Interviews
10.09.2021 Jana Ernst Veranstalter
Ein Blick auf bühne 1 e.V.

Pleiten, Pech und Vergissmeinnicht

​Der Trierer Kulturverein bühne 1 lädt im Oktober zur neuen Produktion Vergissmeinnicht, einem Mitgeh-Theater für Erwachsene. Im Interview mit hunderttausend.de plaudern Micha, Lara und Lana vorab über das Stück und über das vergangene Pleiten-Jahr.  

 
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Foto: Danny Darlington​​

An einem sonnigen Augusttag traf sich hunderttausend.de-Autorin Jana auf einen Plausch mit Micha Gubenko (1. Vorstandsvorsitzender), Lara Fritz (Dramaturgin) und Lana Jütte (Beirätin) von bühne 1 e.V​. Das Interview wurde bereits vor der Premiere von Vergissmeinnicht am 29. August geführt. Die nächsten Vorstellungen finden vom 1. bis 7. und vom 9. bis 12. Oktober 2021 statt. Tickets gibt es im Vorverkauf bei Ticket Regional.

hunderttausend.de: Euer aktuelles Stück „Vergissmeinnicht“ wird beworben als Mitgeh-Theater für Erwachsene. Erzählt doch mal, wie man sich das vorstellen kann. Gibt es einen Treffpunkt und von dort aus spaziert man durch die Stadt?

Micha Gubenko: Ja, wir treffen uns an einem vereinbarten Ort – das wird der Haupteingang des Stadttheaters am Augustinerhof sein, als prominenter Ort der Kulturszene. Wir führen die Zuschauer:innen von dort aus weiter durch die weniger touristisch erschlossenen Orte der Stadt, beziehungsweise jene, die nicht voll von a​ntiken Römer:innen oder anderer Touri-Action sind. An  jedem Ort wird dann eine kurze Geschichte erzählt, die meist sehr persönlich ist – oder so tut als sei sie sehr persönlich. Diese Geschichten drehen sich rund um das Erwachsenwerden und den Aufbruch in einen neuen Lebensabschnitt. Dabei stellen wir uns immer wieder die Frage, was es eigentlich bedeutet von zu Hause auszuziehen, in eine neue Stadt zu kommen und einen neuen Lebensabschnitt anzufangen. Sich selbst zu suchen und möglicherweise zu finden. Welche Fragen werden da ganz besonders relevant? Wie will ich sein? Wie stelle ich mir meine direkte Umgebung vor? Wie und wer sind meine Freund:innen? Wie stelle ich mir meine Beziehung vor? Habe ich Haustiere? Wie setze ich meine Karriere in Gang? Und so weiter und so fort…

In der Beschreibung des Stücks fragt ihr: „Was willst du später machen: Mit deinem Studium, deinen Noten, deinem Hobby, deinem Freund?“ Da musste ich schmunzeln. Diese Fragen kennen wohl alle Studierenden zu Genüge.

Micha: Ja, genau! Weil Erwachsenwerden und Älterwerden nicht nur bedeutet: „Yeah Freiheit - Ich kann mich frei bewegen und mir selbst ein Bier bestellen.“ Dazu gehört ja auch der Erwartungsdruck von außen, der genauso klingen kann, wie es da steht: Was machst du denn mit deinen Noten? Warum trödelst du so lange? Warum bist du nicht in Regelstudienzeit fertig? Und in Trier kommt auch noch die akute Frage dazu, ob du hier bleiben willst. Für viele Menschen ist Trier eine Umschlagstation oder eine kleine Sprungrampe in die nächste Stadt. Und tatsächlich entscheiden sich viele Menschen nicht dazu, hier zu bleiben. Das finden wir sehr bedauerlich.

Nochmal zusammengefasst: Ihr trefft die Zuschauer:innen am Haupteingang des Theaters und von dort aus geht es spazierend durch die Stadt. An bestimmten Orten wird Halt gemacht und jeweils eine Geschichte zum Thema Erwachsenwerden gespielt. Woher kommen denn diese Geschichten?

Micha: Zu 95 Prozent sind die Geschichten von Lara und mir geschrieben, aber es gibt auch ein paar Textbausteine von anderen Autor:innen. Sie alle behandeln den Lebensabschnitt „Jung sein / Erwachsen werden“ aus verschiedenen Perspektiven. Ein Aspekt ist zum Beispiel die Verantwortung, ein anderer Aspekt kann Einsamkeit sein. Natürlich hängen diese Perspektiven auch mit unseren eigenen Vorstellungen von Familie und Beziehungen zusammen. Wir behandeln aber auch Themen wie Grenzerfahrungen, oder die Freiheiten des Erwachsenseins - im negativen wie auch im positiven Sinne. Wir haben versucht, das Stück möglichst vielfältig zu gestalten. Ich denke Lara und ich ergänzen uns dabei auch ganz gut, weil wir sehr unterschiedliche Stile haben.

