Interviews
17.11.2015 Vincenzo Sarnelli Vincenzo Sarnelli
Bilderbuch im den Atelier

"Gefühlen Platz und Raum geben"

Gefühlvoll und mit viel Sexappeal erobern sie den deutschsprachigen Raum mit einer besonderen Mischung aus Soul, Funk, Pop, Rock und vielem mehr. In Schubladen passen sie nicht und das ist gut so. Mit Bilderbuch kommt der "heiße Scheiß" des Sommers am 27. November ins den Atelier nach Luxemburg. Wir sprachen mit Gitarrist Michael "Mike" Krammer (Bild vom Sound&Vision Festival in Trier) über den Style, den Mut der Band und warum die Mädels plötzlich hinter ihren Hintern her sind.  
 
Image

hunderttausend.de: Hey Mike, sag mal, wie fühlt es sich eigentlich an, der neue "geile, heiße Scheiß" zu sein? Das waren die Worte, mit denen ein Kumpel mir eure Platte vorgestellt hat. 

Michael Krammer: Auch wenn ich jetzt nicht wusste, dass dir dein Kumpel das so gesagt hat, haben wir das so ähnlich jetzt schon öfter gehört (lacht). Aber keine Ahnung. In Musik ist immer Bewegung drin und alles entwickelt sich weiter, deshalb gibt es auch immer wieder einen neuen "heißen Scheiß". Und das ist auch gut so. Denn es gibt nichts Spannenderes, als neue Bands und Musik zu entdecken. 

Ganz im Ernst: Ihr werdet musikalisch schon den ganzen Sommer über sehr gefeiert. Das Interessante ist dabei, dass sowohl der Mainstream als auch der Feuilleton hin und weg sind von Euch. Warum? Was macht Ihr richtig?

Ich glaube, der Kern ist die Bandgeschichte und der Fakt, dass es Bilderbuch schon seit zehn Jahren gibt. Ich spiele jetzt seit sieben Jahren in der Band. Wir haben angefangen, vor wenigen Leuten zu spielen. Irgendwann wurden es mehr. Ich denke, wir sind auf eine sehr gesunde Weise gewachsen. Das hatte alles eine gute Balance. Wir konnten uns auch austoben und Dinge machen, die wir einfach genau so machen wollten. Jetzt sind wir ein bisschen erwachsener geworden und wissen mehr, was wir wollen. 

Und was wäre das?

Lass es mich so sagen: Wir wussten zumindest bei dem letzten Album mehr, was wir wollen. Was wir jetzt grade wollen, das wissen wir nicht (lacht). Oder noch nicht. Und das ist gut so. Ich finde ja, dass man solche Sachen so zu 50 Prozent dem Zufall überlassen sollte: Die Songs auch ein bisschen zu einem kommen lassen, indem man vielleicht auch ein bisschen Blödsinn macht. Und wenn du dann ein gutes Gefühl hast, oder denkst, dass es passt, dann kannst du eingreifen und irgendwie "mathematisch oder logisch" an die Sache rangehen. So nach dem Motto: "Jetzt nehmen wir das nochmal in gut auf." Ich finde es ganz wichtig, Gefühlen Platz und Raum zu geben. 

Euer aktueller Sound ist, im Vergleich zum Indie-Rock, den die Band zu Beginn gemacht hat, ziemlich speziell. Habt Ihr Zuhause eigentlich Schubladen? Weil Ihr ja nicht so richtig in eine reinpasst. 

Ich habe nicht besonders viele Schubladen. Zwei, glaub ich (lacht). Aber mir gehts schon genauso. Wenn du mich jetzt fragst, was wir für Musik machen, dann würde ich entweder alles aufzählen, was wir so gut finden und was uns inspiriert oder ich sage einfach "Pop-Musik". Und ich denke, das ist einfach die beste Beschreibung. Wir passen da schon am besten rein. Wir sind eine "populäre" Band. Keine Mainstream-Band. Die Cro-Fans kriegen trotzdem Ausschlag und rennen schreiend davon, wenn sie uns hören (lacht). Damit haben wir aber jetzt kein Problem. Jeder, wie er gerne möchte (lacht). Aber ich finde es schon gut, in der Hinsicht ein bisschen zu polarisieren. 

Ich habe über Euren Sound im Netz gelesen: "Das ist, als hätten Kanye West, Falco und irgendeine britische Indie Band 'ne Jam-Session hingelegt." Zufrieden mit der Beschreibung?

