Reviews
19.05.2014 Christian Jöricke Christian Jöricke
Nine Inch Nails

Ein neuer Trent

​​Einen Tag vor seinem 49. Geburtstag trat Trent Reznor mit seiner Industrial-Rock-Band Nine Inch Nails in der Rockhal auf. Beschenkt wurden jedoch die 4000 Besucher: mit einer optisch und musikalisch herausragenden Show.

 
Image

​Früher wusste man nie, was einen bei einem Nine-Inch-Nails-Konzert erwartet. Vorzeitige Abbrüche gehörten noch zu den kleineren Überraschungen. Nicht selten kam es vor, dass der psychisch nicht felsenfeste Trent Reznor bei Wutausbrüchen seine Gitarre oder sogar das ganze Bühnenequipment zerschlug. Wer um dessen Vita wusste, verstand das Verhalten nicht als Rockstar-Getue, sondern als Ausdruck eines Menschen, der an seiner Umwelt und sich selbst verzweifelt. Das spiegelte sich auch in seinen Songs wieder, die so klingen wie zerbrochen und wieder neu zusammengesetzt. Trent Reznor schuf so Alben, die zu den eigenständigsten und wichtigsten der jüngeren Musikgeschichte gehören. 


Es hat gewiss mit seinem Geburtstag (17. Mai 1965) oder genauer gesagt: mit seinem Alter zu tun, dass die Zuschauer am vergangenen Freitag in der Rockhal einen Musiker sahen, der sich nach jeder Nummer bedankte, das Publikum zum Mitklatschen aufforderte und mit "Hurt" sogar noch eine Zugabe sang, die zudem einen ob der emotionalen Intensität der Wiedergabe im Innersten berührte. An dieser Stelle sei noch einmal erwähnt, dass das Stück von Nine Inch Nails stammt und von Johnny Cash gecovert wurde - nicht umgekehrt. 


Einen Tag nach dem Konzert in Luxemburg wurde Reznor 49 Jahre alt. 39 würde man ihm auch abnehmen, was angesichts seiner jahrelangen Drogen- und sonstigen Exzesse erstaunlich ist. Der Multi-Instrumentalist hat inzwischen zwei Kinder, was ihn, wie er im vergangenen Jahr in einem Interview auf Spiegel Online erzählte, sehr verändert habe. Wenn ihm früher jemand etwas über Kinder erzählt habe, habe er gelangweilt abgewunken. "Nun habe ich selbst so kleine Stinker und liebe sie auf eine Weise, zu der ich vorher niemals fähig war. Plötzlich geht es nicht mehr um mich. Sondern um diese Kinder. Das ist neu." 


Reznor ist spürbar gelassener geworden. Das hat auch Auswirkungen auf seine Musik. Bei seinem achten Studio-Album "Hesitation Marks", das im vergangenen Sommer veröffentlicht wurde, konnte man eine ungewohnte Erfahrung machen: die Stücke gingen sofort ins Ohr. Bis dahin war es so gewesen, dass sich einem ihre Struktur erst nach und nach erschloss. Jedes Nine-Inch-Nails-Album zuvor bedurfte mehrmaliges Hören, um einen Zugang in Reznors komplexe Welt zu finden und die verstörende Schönheit der Songs zu erkennen. "Hesitation Marks" ist anders. Nicht schlecht, aber glatter und poppiger. 


Da man aber von Konzerten oder auch vom Live-Album "And all that could have been" weiß, dass die Stücke live energischer sind, fällt – vielleicht bis auf eine mit einem anachronistischen Beat unterlegte Version von "Sanctified" - keines der Stücke ab. Dass Nine Inch Nails viel zu bieten hat, beweist der Umstand, dass bereits zur Hälfte des Auftritts die beiden achterbahnfahrtgleichen Highspeed-Nummern "March of the Pigs" und "Gave up" sowie der pulsierende Tanzflächenfüller "Closer" gespielt wurde. Wenn man auch noch Titel wie "Wish", "Only", "The hand that feeds" und "Head like a hole" im Repertoire hat, spielt die Reihenfolge keine große Rolle. Das Niveau bleibt konstant hoch. 


Reznor ist aber nicht nur musikalisch an Elektronik interessiert. Der bühnenbreite LED-Vorhang, der die meiste Zeit den Schlagzeuger im hinteren Bereich vom Rest der Band trennte, war vom Feinsten. Bei "Closer" ließ eine rote, wabernde Masse auf der Leinwand den Sänger wie vor einem Flammenmeer erscheinen – als wäre Reznor der Hölle entkommen. Wenn man sich seine Entwicklung in den vergangenen Jahren anschaut, ist er das offensichtlich auch​.

Bildgalerie



Karte anzeigen