Lara Fritz: Ich finde es auch ganz schön, dass nicht alles so glatt und aus einer Feder ist. Manche Sachen versteht der eine, die hat die andere nie so gefühlt. Bei manchen Sachen denkt man sich, wow, das habe ich genauso erlebt. Da haben wir uns also, wie Micha schon sagte, sehr gut ergänzt. Weil wir sehr unterschiedliche, wie auch gleiche Erfahrungen gemacht haben.

Spielt das Thema Corona auch eine Rolle in den Geschichten? Das Virus hat das junge Leben, und gerade das studentische Leben, doch ziemlich auf den Kopf gestellt. Vieles war in den letzten eineinhalb Jahr ganz anders, vor allem auch für Studienanfänger.

Lara: Das Thema Corona haben wir ganz bewusst rausgelassen. Wir hatten es sogar mal angesprochen, haben uns aber dann dafür entschieden, es doch wieder zu streichen. Wir gehen davon aus, dass sich das im nächsten Jahr oder vielleicht sogar schon im nächsten Semester wieder einpendelt, wir „normal“ weiterleben können. Zudem haben diese Themen, die wir behandeln, überhaupt nichts mit Corona zu tun. Vergissmeinnicht soll ja auch nicht nur ein Stück für Menschen sein, die gerade jetzt jung sind: Jede:r war mal jung und obwohl sich die Themen in gewisser Weise ändern, bleiben sie im Kern doch gleich. Ob Trennung und Liebe, Verantwortung oder Selbstwert - das sind Aspekte, die waren schon vor Jahrhunderten relevant.

Du hast es gerade angesprochen: Vergissmeinnicht richtet sich nicht nur an junge Menschen. Was ist denn eure Zielgruppe?

Lara: Naja, also es ist primär schon für Jüngere gedacht…

Micha: Einerseits für junge Erwachsene, aber andererseits auch für die, die es werden wollen, und für die, die es geblieben sind.

Lara: Das hast du schön gesagt! (lacht) Wir zeigen ja auch genau die Spots, die das junge Leben in der Stadt prägen. Die Route ist so ausgesucht, dass man an Orten vorbeikommt, die das junge Leben bereichern - die unser Leben bereichert haben, als Menschen die hier leben und hier studiert haben.

Micha: Was übrigens nicht heißt, dass wir per se alle Orte, die das antike Trier betreffen, negieren. Wir kommen schon an einigen Plätzen vorbei, die touristisch geprägt sind. Wir bespielen sie nur nicht in der Form, wie es eine Stadtführung oder eine Erlebnisführung tun würde.

Lara: Wir beschreiben sie nicht. Es wird wenig erklärt zu der Stadt, obwohl wir sie schlussendlich dadurch erklären, dass wir sie in unserer Route aufgreifen.

Micha: Es geht insgesamt mehr um ein Lebensgefühl, als um die Fakten rund um die Entstehung bestimmter Räume oder Orte.

Und das Format des Stücks, als Mitgeh-Theater – ist das Corona geschuldet, oder hattet ihr die Idee dazu unabhängig von der aktuellen Situation?

Micha: Ganz ursprünglich war es, soweit ich das verstanden habe, tatsächlich Corona geschuldet. Es war so, dass es Bundesmittel für Kommunen gab, damit diese Open Air Programme auflegen, um die Kulturlandschaften wiederzubeleben. Im Rahmen dieses Förderprogramms hat die Stadt Trier dann nach Projekten ausgeschrieben, die als Teil des Sommer Open Airs KulturLust 21 stattfinden sollten.  Wir haben also ein Konzept eingereicht, das in gewisser Weise mit dem in Trier sehr prominenten Format der Erlebnisführung kokettiert, und etwas ganz eigenes daraus gemacht.

Lara: Es musste auch alles sehr schnell gehen. Wir haben die Idee für das Stück innerhalb eines Monats entwickelt und ins Leben gerufen.

Da war wirklich nicht so viel Zeit. Wie schätzt ihr dieses Förderprogramm denn generell ein?

Micha: Das ist eine super Sache! Denn: Normalerweise dürfen wir für eine Produktion 10 bis 20 Finanzierungsanträge durch diverse Förderlandschaften stellen. Das bedeutet, jeder Antrag hat seinen eigenen Finanzplan, seinen eigenen Verwendungsnachweis - es ist Bürokratie galore. Das hier war ein zentral gebündeltes, ausfinanziertes Format, das uns die Freiheit gab, nur einmal das Konzept und die Kostenfinanzierungsplanung einzustellen, und uns anschließend voll um das Künstlerische kümmern zu können. Das entlastet uns, und auch andere Kulturschaffende, ungemein, da dadurch einfach weniger Verwaltungsaufwand besteht.

Das klingt so, als könne es in euren Augen ruhig immer so laufen.

