Interviews
03.06.2017 Vincenzo Sarnelli Vincenzo Sarnelli
Blackout Problems auf der AStA Sommersause

"Es kommt auf die Perspektive an"

​2016 war das Jahr für die Band Blackout Problems. Die Münchner starteten mit Debüt-Album, diversen Konzerten und sogar Fernseh-Auftritten. Bei der AStA Sommersause in den Kaiserthermen am 01. Juli 2017 spielt die Band um Mario Radetzky an historischer Stätte. Wir sprachen mit dem Sänger über das Album, Perspektivwechseln und wie es ist mit Nathan Gray auf einem Stadtfest in Pforzheim zu sein.  

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​hunderttausend.de: Mario, ihr spielt auf der AStA-Sommersause. Eure Musik ist zwischendurch auch mal etwas schwermütiger. Warum wird das denn trotzdem was mit euch auf der Sommersause?

Mario Radetzky: Na, du hast da schon den Nagel auf den Kopf getroffen. Wir machen schon eher schwermütiges Zeug und wir bevorzugen auf jeden Fall den Moll-Akkord. Trotzdem ist da immer auch ein Funken Hoffnung und Optimismus mit dabei, dass die Lebensfreude, die wir da auf die Bühne bringen, auch auf eine Party passt. Wir sind da lustigerweise mal von einem anderen Musiker drauf angesprochen worden, dass wir viel lachen und mega glücklich auf der Bühne wirken. Und das ist ja nicht gefaked. Wenn wir normalerweise arbeiten gehen, dann haben wir nur halb so viel zu lachen. Uns tut es einfach saugut auf der Bühne zu stehen. Wir erwarten uns also auf jeden Fall einen guten Abend in Trier.
 
Das Jahr 2016 war für eure Band ziemlich wichtig. Nicht nur, weil euer Debüt-Album „Holy“ rausgekommen ist, sondern weil ihr auch diverse wichtige Auftritte hattet. Ihr wart zum Beispiel mit Apologies, I Have None auf Tour. Wenn du jetzt zurückblickst auf das Jahr, was geht da in dir vor?
 
Ich bin nicht so der Typ, der so sehr in die Vergangenheit guckt und immer auf kleine Erfolge zurückblickt und sich dafür selbst auf die Schulter klopft. Für mich ist es eine relativ schöne Herausforderung im Hier und Jetzt zu leben und zu gucken, was wir für Projekte vorhaben. Wir leben generell einfach in einer interessanten Zeit, die von Spannung, Ungewissheit und durchaus auch Angst geprägt ist. Das deprimiert einerseits, motiviert aber auch und macht insgesamt heiß darauf neue Sachen zu machen. Mein Blick und auch der von den anderen der Band ist also eher nach vorne gerichtet. Wenn wir trotzdem den Hals verrenken und zurückschauen, dann war 2016 echt abgefahren, weil so viele kleine Wünsche in Erfüllung gegangen sind, die wir lange hatten. Viele Kollegen haben uns das auch gegönnt, weil die wissen, dass wir keine Band sind, die etwas in den Arsch geschoben bekam, sondern alles durch harte Arbeit erreicht hat. Wir haben immer noch kein Label. Es kommt sehr viel aus unserem Herzen und unserer Hand direkt in den Lautsprecher und deswegen ist es einfach total cool, dass es überhaupt Leute gibt, die das interessiert.
 
Jetzt hast du mir mit dem ersten Teil ein bisschen den Wind aus den Segeln genommen. Ich hoffe, es ist trotzdem okay, wenn wir nochmal den Blick zurück wagen…
 
Na klar (lacht).
 
Eine Sache die mich bei euch ja von Anfang an gekriegt hat, war, dass ihr direkt auf euren ersten beiden beachteten Veröffentlichungen, eurer EP “Gods“ und eurem Album “Holy“, ziemlich coole Features habt. Zum einen mit Mathias von Heisskalt und zum anderen mit Nathan Gray von Boysetsfire. Wie ist es denn dazu gekommen? Grade Nathan Gray hat mich schon etwas überrascht.
 
