Interviews
31.01.2017 Vincenzo Sarnelli Veranstalter
Gentikk im den Atelier

"Im Platzpatronen-Feuerwerk"

Mit "Fukk Genetikk" haben die Rapper aus dem Saarland ein Statement abgegeben. Irgendwie auch gegen sich selbst. Vor ihrem Konzert in Luxemburg am 11. März 2017 im den Atelier trafen wir uns mit Sikk und Karuzo. In einem offenen Gespräch sprachen wir über Sellout und den Hintergrund zu "Fukk Genetikk". 

 
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​hunderttausend.de: Manchmal habe ich den Eindruck, dass da zwei Herzen in eurer Brust schlagen, beziehungsweise ihr nicht selten etwas zwiegespalten seid. Ich versuch das mal in Lyrics zu manifestieren: In Jordan Belfort singt ihr: „Jordan Belfort, Geld macht süchtig. Ich will Geld zum Frühstück“ und in Lieb's oder lass es: „Lieb's oder lass es, alles da zwischendrin gibt's nicht. Als Kinder war uns scheißegal, wer broke oder rich ist. Woher du kommst und welcher Schuh war damals nicht wichtig. Und wenn du heute anders denkst, diggah, dann fick dich“. Seht ihr diesen Zwiespalt bei euch auch? 

Sikk: Wir spielen damit. Es ist einfach ein Spiegel der Realität. Die ganze Welt ist doch in der Hinsicht total zwiegespalten. Es gibt die Seite, die Geld total vergöttert und es gibt die gegenteilige Seite. Favelas und übertriebener Reichtum im Rap ist genau das Bild, das beides miteinander verbindet. Ich versteh gar nicht, was viele daran nicht konsequent finden. Ich halte es für sehr konsequent, dass wir beides miteinander ausspielen. Ich finde es aber cool, wenn Leute diesen Aspekt bemerken. Ich finde es nur schade, dass es viele nicht bemerken.
 
Karuzo: Wir wurden mal gefragt, wie "Tote Präsidenten" zu Liedern wie "Peng Peng" passt. Da muss ich dann schon sagen: Wenn man das Video zu "Tote Präsidenten" schaut, dann sieht man wie die Kredit- und Finanzhaie mit im Pool schwimmen. Und am Anfang vom zweiten Part werden Brotkrumen gestreut, um den Weg zum Schlüssel zu finden. Und wenn man beides miteinander kombiniert und deutet, dann kommt man schnell auf den Trichter. Wir rappen ja auch: "Eingesperrt in diesem Hamsterrad, also renn ich bis zum Herzinfarkt, Kappa ist mein Avatar". In dem Moment wird der ganze Text konterkariert. Wenn einem die Überhöhung à la "Lang lebe Genetikk" nicht reicht, dann wird er es dort spätestens erkennen, als aufmerksamer Rezipient. Der einzige Vorwurf, den wir uns da machen lassen müssen, ist nicht, dass wir zwei Dinge miteinander kombinieren, die in unserer Welt eh zusammen gehören, sondern, dass wir diese "Brotkrumen" überhaupt legen. Wenn man straight durchballert, dann legt man nicht mal die.
 
Da schwingt in dieser Frage ein bisschen der Vorwurf des "Sellouts" mit...
 
Karuzo: Wir sind die allerrealsten von allen, weil wir die Einzigen sind, die das zugeben. In der Tradition von "König der Lügner" steht genau das.
 
Sikk: Ich weiß auch nicht, warum die Leute das nicht peilen. Wir könnten jetzt in ner halben Stunde ein ganzes Album planen. Dann fragen wir Mark Forster und Andreas Bourani und können innerhalb einer Sekunde irgendwelche Radio-Hooks machen. Uns sagt ja auch keiner ab. Das wäre Sellout! Aber solange wir das so machen, wie wir es machen, weiß ich nicht, was daran Sellout ist. Wir haben diesmal auch bewusst kein Radio-Ding gemacht. Das ist das Gegenteil von Sellout.
 
