Wir treffen uns mit Daniel, seinem Keyboarder Elliott und dem Tourmanager Jan, die sich im Hintergrund halten, in einer Bierbar Nahe des Hauptbahnhofes. Gegen 16:00 Uhr stellt er sich, bewaffnet mit Bier, erst unserem Kurzfragen und anschließend sehr locker, gelöst und geduldig allen restlichen Fragen:
hunderttausend.de: Was tust du morgens als erstes? Hast du
ein Morgenritual?
Daniel Graves: Auf Handy schauen.
Digital oder Analog?
Digital.
Stadtbus oder Fahrrad?
Fahrrad.
Du bleibst in einem Aufzug stecken, mit
wem würdest du lieber darin sein – Lady GaGa oder Katy
Perry?
Lady GaGa – wobei Katy Perry heißer
ist, aber Lady GaGa ist definitiv interessanter.
Wofür gibst du zu viel Geld aus?
Alkohol.
Wofür kann man nicht zu viel Geld
ausgeben?
Äh..Alkohol (lacht).
Morgen geht die Welt unter – wie
verbringst du deinen letzten Abend?
Alkohol mit Freunden trinken.
Eine Präferenz beim Alkohol an diesem
Abend?
Einen guten Scotch oder belgisches
Bier.
Es stellt sich heraus, dass nicht die
Welt unterging, sondern eine Zombie-Apokalypse beginnt – welche
Rolle spielst du darin?
Ich bin wohl das Opfer. Ich sterbe
direkt. Ich bin nicht so der „Survival“-Typ, ich komm nur in der
Stadt klar und bin in der Natur ziemlich verloren.
Aber die Zombies werden ja auch in der
Stadt sein...
Ja, schon, aber wenn ich mir ansehe,
wie andere Menschen darauf vorbereitet sind oder auch nur auf die
Wildnis. Ohne Strom, fließendes Wasser und die restlichen
Bequemlichkeiten wäre ich absolut aufgeschmissen.
Da ich nicht für ein Szene-Magazin
schreibe und die Leser dementsprechend deine Musik in den meisten
Fällen nicht kennen – wie würdest du sie solch neuen und
„unbedarften“ Hörern beschreiben?
Lady GaGa meets Marilyn Manson. Es ist
Pop, Dark, soft, heavy – es ist wie Tag und Nacht, zumindest sehe
ich das so und hoffe auch, dass es so angenommen wird.
Du machst ja auch Remixes von Katy
Perry, Lady GaGa und anderen Pop-Größen, während du mit deiner
Musik eher in der Gothic- und Alternativen-Szene verortet bist. Wie
kommst du mit diesen beiden Musikwelten klar?
Es ist ziemlich schwierig. Leute in
Subkulturen werden leicht elitär und haben oft Probleme, Dinge zu
akzeptieren, die nicht zu ihren Präferenzen gehören. Ich persönlich
mag es allerdings nicht, mich in irgendeiner Weise selbst zu
beschneiden und einzuschränken. Kunst sollte immer interessant,
herausfordernd und unterschiedlich sein. Ich bin sowohl mit Pop- als auch
Alternative-Musik aufgewachsen und liebe sie dementsprechend beide.
Es ist beides ein Ausdruck dessen, was ich bin. Das kann halt zu
Schwierigkeiten führen, weil ich offensichtlich zu poppig für die
Gothic-Szene bin, aber gleichzeitig auch zu Gothic für Pop. So
bleibt mir nichts anderes übrig, als meinen eigenen Bereich zu
erschaffen und Fans dafür zu finden, schließlich kann ich nicht als
Einziger so denken.
Deine Songs, die ja viele
Pop-Elemente beinhalten, werden aber auch von der Gothic-Szene
akzeptiert und gemocht – wie erklärst du dir das?
Eben dadurch, dass ich nicht allein
sein kann. Es gibt ziemlich viele Leute, die so aufgewachsen sind wie
ich. Mit Pop-Musik und später in die Alternative Szene reingerutscht
sind und jetzt haben sie immer noch die Erinnerung an die Musik ihrer
Kindheit. Und es ist wirklich schwer, zu behaupten, man möge keine
Pop-Musik. Diese Art von Musik wird nur deshalb gemacht, weil sie eben
gemocht werden soll und kann. Darum lasse ich das auch in meine Werke
mit einfließen, weil ich es mag und weil ich drauf stehe, Menschen
zu foltern (lacht). Ich denke, die Leute mögen es und es gibt sehr
viele, die das nicht zugeben wollen.