Stimmt schon, dass Nathan nicht der Erste ist an den man denkt, wenn man unsere Band hört und weiß, dass wir eine Generation jünger sind als er. Wir wollten auf der Platte, wenn, dann nur ein besonderes Feature machen, mit dem nicht jeder direkt rechnet. Und es sollte auch etwas sein, was man nicht für Geld kaufen kann. Wir haben dann über Uncle-M eine Mail an ihn geschickt und haben ihm den Song gezeigt. Eine erste Verabredung ist leider schiefgegangen. Wir wollten das eigentlich bei einer Show in München aufnehmen, aber er wollte das nicht so halbherzig mit wenig Zeit machen. Wir haben uns dann in Pforzheim getroffen und sind erstmal zusammen aufs Stadtfest. Dort haben wir uns zu Volksmusik- und Schlagerklassikern erstmal kennen gelernt (lacht). Wir haben über den Song gesprochen, wer die „Boys without a home“ sind. Ich hab ihm dann erzählt, dass wir dieses Lied unserer Crew widmen, die einfach aus unseren besten Freunden besteht. Und nachdem dann die erste Flasche Rotwein geköpft war und er Bratwurst mit Schupfnudeln und Sauerkraut gegessen hatte, war er dann so: „Jetzt gehen wir ins Studio und nehmen das auf“. Er ist dann rein in die Gesangskammer und hat das Ding in zwei, drei Takes genagelt. Ich hatte eine wahnsinnige Gänsehaut, als ich den Song dann das erste Mal gehört habe. Es hat einfach gepasst. Es war stimmungsvoll und wir haben uns gut verstanden. Es war absolut nicht lieblos. Bei Heisskalt ist es eine ähnliche Sache. Wir sind gut befreundet. Ich liebe Matzes Stimme und Heisskalt. Wir sind nicht nur Freunde, sondern auch große Fans von der Band.
 
Stell ich mir mega interessant vor mit Nathan Gray auf einem Stadtfest zu sein…
 
Auf jeden Fall (lacht).
 
Die Platte ist durchaus kontrovers diskutiert worden. Viele Fans waren ziemlich glücklich, einige Rezensenten nicht so. Ein Satz aus einer Kritik hat mein Interesse geweckt. Da fragte jemand: „Wie kann es sein, dass Musiker singen sie hätten „nothing left to lose“? Ich gebe das also mal, etwas provokant, weiter an dich.
 
Naja, es kommt immer darauf an, aus welcher Perspektive man das sieht. Der Song auf den du hier anspielst ist „The King“. Da haben wir uns mit der Flüchtlingsproblematik der letzten Jahre auseinandergesetzt. Viele verschiedene Menschen kommen aus unterschiedlichsten Ländern nach Europa und wollen dort ein neues Leben anfangen. Diese Zeile spricht also gar nicht auf uns an, sondern ich hab mich in die Lage eines Flüchtlings versetzt, der in ein Boot einsteigt und nach Europa übersetzt. Komme was wolle. Das zu machen, zeigt eine Überzeugung von diesem neuen Leben. Ich glaube, dass es eigentlich genug Ressourcen für alle gibt, man könnte es umverteilen. Die Kluft zwischen superarm und superreich ist einfach viel zu groß, wir singen auch davon in den Strophen, und das müsste so nicht sein. Zumindest glaube ich das in meinem jugendlichen Idealismus. Und im Refrain, wo die Zeile drin vorkommt, die du zitiert hast, schöpfe ich eigentlich wieder das vermeintlich romantische daraus, dass man eben für ein besseres Leben alles aufgibt. Das kann man natürlich auf die verschiedensten Dinge abwälzen. Und wenn man da jetzt nicht so 100 % in der Materie ist, dann kann man sicher sagen: „Was will mir da der 25-Jährige erzählen. Der hat doch alles was er braucht“. Ist ja auch so. Wir haben ein gutes Leben hier. Das hindert uns aber nicht daran über unseren Tellerrand hinaus zu schauen und zu gucken wie es anderen Menschen geht. Auch wenn ich nicht die Lösungen für alles hab. Aber ich kann trotzdem gucken und zuhören und vor allem mein eigenes Ego hinten anstellen.
 
Ihr spielt in euren Texten immer wieder mit diesen Perspektivwechseln. Woher kommt das? Habt ihr da öfter die Problematik, dass dann Missverständnisse entstehen?
 
Bisher hatten wir damit eher wenige Probleme gehabt. Schönerweise. Ich habe einfach gerne den Perspektivwechsel in jeglichen Situationen, egal wie banal. Ich gehe einfach so durchs Leben. Ich wurde so erzogen. Wenn ich A sage, sieht die andere Seite vielleicht B und man muss sich da hineinversetzen. Wenn man sich heutzutage die Angst anschaut, dass Leute in Dresden auf die Straße gehen und deutschen Fahnen hinterherlaufen. Woher kommt denn das? Da kann man sich dann einfach mit dem Mittelfinger davorstellen und sagen, dass das alles Arschlöcher sind. In mir herrscht dann aber schon das Interesse zu fragen: Warum tut ihr das? Warum habt ihr Angst? Warum denkt ihr so? Mein Vater interessiert sich sehr dafür, was die Welt zusammenhält. Und nachdem er das dann zum zwanzigsten Mal gesagt hat, hat es vielleicht doch etwas abgefärbt auf mich.
 
Ist sicher auch nicht die schlechteste Sache, so etwas zu übernehmen. Eure Platte ist jetzt fast anderthalb Jahre alt. Du hast eben gesagt, dass ihr schon wieder neue Projekte plant. Worauf kann man sich denn freuen?
 