(überlegt). Ja, man könnte das schon so entschlüsseln. Es ist auf jeden Fall kein Anti-Kompliment. Ist okay (lacht). 

Zu dem außergewöhnlichen Sound kommt ja auch eure Coolness, euer Style. Bunt, außergewöhnlich, etwas exzentrisch für deutsche Verhältnisse vielleicht. Gehört das zum Konzept oder ist das Charakter? 

Eher Zweiteres, glaube ich. Irgendwann wird dir sicher auch im professionellen Rahmen bewusst, wie du wirkst, aber es ändert nichts an der Tatsache, dass man gleich heim gehen kann, wenn man anfängt, sich zu verstellen. Das ist Fakt. Es bringt absolut gar nichts, Dinge zu machen, die für irgendjemanden in der Band nicht authentisch sind. Du wächst da rein. Du machst gemeinsam Musik. Man trifft sich genauso wie 2008 im Proberaum oder im Studio. Damals waren wir eine Rock-Band und sind irgendwann dazu übergegangen, auch mit dem Computer Musik zu machen. Die Entwicklung hat sich bestimmt irgendwie auch auf unsere Attitüde ausgewirkt. Nehme ich zumindest an. Somit ist es ein Mash-Up zwischen Musik und Attitüde. Ich probiere einfach, nicht zu viel darüber nachzudenken. Sondern einfach zu leben. 

Der Erfolg gibt Euch sicher in dieser Hinsicht recht. Immerhin ist Euer Sänger Maurice zum bestangezogensten Mann Österreichs gewählt worden. 

Na, das hätte ja eigentlich ich sein sollen (lacht). Aber du musst genauer recherchieren, dieses Jahr sind wir alle vier nominiert (lacht). Na, das ist natürlich totaler Blödsinn. Als mir das jemand gezeigt hat, hab ich mich ein bisschen geschämt, aber auch gefreut (lacht).

Mike, wir sind ja unter uns. Wie viel Mut gehört eigentlich dazu, solche Hemden wie Maurice zu tragen?

Wenn es einem gefällt, eigentlich gar keiner, finde ich. Es sei denn, man müsste damit rechnen, ständig einen auf den Latz zu bekommen, wenn man rausgeht. Aber da wir, glücklicherweise, in einer Welt leben, in der das nicht so oft passiert, muss man nicht so viel Mut haben. Und wenn man keine Lust hat, sowas anzuziehen, dann sollte man es einfach auch nicht anziehen (lacht). 

Maurice singt in "Schick Schock" "Sag es laut, jaul es raus, gib es zu! Du bist hinter meinem Hintern her!" Sehr selbstbewusst und mutig, wie eure Musik. Was erdet euch eigentlich? Was  hindert euch daran, total abzuheben? Immerhin spielt ihr vor großem Publikum und seid unbestritten ziemlich coole Typen.

Wir erden uns gegenseitig. Das macht am Ende des Tages auch eine gute Band aus. Ich glaube, als Solo-Künstler wirst du irgendwann wahnsinnig und hast immer mehr Leute, die dir den Arsch pudern. Und wenn du dann abgehoben hoch 100 bist, will keiner mehr ernsthaft mit dir reden. Da helfen dann nur menschliche Qualitäten und du bist ein cooler Typ, dann hast du vielleicht kein Problem. Bei uns, denke ich, liegt es daran, dass wir zu viert sind und der eine den anderen wieder runter kühlt, wenn es notwendig ist. Das ist eine organische Angelegenheit in der Band. Ich glaube, dass solche Dinge schnell wieder vorbei sein können und es im Endeffekt auch viel Schall und Rauch ist. Mir geht es darum, Musik zu machen, die bleibt. Die man sich in 40 Jahren noch anhört und cool findet. Der Rest wird nicht wirklich bleiben. Nur die Musik. Deshalb heben wir nicht ab. Manchmal sitzen wir da und denken: "Ja mei, wir haben einen riesigen Bus und einen Haufen Leute, die uns alles nachtragen und aufbauen. Wir kommen nur dahin und spielen. Aber im Endeffekt haben wir es acht oder neun Jahre alles selbst gemacht. Und vielleicht werden wir das irgendwann wieder selbst machen müssen." Für uns zählt die Musik.

Dann lass uns über Musik sprechen. Jetzt grade seid ihr noch mit "Schick Schock" unterwegs. Aber viele freuen sich auf schon auf neue Musik von euch. Seid ihr 'ne Band, die stetig auch auf Tour an neuem Material arbeitet, oder braucht ihr dafür Ruhe und Zeit? 

