Stadtgespräch
10.02.2019 Janine Köppel Janine Köppel
Dialog im Dunkeln

Ein Augenöffner

​Die Erkundung seiner Umgebung in absoluter Dunkelheit ist eine – für die meisten Menschen – völlig neue Erfahrung. Die Möglichkeit dazu bekommt man seit letzten Dezember in der entweihten Trierer Pauluskirche. Das hat sich hunderttausend.de natürlich nicht entgehen lassen.

 
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Das Sehvermögen ist für viele eine Selbstverständlichkeit und der Verzicht darauf kaum vorstellbar. Normalerweise möchte man sich dieser Situation nicht freiwillig aussetzen, sodass es oftmals an Verständnis gegenüber Blinden mangelt. Es ist sogar noch häufig so, dass dem Thema Blindheit mit Vorurteilen, Hemmungen und sogar Angst begegnet wird. Genau dagegen arbeitet Dialog im Dunkeln. Das Konzept wurde schon 1988 von Andreas Heinecke in Frankfurt entwickelt und ist mittlerweile in 29 Ländern erfolgreich. Anlässlich des Jubiläumsjahres der Nikolaus Koch Stiftung wurde das mehrfach ausgezeichnete Projekt nach Trier gebracht. Organisiert wird die Ausstellung von dem Dialog im Dunkeln e.V.

In der Pauluskirche sind insgesamt drei Räume aufgebaut, die verschiedene Alltagsszenen beinhalten: einen Park, eine Straße und ein Café - alles in völliger Dunkelheit. Dabei ist man jedoch nicht auf sich alleine gestellt, sondern wird in kleinen Gruppen von maximal acht Personen von einem blinden Guide hindurchgeführt. Zu Beginn gelangt man in eine Art Schleuse. Mitarbeiterin Marion stattet die Teilnehmer mit Blindenstöcken aus und gibt in dem kleinen, schwach beleuchteten Raum eine kurze Einweisung. Es gehe darum seine Ohren und die Nase zu benutzen und besonders das Richtungshören sei gefragt. Alle atmen noch einmal tief durch, dann wird das Licht gelöscht und einer der sogenannten „Kirchengespenster“ betritt den Raum. Guide Dirk spricht mit sehr ruhiger und angenehmer Stimme, alle stellen sich einander vor und dann geht es auch schon los.

Die Tür zum ersten Raum wird geöffnet und die Gruppe trippelt im Gänsemarsch, Dirks Stimme konzentriert folgend, in die Szenerie. Man wird von Vogelgezwitscher empfangen und auch der veränderte Untergrund lässt vermuten, dass man sich in einer inszenierten Außen-Umgebung befindet. Die Hände meist halb ausgestreckt verliert man in kürzester Zeit seine Berührungsängste, denn es ist nicht zu vermeiden, mit Dirk oder den anderen Teilnehmern immer wieder unfreiwillig auf Tuchfühlung zu gehen. Das führt zu stetigen Entschuldigungsbekundungen, aber auch jede Menge Kichern. Dabei ist Dirk stets darum bemüht, dass keiner verloren geht. Er spricht die ganze Zeit mit der Gruppe, gibt Anweisungen in welche Richtung man sich drehen muss, fragt nach den Eindrücken und schiebt orientierungslose Besucher auch mal sanft in die richtige Richtung.

Hat man den zweiten Raum erreicht, ergibt sich ein ganz neues Bild: der Boden wird fester, die Hände streifen an einer Mauer entlang und Straßenlärm verortet die Szene in der Stadt. In dieser Atmosphäre ist man sofort froh, sich in einem sicheren Raum mit einem Experten an der Hand zu befinden. Trotzdem nimmt man die Herausforderung an eine Straße zu überqueren und ein Großteil der Gruppe stellt wohl fest, dass sie ohne Hilfe kläglich gescheitert wäre. Dabei ist Dirk wesentlich gnädiger mit den Teilnehmern und lobt jedes Mal eifrig, wenn die abgetasteten Gegenstände und Aufbauten richtig erraten wurden.