Micha: Genau. Nur vielleicht nicht immer Open Air und mit einem bisschen mehr Proberaum.

Da sprichst du ein gutes Thema an. Ihr habt während der Proben für Vergissmeinnicht euren Proberaum verloren. Könnt ihr etwas mehr darüber erzählen, wie es der bühne 1 in letzter Zeit ergangen ist?

Micha: Es waren sehr schwierige zwei Jahre für uns, auch abseits von Corona. Corona hat erstmal dafür gesorgt, dass wir unsere letzte Produktion, die schon fertig war, just einen Tag nach der Premiere komplett absagen mussten. Das war „Aufzeichnungen​“, im letzten Herbst. Wir versuchen aktuell eine Ersatzlocation zu finden, um diese Produktion im Herbst wiederaufzunehmen. Und die Schauspieler:innen und Gastschauspieler:innen planen auch damit, dass das stattfinden wird.

Lana Jütte: Um nochmal auf den Proberaum zurückzukommen: Der Verlust des Raumes war mehr oder minder absehbar, aber es gab nie ein genaues Datum. Es war also klar, dass irgendwann mit diesem gesamten Gebäudekomplex irgendwas geschehen wird. Aber man hat eben immer gehofft, dass es weitergeht.

Micha: Genau, wir waren in der Güterstraße 39, einem Areal mit insgesamt 23 Bands, einem Clown-Kollektiv und uns. Es war klar, dass irgendwann abgerissen wird, aber der Termin dafür stand nie. Dieses Jahr haben wir dann erfahren, dass das noch im Laufe des Jahres passieren wird. Zudem hatten wir dort, zwischen der Botschaft und dem eigentlichen Umzugstermin im August, auch noch einen Einbruch, bei dem einige Wertsachen abhandenkamen. Das war eine weitere Hiobsbotschaft obendrauf. Als nächstes haben wir dann erfahren, dass wir in diesem Jahr nicht wie geplant in der ehemaligen ExRakete, in den Kellerräumen des Palais Walderdorff, spielen werden können. Dort sind brandschutztechnische Mängel zutage getreten, die es unmöglich machen öffentliche Veranstaltungen in diesen Räumlichkeiten auszurichten. Auch diese Nachricht hat uns erst sehr kurzfristig erreicht. Für uns war es also ein Jahr mit Pleiten, Pech und Pannen.

Lana: Aber man muss auch sagen, dass wir – trotz aller Pleiten, Pech und Pannen – immer großartige Unterstützung erfahren haben. Und sich irgendwo immer neue Möglichkeiten eröffnen. Das liegt auch an deinem Biss, Micha, und daran, dass in der Stadt gut unterstützt wird.

Micha: Das ist absolut die Wahrheit. Gerade nach dem Einbruch haben wir extrem viel Zuspruch und viele Spenden erhalten, sodass wir inzwischen die meisten der verloren gegangenen Gegenstände im Bereich Veranstaltungstechnik neu beschaffen konnten. Und das wäre nicht möglich, ohne den Support, den unser Verein erfahren hat.

Lana: Ich will es auch gar nicht verklären. Kultur zu machen ist immer schwierig. Es kostet viel Aufwand, viele Anträge, das bekommt man nicht geschenkt. Nichtsdestotrotz ergeben sich für uns in der Stadt immer wieder viele Möglichkeiten.

Micha: Dem würde ich zustimmen. Aber durch den zweifachen Verlust der Räumlichkeiten ist es nun noch einmal deutlich schwieriger geworden. Damit wir weiterhin in Trier unsere Arbeit machen können, ist es über kurz oder lang notwendig, dass wir neue Räumlichkeiten finden. Wenn also jemand einen Tipp parat hat, wo es eine brachliegende Immobilie gibt, die mindestens für ein oder zwei Monate verfügbar wäre, dann würden wir sie auf jeden Fall gerne besichtigen wollen und prüfen, ob sie geeignet ist. Und es ist gar nicht so viel nötig, außer einem beheizten Raum mit –

Lara: Steckdosen! (lacht)

Micha: Genau, mit Steckdosen, Strom und Zugang zu sanitären Einrichtungen.

Um ein kurzes Fazit zu ziehen: Seid ihr optimistisch, dass Vergissmeinnicht​ (Anfang Oktober) und Aufzeichnungen (Ende Oktober) trotz Corona stattfinden können?

Lana: Ja, ich schon. Ich bin da optimistisch!

Lara: Ich bin da auch optimistisch.

Micha: Genau. Triple G.


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Die nächsten Termine von Vergissmeinnicht:

  • Freitag bis Donnerstag, 1. bis 7. Oktober 2021, jeweils um 16:15 Uhr
  • Samstag bis Dienstag, 9. bis 12. Oktober 2021, jeweils um 16:15 Uhr

Tickets im Vorverk​auf: 15,00 Euro (9,00 ermäßigt)



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