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15.04.2018 Christian Jöricke Jimi Berlin
German Darts Open

So heißt die Mutter von Niki Lauda wirklich

​Die Elite des Dartsports kam am vergangenen Wochenende in der Saarbrücker Saarlandhalle bei den German Darts Open zusammen. Die ambitionierten Kirmes-Wurfpfeilspieler Jimi Berlin und Christian Jöricke schlüpften in ihre besten Polyester-Anzüge und machten sich auf eine Reise in frühere Evolutionsstufen.

 
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​Wenn Schach der Sport der Könige ist, dann ist Darts das Gegenteil davon. Allerdings hat es mit Sport, also mit körperlicher Betätigung, genauso viel gemein wie Schach. Selbst die besten Dartspieler sehen aus wie professionelle Pub-Besucher. Aber schließlich hat in Kneipen auch so manche Karriere begonnen.

 
Jimi Berlin und Christian Jöricke starten ihre Reise zu den German Darts Open, einem von insgesamt 13 Turnieren der PDC European Tour, am Trierer Hauptbahnhof, nachdem der erfahrenere Exil-Eurener seinem jüngeren Begleiter erfolgreich die Benutzung eines Pkw ausreden konnte. „Wer soll denn danach heimfahren?“
 
Die beiden Bahncard-25-Besitzer sind nicht die einzigen, die sich von Trier aus auf den Weg machen. Eine Gruppe junger Männer mit mehreren Paletten eines nicht bestimmbaren Dosenfusels und in Anzügen aus schwer entflammbarer Kunstfaser in den Farben eines unter starkem Karnevalismus leidenden Designers ist schnell als Dart-Fans ausgemacht. Im Waggon übernehmen die schon ordentlich betankten Sportfreunde umgehend die Beschallung der übrigen Fahrgäste im ganzen Zug mit endemischem Liedgut einer beliebten Baleareninsel. Jeder Mitreisende dürfte so schnell nicht mehr vergessen, dass laut „Almklausi & Specktakel“ die Mutter von Niki Lauda „Mama Laudaaa“ heißt. Der im Titel versteckten Aufforderung zur Erhöhung der Lautstärke wurde mehrmals entsprochen.
 
Immerhin kann der für die Nahrungsmittelversorgung zuständige Servicemitarbeiter der Bahn Jörickes Getränkebestellung noch verstehen. Weil es nichts hilft, sich mit den Dosen die Ohren zu schützen, werden sie ausgetrunken, was ebenfalls Linderung bringt. Dieser Vorgang wird nach Erreichen des Saarbrücker Hauptbahnhofs wiederholt.
 
Nach einem fünfzehnminütigen Spaziergang kommen Berlin und Jöricke am Veranstaltungsort an und landen am Ende einer Schlange aus etwa 2000 Personen. Dort macht sich der Eindruck breit, unangemessen gekleidet zu sein – obwohl die Trainingsjacke unter Berlins Jacket dem Ensemble eine besondere Note gibt. Neben Affenkostümen, bunten Perücken und Fan-Shirts tragen Männer Stewardessenuniformen oder sind als Gießkanne verkleidet – mit einer im Schritt befestigten Tülle samt Brausemundstück.
 
Während der einstündigen Wartezeit müssen die beiden Gäste aus Trier feststellen, dass sie sich nicht ausreichend mit Getränken bevorratet haben. Und vor der Halle gibt es nur einen Wurststand. Da kommt die Gruppe aus dem Zug vorbei mit einem inzwischen deutlich dezimierten Dosenbestand. Zwei Büchsen werden den ehemaligen Mitfahrern kostenfrei überlassen. Leider handelt sich nicht um reinen Apfelwein, wie der erste Schluck zeigt. Die Grundzutat wurde mit Cola vergewaltigt. „Schmeckt wie flüssiges Eisbonbon“, konstatiert Jöricke. Beide sind sich einig, noch nie etwas so Schlimmes getrunken haben.
 
Plötzlich macht sich mittlere Panik breit. „Was, wenn es drinnen nur Karlsberg gibt?“ Die Zeit beim Anstehen wird unerträglich. Dann die Erleichterung: „Offizieller Bierpartner“ der German Darts Open ist: Krombacher. Beim Trinken tut man also noch etwas für die Umwelt.
 
Kaum haben die beiden Herren an einem Festzelttisch ganz am Rande in der erste Reihe Platz genommen, wird Jöricke von einem Veranstaltungsmitarbeiter angesprochen: „Sie müssen Ihre Krawatte ausziehen.“ Jöricke lacht, weil er dies für einen Scherz hält. „Sie müssen Ihre Krawatte ausziehen, denn Sie sehen aus wie ein Security.“ So etwas hat noch nie jemand zu ihm gesagt.
 
Moderiert wird die Veranstaltung von Ex-Sport1-Kommentator Elmar Paulke, einer Privatfernsehenversion von Matthias Opdenhövel. Als die Walk-on-Girls vorgestellt werden, die die Dartspieler auf die Bühne eskortieren, steht Jöricke erstmals auf zum Applaudieren.
 
Bis auf Steve „The Bronzed Adonis“ Beaton, 1996 BDO-Weltmeister, setzen sich in dieser Runde alle Favoriten durch. Nicht nur zur Enttäuschung der drei Simon-Whitlock-Fans „The three Whitlock's“ (sic!) hat der australische Vokuhilaträger krankheitsbedingt abgesagt. In einer Ersatzpartie tritt der Ansager Russ „The Voice“ Bray gegen einen Besucher aus dem Publikum an. Der Hobbyspieler hätte seine Wurfquote besser für sich behalten. Er lernt auf die harte Tour, dass es etwas anderes ist, ob man mit Freunden in der Gaststätte spielt oder in einer Halle vor mehreren tausend Zuschauern.
 
Bestplatzierter Werfer in dieser Runde ist der Weltranglistensiebte Dave Chisnall, der sich gegen Jose Justicia klar mit 6:0 durchsetzt. Dafür verliert er die nächste Partie gegen Ian White ebenso deutlich.
 
Berlin und Jöricke sind inzwischen erstaunlich textsicher bei Stücken der Hermes House Band und von DJ Ötzi. Stimmung und Selbstbewusstsein steigen. „Den macht mein' Oma“, behauptet Berlin bei einem misslungenen Versuch, drei Mal die Triple 20 zu treffen. Dann stehen beide wieder, denn durch die Halle tönt: „Stand up if you love the darts“.
 
Das letzte Spiel der Runde bestreitet Michael „Bully Boy“ Smith gegen Steve Lennon. Smith wird später das Finale gegen den derzeit besten deutschen Spieler, Max „Maximiser“ Hopp, verlieren – Halbfinalsieger gegen Weltmeister Rob Cross.  
 
Berlin und Jöricke sitzen schon lange vorher wieder im Zug. In einer fast menschenleeren Regionalbahn. Bei herrlicher Stille planen sie ihre Reise zur Darts-WM in London im Winter und überlegen, was sie dazu tragen könnten. Sie haben viel gelernt auf ihrer Auswärtsfahrt. Die Mutter von Niki Lauda heißt übrigens Elisabeth.

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