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23.10.2018 Jana Ernst Veranstalter
Die Physiker

Politik und Wissenschaft im Sanatorium

​​​In diesem Herbst widmete sich das Ensemble des Katz-Theaters dem weltberühmten Stück von Friedrich Dürrenmatt. hunderttausend.de war in der Tufa zu Gast und hat sich die letzte Vorstellung der Inszenierung angesehen.

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​Für das diesjährige Herbststück hieß das Katz-Theater die Gäste nicht im Kleinen Saal der Tuchfabrik willkommen - nein, im Sanatorium „Les Cerisiers“ fand man sich wieder. So wurden alle Zuschauer bereits am Eingang von extravaganten Krankenschwestern spontan mit einer mittelschweren bis verheerenden psychischen Krankheit diagnostiziert und erhielten auch sofort die passende Medikation. Der argwöhnische Gast könnte hier behaupten, es handele sich dabei bloß um schnöde M&M's. Von solchen haltlosen Vorwürfen wollen wir uns aber strikt distanzieren.

An der Oberfläche geht es in Friedrich Dürrenmatts Stück um die Morde an Krankenschwestern, begangen von Patienten, die sich für große Physiker halten (oder es tatsächlich sind). Die drei wahnsinnigen Wissenschaftler des Stücks sind Herbert Georg Beutler aka Sir Isaac Newton, Ernst Heinrich Ernesti alias Albert Einstein und Johann Wilhelm Möbius, dem der König Salomo erscheint. Stephan Moll, Thora Kleinert und Andreas Scherf stellen im Laufe des Abends immer wieder ihre schauspielerischen Qualitäten unter Beweis und lassen den drei zentralen Figuren den Wahnsinn in den Augen blitzen. Vor allem Möbius wirkt zu jedem Zeitpunkt so z​erstreut, als sei der Ausdruck seinem Gesicht inhärent. Doch auch bei den eigentlich „gesunden“ Figuren schimmert deutlich ein mehr oder minder starker Wahnsinn durch die Fassade und man fragt sich, wer hier eigentlich Patient ist und wer es vielleicht besser werden würde.

Natürlich ging es Dürrenmatt – als er das Stück vor 56 Jahren schrieb – nicht nur um einen Kriminalfall, sondern vornehmlich darum, die Frage nach der (politischen) Verantwortung der Wissenschaft zu stellen. Denn: „Was einmal gedacht wurde, kann nie mehr zurückgenommen werden“. Und auch wenn sich viel verändert hat seit 1962, so ist die grundlegende Thematik noch heute brandaktuell. Oder um es in Newtons Worten auszudrücken: "Heute vermag jeder Esel eine Glühbirne zum Leuchten zu bringen - oder eine Atombombe zur Explosion." Die Inszenierung des Katz-Theaters bemüht sich immer wieder erfolgreich darum, dem Zuschauer diese Aktualität vor Augen zu führen. Sowohl mit verbalen als auch mit visuellen Mitteln werden Bezüge zum Zeitgeschehen und der weltpolitischen Situation hergestellt, die Beklommenheit und mehr als eine Gänsehaut auslösen.

Die Inszenierung ist oft laut, schrill und unbequem und schafft es damit, die Zuschauer aus der Komfortzone zu locken und zum Nachdenken anzuregen. Auch die Verwendung des Originaltextes in Verbindung mit den skurrilen und eher modernen Requisiten schafft eine - offensichtlich gewollte – Diskrepanz, die der Botschaft des Stücks den nötigen Nachdruck verleiht. Alles in allem hat das Ensemble des Katz-Theaters ein sehenswertes Stück geschaffen, das schon jetzt Lust auf kommende Arbeiten macht.

Darüber hinaus hat das Katz-Theater e.V. mit dem diesjährigen Herbsts​​​tück das Netzwerk kcnq2 e.V.​ unterstützt und konnte so bei der letzten Vorstellung am 21. Oktober 2018 einen Scheck in Höhe von 1.111,11 Euro überreichen.

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