Karuzo: Und trotzdem gab es mal die Idee, das Album "Sold" zu nennen. Weil wir auch diese Vorwürfe bereits vorhergesehen haben. Der Punkt ist: Was machen denn andere? Nur weil die was anderes sagen, heißt das ja nicht, dass die was anderes machen. Dieser Vorwurf, dass wir nicht real sind, ist für mich so dünn, dass ich mich dagegen gar nicht richtig verteidigen kann. Ich wehre mich ja auch nicht gegen einen Dreijährigen, der mit Papierkügelchen wirft. Ich würde mir also wünschen, wenn die Kritik an dem Punkt ansetzt, dass man erst das große Ganze sieht. Wir können uns gerne hinsetzen und dann erklären wir das. Aber meistens sagt dann schon keiner mehr was.
 
Musik und Hip-Hop ist Business. Und trotzdem betont ihr in euren Interviews immer wieder, dass ihr versucht für eure Musik eure Freiheit zu nehmen, dass ihr euch keinen allzu großen Kopf machen wollt und lieber auch mal einen Flow, einen Moment mitnehmt. Schwer vorstellbar, wenn man bedenkt, dass man heute versucht Images zu kreieren mit Gimmicks oder Features oder so. Wie viele Kompromisse müsst ihr eingehen? Grade im Verhältnis zu eurer Herangehensweise an eure Musik.
 
Karuzo: Wir sind mit unserem Album absolut Gefahr gelaufen, unpopulärer zu sein als mit dem Vorherigen. Wir nennen das Album "Fukk Genetikk". Von uns hat keiner gedacht, dass die Kritik mit den "Favelas" kommt, aber das passt auch zum ganzen Rest. Und uns war grundsätzlich klar, dass dieses Album auch auf diese Art und Weise aneckt. Aber wir haben uns trotz alledem geweigert, ein anderes Album zu machen. Wir hätten ja auch „D.N.A. II“ raus bringen können. Wir sind ja immer schon eins drüber, auch über uns. Dann ist das Album eben "Fukk Genetikk". Wir haben es also quasi angeboten. Ist ja gut, dass es dann Leute gibt, die drauf springen. Aber es entlarvt eher die, die schnell drauf springen, weil da wenig Substanz da ist, um wirklich auf uns zu schießen. Bisher stehen wir nur im Platzpatronen-Feuerwerk. Angeschossen fühle ich mich nicht.
 
Wieviel Einfluss von außen kommt denn im Produktionsprozess an euch heran? Dass Leute vielleicht eben dann auch ein "D.N.A. II" einfordern. Passiert das?
 
Sikk: Gar nicht. Wenn, dann machen wir das unter uns aus. Dass wir uns sagen, wir wollen ein bestimmtes Feeling produzieren. Aber selbst, wenn wir das wollen, passiert das meisten nicht so. Wir machen uns einfach gar keinen Kopf. Es passiert einfach. Und ich könnte das auch gar nicht anders.
 
Karuzo: Es gab zwischendurch mal Stimmen, die in das Album reingehört hatten. Da gibt es den Song "Goyard". Und für die war das sexistisch und frauenfeindlich und die meinten, dass der eigentlich nicht zu uns passt. Und natürlich haben wir den Song trotzdem gemacht. Es geht darum, was wir wollen. Wir wissen, worum es in den Songs geht. Und am Ende muss es uns gefallen. Sikk muss sagen: "Ist krass".
 
Eure Platte heißt „Fukk Genetikk“ Der Titel hat relativ viel Aufmerksamkeit erregt. Wart ihr darüber verwundert?
 
Karuzo: Wir haben erst gedacht, dass es eigentlich viel zu billig ist, die Platte so zu nennen. Und dann gehen alle auf die Sachen drauf, wo wir denken, dass es eigentlich viel zu flach ist. Und die anderen Sachen, wo wir denken, dass es cool ist an der Platte, das peilen viele dann nicht. Marketingtechnisch war "Fukk" für uns ein Problem. Du kannst Sachen mit dem Wort nicht wirklich bewerben. Facebook und ITunes sperren dir die Sachen. Wir haben also alles gemacht, um es uns marketingtechnisch schwer zu machen. Es ist für uns die unangepassteste Platte, die wir gemacht haben bisher. Vom Titel, aber auch vom Look her. Wir sind aus diesem "D.N.A.“ oder "Achter Tag" Design komplett raus gegangen. Ein kompletter Bruch. Die Masken sind nicht mehr auf dem Cover. Man sieht gar nicht auf den erste Blick, dass das ein Genetikk-Album ist. Wir haben marketingtechnisch also alles falsch gemacht. Und dennoch wirft man uns Sellout vor.
 