Ich denke, das ist für uns grade ganz schwierig, heraus zu finden, welche von den beiden Varianten wir als Band sind. In den letzten drei Jahren gab es einfach sehr viele Ereignisse. Das muss man auch erstmal verarbeiten. Und dadurch, dass das alles auch ziemlich anstrengend war für unsere fragilen Rock 'n' Roll-Seelen, ist es wahrscheinlich schwieriger, auf Tour was zu machen (lacht). Obwohl, als wir mit den Beatsteaks sieben Wochen auf Tour waren, haben wir währenddessen das Artwork und die Mixe für "Schick Schock" gemacht. Das war dann ein 24/7-Wahnsinn. Wir haben ein bisschen gebraucht, um danach einen normalen Bezug zu allem zu kriegen. Aber mittlerweile ist das wieder gut. Wir haben sicher Ideen rumliegen. Und wir nehmen uns auch Studio-Boxen mit in den Nightliner und dann schauen wir mal. Ich finde es gut, Sachen passieren zu lassen, anstatt festzulegen, welche Band wir genau sind. Vielleicht haben wir nach einer Woche zwei fertige Songs oder gar nix, mal schauen. Kann man so noch nicht sagen.

Sag mir, wenn ich mich irre, aber man spürt da schon eine gewisse Drucksituation, dass man nach dem Album jetzt nochmal nachliefern oder gar drauflegen muss, oder?

Naja, ich glaube, das ist ganz normal in einer solchen Situation. Wenn du drei Jahre lang auf Tour warst und tausende Anfragen kriegst und viel passiert ist, dann macht man im besten Fall etwas, was die Leute wieder gut finden. Aber eigentlich, und da muss ich auf das zurück kommen, was ich eben gesagt habe, sind wir vier Leute, die Musik machen. Ich bin dann eher auf der Seite davon, wieder von vorne anzufangen. Wir sind keine Reproduktionsband. Wir haben uns mit jedem der drei Alben irgendwie weiter entwickelt. Es muss also irgendwie wieder etwas in eine Richtung passieren. Und das wird es auch. Demnach kann man und sollte man auch gar nicht so denken, dass die kommenden Sachen wieder so erfolgreich werden müssen wie das letzte Album. Keine Ahnung. Ich finde, das wäre falsch, sowas zu denken. Wir bleiben einfach wir und schauen, was passiert. 

Ist es dann so, dass ihr musikalisch immer wieder auf der Suche seid und der Weg das Ziel ist? Oder hoffst Du noch, dass man irgendwann ankommt und sich selbst als Band findet? So nach dem Motto "Das ist Bilderbuch und das macht uns aus"? 

Ich denke, es muss eine gesunde Mischung sein. Ich will eigentlich nicht ankommen. Das wäre falsch. Zufriedenheit ist das Schlimmste. Sobald wir zufrieden wären, könntest du uns in den Retro-Sack packen, uns zwanzig Jahre in die Zukunft beamen und uns "Maschin" spielen lassen. Das ist nicht interessant. Wenn es uns in zwanzig Jahren noch gibt, will ich gerne "Maschin" spielen und mich trotzdem weiter entwickelt haben. Wir könnten ja jetzt schon sagen, dass "Schick Schock"​ unser Sound ist. Lass uns das die nächsten 30 Jahre so machen. Aber das wäre ja langweilig. Klar gibt es Bands, die einen charakteristischen Sound haben und die liebe ich auch dafür. Ich habe keine negativen Gedanken über diese Bands. Aber ich möchte keine davon sein. Ich denke, dass wir schon wissen, wer wir sind, aber wir wissen noch nicht, was dabei rauskommen wird. Eine Band ist ein guter Platz, um Blödsinnigkeiten auszuprobieren. Du brauchst natürlich einen guten Nährboden, aber darauf hast du die Möglichkeit, Blödsinnigkeiten auszuprobieren. Das muss man nur nutzen. Am Anfang von "Du bist hinter meinem Hintern her" haben wir uns nur gedacht, das könnte geil sein. Dass wir dann auf die Bühne gehen und tausend Mädels singen das dann auch noch - sowas muss halt vorher schon in deinem Kopf passieren, damit es wirklich wird. 

Vielen Dank für das tolle Gespräch und ich freue mich außerordentlich auf euer Konzert in Luxemburg.

Bildgalerie



Karte anzeigen