Vergangenes Jahr hast du dich dazu
entschieden, eine Pause einzulegen und mit Aesthetic Perfection eine
unbestimmte Zeit lang nicht live aufzutreten. In einem anderen
Interview hast du gesagt, dass Touren für dich viel Einsamkeit,
Langeweile und diverse andere negative Komponenten beinhaltet. Was
hat dich bewogen, jetzt wieder damit anzufangen?
Der beschissene Part am Touren ist zum
Glück ja nicht das auf der Bühne stehen, das sind die anderen
Sachen: Das Reisen, weit weg zu sein von denjenigen, die man liebt,
im Backstage rumsitzen für zehn Stunden, in einer fremden Stadt zu
sein, aber nicht wirklich rausgehen zu können und sich zu
beschäftigen. Man hat sehr viel Zeit, um sich zu langweilen und
allein zu sein. Der Grund, warum ich es trotzdem tue, ist, weil ich
es mag, zu performen. Weil ich eben daran die Freude verlor, habe ich
beschlossen eine Pause einzulegen, denn wenn dieser Part einem keinen
Spaß mehr macht, dann hat man keinen Sinn mehr darin, das alles
überhaupt noch zu tun.
Dementsprechend habe ich zuletzt im
August letzten Jahres einen Auftritt gehabt, das war beim M'era Luna.
Jetzt fange ich wieder an, weil ich es vermisst habe und die Pause
wirklich nötig hatte. Ich habe die Zeit genossen und genutzt und
jetzt bin ich wieder da (grinst).
Gibt es denn keine Möglichkeit, die
Zeit in den fremden Städten sinnvoll zu nutzen?
Ich versuche das schon. Jetzt habe ich
angefangen zu joggen und ich bemühe mich, Kunstmuseen zu besuchen, sofern
es im Bereich des Möglichen liegt, oder Musik zu machen. Das Ziel ist
es, diese Zeitspannen mit produktiven Dingen zu füllen, sodass ich
dann nicht einfach nur rumsitze und mich betrinke oder so.
Warum hast du dich dazu entschieden,
mit kleinen Club-Shows wieder anzufangen?
Auf diese Weise kann ich den Leuten,
die mir das alles ermöglichen, ziemlich nahe kommen. Es ist schon
ziemlich cool auf großen Festivals wie dem Wave Gotik Treffen oder
dem Amphi-Festival zu spielen. Vor vielen tausend Menschen auf einer
Bühne zu stehen ist verrückt und großartig zugleich. Aber bei
diesen großen Shows gibt es diesen großen Graben und Barrieren. Ich
fühle mich dann mehr, als wäre ich das Bild im Fernsehn. Ich habe
keine wirkliche Verbindung, vielmehr mache ich mein Ding und die
anderen halt ihres. Bei so kleinen Konzerten ist es sehr viel
persönlicher, man kann die Energie fühlen und aufsaugen, man kann
Leute berühren, riechen und insgesamt ist das einfach die Art, auf
die ich am liebsten auftrete. Der Auftritt in Hamburg beispielsweise
war ziemlich großartig und genau nach meinem Geschmack.
Beim angesprochenem Auftritt gab es im
Vorfeld die Möglichkeit, sich die Playlist per Voting zusammen zu
wünschen. Warst du überrascht, als du die Ergebnisse gesehen hast?
Tatsächlich bin ich davon ausgegangen,
dass die Fans sich eher Songs wünschen, die nicht so oft gespielt
werden. Für mehrere Jahre spielen wir nun schon eine Handvoll Songs
immer und immer wieder. Ich hatte auf etwas Unerwartetes gehofft.
Stattdessen war die Mehrzahl der Lieder eben diese, die schon so oft
gespielt wurden. Wir hatten auch alle gespielt, abgesehen von „All
Beauty Destroyed“, wobei der Grund, warum das rausflog, nur war,
dass ich „Devotion“ spielen wollte und zwei Piano-Balladen in der
Setlist zu viel gewesen wären.
In deiner Pausen-Phase hattest du ja
trotzdem Auftritte. Wie sind die ausgefallen oder wie kann man sich
die vorstellen?