Sikk: Das Ding ist: „D.N.A.“ und „Achter Tag“ haben auch gedauert, bis sie Gold gegangen sind. Ich weiß einfach, dass das alles Klassiker werden. Vor allem im Vergleich zu anderen, die vielleicht auch Gold gehen, wo die Künstler aber selbst wissen, dass es oft kacke ist. Wir wissen, dass unsere Sachen nachwirken.
 
Karuzo: Sikk sagt auch immer: Kik verkauft auch mehr als Armani, aber es geht nicht immer nur um Stückzahlen. Man kann es nicht nur daran fest machen.
 
Was waren denn Dinge, die für euch mehr Aufmerksamkeit hätten bekommen müssen auf der Platte?
 
Karuzo: Für unsere Musik generell wünscht man sich, dass es möglichst gut funktioniert. Wir sind da auch erfolgsverwöhnt sozusagen. Jetzt kann man von außen sagen, dass wir nur auf Platz Sechs gechartet sind. Aber das ist für uns kein Problem. Für uns zählt, dass die Platte uns extrem Spaß macht. Ich kann genauso hinter diesem Album stehen, egal wie es chartet und sich verkauft. Am Ende muss man, wenn man mutig ist und sich selbst neu erfindet, sich auch selbst mehr zutrauen. Und dann wartet man halt ein bisschen länger darauf, dass es Gold geht. Aber es geht Gold.
 
Wir treffen uns ja in Luxemburg. Internationalität ist etwas, dass euch seit jeher auch begleitet. Und sei es nur als eine Art Lifestyle, als eine Art Attitude, die ihr vorlebt. Und dennoch rappt ihr vornehmlich auf Deutsch. Ein Hindernis für die internationale Karriere?
 
Karuzo: Erstmal ja und dann aber auch wieder nicht. Rammstein hindert es nicht. Falco hat es auch nicht gehindert. Natürlich kommen bei denen noch andere Faktoren hinzu. Aber bei uns gibt es ja auch andere Faktoren. Es ist jetzt auch nicht zwingend das Lebensziel, Amerika, aber wir wollen auf jeden Fall versuchen, alles raus zu holen. Und ich glaube, dass wir das schaffen können. Es gibt Songs auf italienisch, spanisch, portugiesisch, französisch. Das ist alles lieferbar. Mal gucken wie wir da Bock drauf haben, das zu verpacken. Wir decken also jetzt schon relativ viele Gebiete ab. Wir können ja auf jeden Fall auf Südamerika-Tour gehen. Dann tasten wir uns langsam nach oben, solange die Mauer noch nicht steht zwischen Mexiko und den USA (alle lachen).
 
Sikk: Die Amerikaner, die wir selbst kennen, die finden es ja längst cool.
 
Eine Zeile „Leb' den Moment, denn ich hab keine Zukunft“ aus dem Song hat ja fast schon politische Dimensionen. Ihr hattet eigentlich gar nicht vor eine Platte mit politischem Hintergrund zu machen. Und dennoch gibt es immer wieder diese Stellen in verschiedensten Songs. Ein Zeichen dafür, dass Genetikk und ihr als Menschen reifer geworden seid?
 
Karuzo: Ich kann das nicht wirklich beantworten, weil ich es nicht wirklich weiß. Wir wollten eine Platte machen, die uns Spaß macht. Aber es gelingt uns scheinbar nicht, komplett stumpfe Texte zu schreiben. Es gibt aber auch die Momente wo die Platte stupide aufs Maul ist. Wir hatten eigentlich Bock drauf, was möglichst unpolitisches zu machen. Aber dann haben es alle anderen gehört und gemeint: "Das ist aber voll politisch". Naja, gut.
 
Sikk: Es kommt ja auch darauf an, wer etwas sagt. Oder in welchem Kontext es gesagt wird. Wir hatten nie den Gedanken, dass wir auf jeden Fall politische Texte machen müssen. In "Tote Präsidenten" geht es erst mal nur ums Geld. Und dann ist Trump da und es ist auf einmal politisch.
 
