch schon angesprochen. 

Das Video ist eine Sammlung von bunten Bildern, es wird viel getanzt und man kann sich vorstellen, dass am Set viel gelacht wurde. Bezogen auf das ernste Thema für Sie der einzige Weg damit umzugehen?

Wir lachen selten, nur in Notwehr! Aber dann bis zur Selbstaufgabe.  In unserem Video tanzen alle miteinander jenseits von Sprache, Alter, Körperbau und Kultur. Ententanz meets Weltrettung.

Sie haben das Lied mit den 257ers (Shneezin, Mike) aufgenommen. Wie kam es zu der Zusammenarbeit?

Wir haben uns beim Promi Dinner kennen und riechen gelernt. Grade mit Mike habe ich mich gleich bestens verstanden und wir haben uns vier Tage lang die kleinen Ohren blutig gelabert.  Die 257ers find ich super kreativ, wild unkonventionell und die Herren gehen ihren zerzausten Weg, so wie ich! Für „Hier ist ein Mensch" habe ich Mike einfach angerufen und der hat sofort zugesagt.

Gerüchten zufolge waren Sie ja auch bei einem Song auf dem Album Mikrokosmos beteiligt...

Als Horntje (lacht). Das Lied heißt "Mama". Wir haben uns im 257ers Studio getroffen, über „Mensch" geredet, viel Grillfleisch gegessen und dann bin ich mal schnell in die Soundkabine und habe die Mama besungen. Mittlerweile habe ich als behandelnder Therapeut Shneezin von seiner Holzsucht therapiert und den beiden am 4.12. in Köln auf der Bühne Gold für „Holland" und „Holz" überreichen dürfen. Das passt einfach mit uns, ehemalige Klassenclowns!

Gab es Lob aus der Rap-Szene?

Kann sein, aber ich habe das nicht mitgekriegt. Ich bin ja ziemlich netzfaul und viel analoger, als ich eigentlich sein sollte. Ich stürze mich zwar immer mal wieder ins asoziale Netz, aber dann ist mir das auch schnell wieder zu viel. Bestimmt eine Generationsfrage. Vielleicht weil man nicht immer Lust auf den Input hat, den man da bekommt. Ich möchte auch nicht immer alles mit allen teilen. Nur meine Nussecken und meine Leidenschaft am Schlager. Aber die 257ers sind jedenfalls tolle Jungs (lacht).

Ein anderes wichtiges Thema, dass Ihnen am Herzen liegt: Sie haben in den letzten Jahren immer wieder bei Sky die Stadien auf ihre Barrierefreiheit gecheckt und sind mit einem Fanclub des FC Bayern München im Rollstuhl unterwegs gewesen…

Das Ganze ist eigentlich in Trier gestartet. Ich habe Anfang 1990 bei  „Eve and the Handyman" getrommelt. Die Band hatte ich zusammen mit meinem Studienkollegen Hermann Dahm gegründet. Wir haben uns dann irgendwann leider aus den Äuglein verloren und uns nach 15 Jahren via Netz wieder getroffen. Es ist nicht alles schlecht was netzt. Hermann ist mittlerweile Quoten-Chef, oder wie man das nennt, bei Sky. Da sieht man mal, für was ein Pädagogikstudium in Trier alles taugt. Auf jeden Fall hat er mir einen Termin bei seinem Chef Carsten Schmidt besorgt. Carsten war von der Idee eines Bundesliga-Barrierechecks gleich begeistert und bei Sky geht alles schneller als woanders! Wir haben also die Bundesligastadien bereist, behinderte Fußballfans getroffen und uns in ihre Erlebniswelt und Leidenschaft mitziehen lassen. Für mich ist Fußball ein Grundnahrungsmittel, also ein Traumjob! Und mit diesen zwei Themen kommen bei mir als altem Lebenshilfler zwei Leidenschaften zusammen. Um es mal so zu sagen: Die deutschen Bundesligastadien sind weitgehend barrierefrei. Die größten Barrieren hinsichtlich der Inklusion stecken im Kopf. Mobile Teilhabe ist eins: Eine Rampe kann man bauen oder andere Hilfsmittel hinzuziehen. Wichtiger war es uns, den „Fan" zu beobachten. Egal ob die Person blind ist oder im Rollstuhl sitzt. In der Leidenschaft zum Fußball sind wir uns gleich. Da gibt es kein Behindert sein. Ich war zum Beispiel mit einem blinden Fan auf Schalke. Er trägt Kopfhörer für Blindenkommentar und haut mir plötzlich in die Seite: „Boah, hast du das gesehen". Großartig! Ein Fußballfan halt, wie ich! Und plötzlich ist man halt nur noch Fan. Fußball verbindet und der Fußballgott hat uns alle lieb! Letzte Saison dann habe ich eine Serie gedreht: "Die Helden der Stars". Da ging es um Personen hinter den Fußballkulissen. Greenkeeper, Mannschaftskoch, Zeugwart. Fußball- Mikrokosmos vom Feinsten. Diese Saison heißt meine Rubrik: "Fußball hat euch lieb". Alles geht: In Köln habe ich über die beste Vereinshymne der Liga berichtet, in Darmstatt über das „aus Tradition Anderssein" und in Hamburg Lillie Hollunder, die Ehefrau von Rene Adler, begleitet. Wie gesagt: Sky ist groß und ich, als Fußballfan habe einen richtigen Traumjob!

Im Dezember ist ja wieder das Weihnachtskonzert. Absolute Tradition könnte man ein bisschen sagen. Sind Sie quasi das lokale „Last Christmas", ohne das Weihnachten einfach nicht das gleiche wäre?

Wir versuchen jedes Jahr am Vorabend von Heiligabend etwas ganz besonders auf die Bühne nach Trier zu zaubern. Das ist unser jährliches Tourfinale. Für uns besonders, plus Heimatgefühl und unser Publikum weiß, dass wir stets bereit sind 180 Prozent und mehr zu geben. Wir Hornhäuten uns! Bereits im Spätsommer gehen wir in liebevoller Kleinstarbeit, detailverliebt, ans weihnachtliche Werk und drehen dabei jedes noch so kleine Nötchen rum. Das Ergebnis: zweieinhalb Stunden beste Unterhaltung von der ersten bis zur letzten Minute! War das jetzt bescheiden? Nö! Wer jedenfalls schon einmal bei uns war, ist weihnachtlich infiziert und brauch das immer wieder. Wir haben natürlich auch das beste, hübscheste und schönste Publikum von allen! Unser diesjähriges Programm ist übrigens wieder der Oberhammer. Neben der asozialen Blaszentrale Dessau bringen wir heuer als großes Schmankerl unsere Freunde von „Fools Garden" mit nach Trier. Freude im Hause Horn. Am 23. Dezember kommen so viele Exiltrierer zurück nach Trier um ihre Familien zu besuchen. Auch für die sind wir ein Zuhause. Einen besseren Platz an dem man jährlich zusammen kommt und die Leute wieder trifft, die man das ganze Jahr nicht gesehen hat, findest du nicht. Und dazu noch diese wahnsinnig geile Band mit diesem hübschen Frontmann. Das ist einfach Perfekt. Ein Goldnusspärchen. 

Vielen Dank für das Gespräch!

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