Das waren nicht viele, aber bei diesen
Auftritten habe ich Live gesungen und mit meiner DJ-Konsole für die
Musik gesorgt, das heißt, ich hatte keine Band
mit dabei oder andere Unterstützung. Ich habe dann für eine halbe
Stunde gespielt, als Erster und bin danach meistens gegangen. Das
war Teil meiner persönlichen Therapie, um wieder Spaß am Auftreten
zu haben. Wenn man das als Lebensunterhalt macht, dann gibt es immer
Leute, die Erwartungen haben, denen man gerecht werden soll. Darüber
macht man sich viele Gedanken und es kann passieren, dass man sich zu
sehr darauf fokussiert das Publikum glücklich zu machen anstatt
sich selbst. Daher waren diese Shows für mich eine Möglichkeit, auf
einer fremden Bühne zu stehen und sich eben nicht darum zu kümmern,
wer vor mir steht, ob die Leute die Musik mögen, überhaupt kennen
oder nicht. Es ging nur darum, etwas für mich zu tun. Oft waren nur
eine Handvoll Fans unter den Leuten, die dann aufgetaucht sind.
Also war die Resonanz von deinen Fans
nicht allzu groß?
Menschen sind allgemein einfach nicht
spontan. Die Leute sind so eingebunden heutzutage, dass kaum jemand
mal eben mehrere hundert Kilometer fährt, um eine bestimmte Band zu
sehen. Diejenigen, die das tun, sind entweder so Superfans oder
gehören zu den wenigen Menschen, die eben spontan sind. Wobei es
natürlich auch wirklich das Ego pusht, wenn dann Leute dabei sind,
die eine längere Strecke zurückgelegt haben, nur um mich spielen zu
sehn.
Im Juli spielst du auf dem Amphi
Festival.
Ja, zum zweiten Mal.
Echt? Ich dachte, du wärest öfter
dort gewesen?
Ach stimmt, es wird das dritte Mal
sein, dass ich dort spiele.
Was magst du an dem Festival, das
andere Formate so nicht haben?
Oh, das ist 'ne schwierige Frage. Die
Outdoor-Stage ist ziemlich cool, wobei wir dort nicht spielen werden.
Generell ist es aber interessant, auf Festivals zu spielen. Dort sind
solche Menschenmassen und der Großteil weiß entweder nicht, wer du
bist oder schert sich einen Dreck um dich und deine Musik. Du musst
also die Leute für dich gewinnen und die vergeben dir kleine Fehler
nicht so schnell wie Fans das tun.
Beim Amphi hat mir bisher immer die
Strandbar richtig gut gefallen und dieses Jahr wurde der
Veranstaltungsort ja wieder zurückverlegt zum Tanzbrunnen aus dieser
Arena, das freut mich wirklich.
Deine Gigs wiederum sind ja jetzt nicht
so lang, gestern hast du etwa 80 Minuten gespielt. Auf
Festivals hat man ohnehin eher kleinere Slots – gibt es einen
Unterschied zwischen deinen Headliner-Shows und Festival-Auftritten?
Ich versuche, es immer gleich zu
gestalten. Dort sollte in keinem Fall die Qualität leiden und
dementsprechend ändere ich nicht viel. Wobei du jetzt meintest, dass
ich immer kurze Gigs spiele, aber du hast gar nicht gefragt, warum
ich das tue. Der Grund dafür ist schlicht, dass ich das lieber mag.
Gerade auch wenn ich als Fan zu Konzerten gehe. Leute werden müde
und Shows entziehen dir eine Menge Energie. Daher denke ich, es ist
viel besser, etwas früher aufzuhören und das Publikum mit dem
Gedanken zu entlassen, dass es total schön war und man jetzt noch
ewig weitertanzen könnte, statt dass man drei Stunden lang spielt
und die Leute anfangen auf die Uhr zu schauen und darüber
nachzudenken, dass sie jetzt noch nach Hause fahren und morgen wieder
früh zur Arbeit müssen. Denn wenn Leute noch mehr wollen, dann
kommen sie auch wieder. Das habe ich quasi aus meiner Kindheit
mitgenommen und übernehme es jetzt als alter Mann – mit fast 33
ist man ja quasi schon tot.
Gibt es denn irgendwelche Bands, die du
dir privat beim Amphi anschaust?
So genau weiß ich das noch gar nicht.