Wir sitzen grade tatsächlich an Plänen. Und wir haben uns bei der ganzen Sache so eine Prämisse gegeben. Es ist zwar ein zweites Album, aber irgendwie auch wieder ein Debüt, weil wir einen neun Gitarristen haben mit Moritz, der uns schon seit zwei Jahren als Merchandiser und Backliner begleitet hat. Nachdem wir die “Holy“ rausgebracht haben, ist er als Gitarrist eingestiegen. Wir wollen auf jeden Fall was Authentisches und Ehrliches rausbringen. Es darf nicht überstürzt und möglichst schnell sein, nur weil man denkt, man braucht jetzt sofort ein zweites Album. Wir haben uns ein paar Termine geblockt, an denen wir uns zum Schreiben treffen wollen. Wir wissen noch nicht mit wem wir die Platte machen oder wo wir sie aufnehmen wollen. Wir haben aber schon ein paar Dinge im Kopf, die ich natürlich auf gar keinen Fall verraten werde (lacht). Prinzipiell ist die oberste Prämisse: Wieder authentisch, aber komplett anders.
 
Ich stell mir das durchaus spannend vor. Ihr seid ja seit Release quasi die gesamte Zeit auf Tour. Ihr nehmt beide Festival-Sommer mit, wart im Frühjahr und Herbst als Support oder als Headliner unterwegs. Wann findet ihr denn Zeit für Songwriting und für Inspiration insgesamt?
 
Das ist wirklich gar nicht so einfach. Man muss wirklich Zeit haben, die Eindrücke zu verarbeiten. Und jetzt ein Album zu schreiben darüber, wie es ist auf Tour zu sein, was anstrengend ist, weil man nie zuhause ist, oder so, sowas braucht kein Mensch mehr. Da machen wir uns mit unseren 25 Jahren und 90 Konzerten im Jahr doch eher zur Lachnummer. Themen zu finden, sich Zeit zu nehmen, zu lesen, was zu erleben, irgendwohin zu fahren, zu reisen, das muss man einfach machen. Deshalb wollen wir auch nicht übereilt irgendwas rausballern. Wir haben auch grade intern so ein bisschen Zeit geschaffen für jeden, damit alle auch mal woanders hinschauen können. Und dann kommen wir wieder zusammen und können unsere Erlebnisse und Ideen zusammen verarbeiten. Grade im Moment ist die Stimmung sehr interessiert. Jeder von uns ist sehr sehr verschieden. Wenn man uns von außen betrachtet, meint man zwar, wir wären Brüder, aber im Details sind wir wirklich grundverschiedene Typen mit grundverschiedenen Einflüssen. Und das dann im Proberaum zusammen zu bringen ist total spannend. Es kann also gar keiner alleine einen Blackout Problems-Song schreiben. Jeder kann nur Ideen bringen und das gemeinsame Konstrukt entsteht dann, wenn wir alle hinter unseren Instrumenten sitzen.
 
Spannend interpretiere ich jetzt auch mal als kontrovers. Wie oft krachts dann auch mal im Prozess?
 
Das kommt schon mal vor, dass Spannungen dann vorhanden sind. Wir haben aber gelernt miteinander zu reden. Auch wenn es immer wieder Momente gibt, in denen man mal denkt: „Leckt mich“. Aber dann setzt man sich zusammen und haut auf den Tisch und tauscht sich darüber aus. Das ist zwar manchmal ganz schön anstrengend, aber am Ende des Tages hängen wir einfach 250 Tage im Jahr zusammen und müssen auch über Probleme reden. Würden wir das nicht tun, wären wir irgendwann so eine Kackband, in der jeder mit dem eigenen Auto zum Gig fährt und keiner mehr mit dem anderen redet. Das können wir machen, wenn wir genug Geld dafür haben (lacht). Aber noch sitzen wir Arsch an Arsch in unserem Bus und da gibts keinen Ausweg, da muss man sich verstehen. Das macht aber auch den Reiz aus.
 
Ihr wart im Rahmen der Tour mit Apologies, I Have None schon mal in Trier. Habt ihr euch die Stadt schon mal angeschaut?
 
Leider hatten wir bisher keine Zeit dafür gehabt. Aber wir haben uns sagen lassen, dass ihr viele alte Sehenswürdigkeiten habt.
 
Ihr spielt in einer, in den Kaiserthermen…
 
Cool, wir packen schon mal die Badehosen ein (lacht). Na klar, man interessiert sich schon für die Städte, in denen man spielt und so, leider hat man nicht immer Zeit sich das alles anzuschauen. Das wichtigste sind uns, so platt es klingt, die anderthalb Stunden auf der Bühne. Wir konzentrieren uns auf das Spektakel auf der Bühne.
 
Ein Spektakel wird es sicher auch bei der AStA Sommersause in den Kaiserthermen. Vielen Dank, Mario, für das Gespräch. Wir freuen uns auf euren Auftritt. 


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