Einer der beeindruckendsten Songs für mich ist „Diamant“. Ein krasses Stück Storytelling. Könnt ihr uns was über Entstehung des Songs erzählen?
 
Karuzo: Der Song sticht schon ein bisschen heraus, allein schon der Aufbau, weil es keine Hook gibt und es eine Ballade ist. Die Aufmachung ist auf jeden Fall was besonderes. Für mich, weil es wirklich eine Herausforderung war den Song zu schreiben. Ich hatte den Beat von Sikk ewig. Und ich wusste überhaupt nicht, was ich damit mache. Ich hab mich mindestens 50 mal dran gesetzt und nichts zustande bekommen. Und dann hab ich es in einem runter geschrieben in 40 Minuten oder so. Und das war für mich ein sehr erleichternder Moment, weil ich den dann endlich vorzeigen konnte. Ich wusste, dass er gut ist und Sikk hat mir das glücklicherweise auch bestätigt. Deshalb ist der Song auch für mich besonders. Die Standardreferenz und Inspiration ist von Nas "I Gave You Power", wo er aus der Perspektive von ner Knarre rappt. Und dann gibt's Torchs "Blauer Samt", wo er aus der Perspektive von nem Hundert Mark Schein rappt. Und die sind beide krass. Lyrisch ist Torch besser als Nas. Und ich wollte etwas, was dem ebenbürtig sein kann. Und ich glaube, dass ist uns ganz gut gelungen. Es ist zumindest das Beste, was wir raus bringen können. Ob das mit Nas und Torch in einer Reihe stehen kann, muss jemand anders entscheiden.
 
Ihr habt ein Feature mit A$AP Nast auf der Platte. Wie kam der Kontakt zum A$AP Mob zustande und was macht eure Beziehung aus? Wie kam es zum Feature?
 
Sikk: Wir haben uns damals auf dem Splash kennen gelernt, nachdem die sich unsere Show reingezogen haben. Wir haben nach denen gespielt und die waren Co-Headliner von Rocky. Wir wussten gar nicht, ob sie die Show gucken kommen, wir hatten es ihnen vorher nur vorgeschlagen. Und dann haben sie sie komplett geguckt und waren ziemlich geflasht. Sie haben uns dann nach Stuttgart zu den Hip-Hop Open eingeladen, wo wir nicht gespielt haben. Dann sind wir zusammen nach London und nach Berlin, waren einfach sehr viel zusammen unterwegs. Auch privat. Es war also super real. Das Gegenteil von Feature kaufen. Sie sagen, wir inspirieren die, und umgekehrt ist es ja sowieso so. Es hat sich null Fake angefühlt. Und mit Nast hatten wir eh geplant was zu machen. Mit Rocky kommt bestimmt auch noch was. Wir wissen übrigens, wenn die in L.A. sind und Kanye und French Montana die Songs vorspielen, dann feiern die das auch ab. Ziemlich cool.
 
Euer Ziel, dass ihr immer mal wieder formuliert, ist, die krasseste Live-Show zu bieten. Was macht für euch denn das Live-Erlebnis aus?
 
Karuzo: Energie. Für uns ist das das Wichtigste. Die Extase endet oft im "Yes Sir". Und du hast so Punk-Rock-Konzert-Atmosphäre. Die Steigerung und die Leute dahin zu treiben und das einzufordern. Wir hatten zum Beispiel nie das Problem gehabt, wie andere Künstler, das die Leute so viel mit dem Handy filmen. Wir zwingen die Leute, sich zu beteiligen. Die müssen viel mitrappen und wir wollen 90 Minuten die Hände sehen. Wenn wir dann von der Bühne kommen, sind wir nass von oben bis unten. Das ist das, was wir machen, wenn wir auf der Bühne sind. Wir geben mega viel Feuer nach draußen und wollen das dann von den Leuten zurück kriegen. Das klappt natürlich mal besser, mal noch besser, aber schlecht ist es nie. Und in den Momenten, wo du die Energie auch raus kriegst, die du reinsteckst, dann ist das Bombe. Einfach eine besondere Atmosphäre. Grade der letzte Auftritt hier in Luxemburg war von der Stimmung her extrem dicht und begeisternd.
 
Sikk und Karuzo, vielen Dank für das sehr offene und interessante Gespräch.

Foto: C. Hell

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