Ich werde mit Solar Fake...nein, die spielen mit mir. Also Solar Fake
spielt mit mir -
Tourmanager: Sollte das nicht ein
Geheimnis bleiben?
Sollte es? Naja, jetzt ist es keins
mehr. (lacht) Hiermit ist das dann offiziell raus. Und wer sonst so
spielt, mal schaun. Ich habe nicht so viel Freizeit, aber die paar
Stunden werde ich nutzen, um zu trinken und mir Bands anzuschauen.
Ich bin halt spontan (grinst). In meinem Alltag bleibt mir dafür oft
nur wenig Zeit, weil ich einen straffen Terminplan habe, darum freue
ich mich immer, wenn ich solche Möglichkeiten wahrnehmen kann, um
spontan zu sein.
Gibt es ein Lieblingsfestival bei dir?
Ja, tatsächlich ist es das Wave Gotik
Treffen. Angefangen dorthin zu gehen, hab ich 2004 und seitdem war ich
jedes Jahr dort bis 2012, als ich zurück nach Amerika gezogen bin.
Dort kann man rumlaufen, neue Leute kennenlernen, sich mit Freunden
treffen. Als ich für dieses Jahr mein Zimmer und meinen Flug gebucht
habe, wusste ich nicht mal, dass ich spielen sollte (lacht). Daher
konnte ich einfach sagen, dass das alles kein Problem ist, weil ich
ja schon da bin.
Um nochmal auf deine Arbeit zu sprechen
zu kommen, du hast das Album „Blood Spills Not Far From The Wound“
bereits 2007 veröffentlicht, damals mit deinem Side-Project
Necessary Response. Ist das jetzt einfach nur ein Re-Release?
In gewisser Weise schon, wobei viele
Leute die Erstveröffentlichung gar nicht mitbekommen haben, wodurch
das für diejenigen einfach neues Material ist.
Warum hast du dich dafür entschieden?
Ich habe ja einfach nur die
Original-Dateien genommen und ein bisschen gepimpt. Die Vocals wurden
neu eingesungen, der Rest ist noch weitestgehend das Gleiche wie
2007. Als Künstler ist man niemals wirklich zufrieden. Wenn man also
die Möglichkeit bekommt, nochmal zurückzugehen, dann möchte man
diese Chance ergreifen.
Ich bekomme allerdings jede Menge
negative Rückmeldung, gerade von Leuten, die die Ursprungsversion
kennen, während der Rest relativ positiv gestimmt ist. Ich selbst
mag es und mit den Kommentaren kann ich inzwischen auch einigermaßen umgehn.
Außerdem werde ich die alte Version auch nicht löschen. Das heißt,
es ist noch immer verfügbar und wird es blieben, sodass man einfach
das hören kann, was man lieber möchte.
Der Grund, weswegen du es damals nicht
als Aesthetic Perfection veröffentlichen konntest, war ja auch das
Label, das die Musik nicht passend fand. Ist das Problem jetzt
gelöst, weil du mehr Erfolge vorzeigen kannst?
Die Labels vertrauen mir inzwischen
mehr. Ich kann tun, was ich will. Wobei das alles auch dazu geführt
hat, dass „A Violent Emotion“ viel poppiger wurde. Ich war damals
verdammt wütend, dass ich nicht das machen konnte, was ich wollte.
„Close to Human“ sollte viel mehr Elemente beinhalten, die man
dann bei Necessary Response finden konnte. Jetzt, acht Jahre später,
kann ich die Songs wieder ins Aesthetic Perfection-Artwork mit
einfügen, was aus künstlerischer Sicht wirklich befriedigend ist.
Und bist du mit den Songs in ihrer
jetzigen Version zufrieden?
Nein. Und ich denke auch, dass du
niemals komplett zufrieden sein solltest. Perfektion ist natürlich nicht
real, ähnlich wie der Goldtopf am Ende des Regenbogens, aber man
muss immer dran glauben, dass man besser werden kann, denn sonst
könnte man auch komplett aufhören. Natürlich muss man es an
irgendeinem Punkt auch mal gut sein lassen, weil man es sonst ins Unendliche pushen kann. Ich bin in jedem Fall glücklicher mit der
jetzigen Version, aber immer noch nicht komplett zufrieden.
Lieben Dank für das Gespräch, wir sehn uns dann wohl auf dem Amphi - zumindest wir dich!