Der dritte und letzte Raum ist das Dunkel-Café. Das Radio spielt Musik und es gibt Getränke und Snacks. Beim Kauf dieser lernt man auch direkt die Unterschiede der verschiedenen Münzen kennen, während Dirk zielsicher die bestellten Getränke verteilt. Hier kommt man dann in aller Ruhe dazu, worum es eigentlich geht: dem Dialog. Die Besucher schildern ihre Eindrücke und dass sie Dirk im wahrsten Sinne blind vertrauen mussten und sich auf seine Stimme konzentriert haben. Er erzählt dazu, dass genau das – Sicherheit und Geborgenheit für die Gruppe -  die höchste Priorität für die Guides darstellt. Er selbst war nicht von Geburt an blind und versetzt sich jedes Mal erneut in die Situation der Sehenden um die Teilnehmer sicher durch die fremde Umgebung zu führen.

Gespannt lauscht man den Geschichten der Anfangszeit seiner Erblindung. Er hatte sich früher gerne Eselsbrücken gebaut um sich zurecht zu finden: zum Beispiel indem er Schritte gezählt, oder sich markante Punkte gemerkt hat. Was in den sicheren Ausstellungsräumen unbedenklich ist, war laut Mobilitätstraining für Blinde streng verboten: das Benutzen der Hände zum Ertasten der Umgebung. Dabei erzählt er auch von unsanften Begegnungen mit Straßenlaternen oder davon, wie er nur knapp einer Ohrfeige entging, als er im Schnellrestaurant nach der Theke greifen wollte, während noch eine Frau vor dieser stand.

Der gelernte Koch verlor sein Sehvermögen erst mit 36 Jahren und wurde durch sein Amt als Vorsitzender des Blindenverbandes Trier auf die Stelle bei Dialog im Dunkeln aufmerksam. Wie alle anderen Guides erhielt er eine zweiwöchige intensive Einweisung, bei der er sich mit den Ausstellungsräumen vertraut machte und auch mit möglichen Notfallsituationen konfrontiert wurde um für alle Fälle gewappnet zu sein. Er spricht davon, dass sich immer noch Teile der Gesellschaft nicht in diese Situation hineinversetzen möchten und sogar Angst vor dem Thema Blindheit haben. Bei seiner Arbeit wurde er selbst überrascht davon, wie gut das Projekt angenommen wird und versucht sehenden Menschen einen Eindruck davon zu vermitteln wie ein Blinder sein Leben auch alleine bewerkstelligen kann. Blinde sind nicht von vornerein hilflos. Zwar wird es immer Situationen geben, in denen sie auf Hilfe angewiesen sind, aber mit bestimmten Techniken können sie eine Menge Unabhängigkeit zurückgewinnen. Er sagt, dass es leider immer noch das Vorurteil „blind gleich dumm“ gibt und mit seiner Arbeit leistet er einen Beitrag um dagegen anzukämpfen.

Zurück in der Schleuse setzen sich die Besucher hin und Dirk beginnt ganz langsam den Raum zu erleuchten. Nun bekommt die sanfte Stimme, von der man durch das Unbekannte begleitet wurde, ein – sehr freundliches – Gesicht. Und so wie man sich ein Bild von Dirk gemacht hat, hat man es sich von den Räumen gemacht. Jedoch wird der Wunsch, dieses Bild visuell abzugleichen, nicht erfüllt werden. Fast schon ungern verlässt man die Dunkelheit, von der man geradezu zur Entschleunigung gezwungen wurde. Im Gespräch mit der Projektmanagerin Estelle nannte sie die Erfahrung einen „Augenöffner“ und was erst so absurd klang, ergibt jetzt Sinn. Man entdeckt nicht nur eine ganz neue Welt, sondern lernt auch viel über sich selbst.


Wer diese einzigartige Erfahrung ebenfalls machen möchte, hat noch bis Ende Juli die Gelegenheit dazu. Die Ausstellung ist immer Dienstag bis Sonntag jeweils von 9:30 Uhr bis 18:30 Uhr geöffnet.

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