Interviews
24.06.2016 Julia Nemesheimer Veranstalter
Interview Sasha Waltz

"Ein Spiegel für jeden Einzelnen"

​Die Choreographin, Tänzerin und Opernregisseurin Sasha Waltz zählt mit ihrer Tanzkompanie Sasha Waltz & Guests zu den bedeutendsten Künstler*innen Deutschlands. Am 29. und 30. Juni kommt sie mit dem Stück "Körper" ins Grand Théâtre de la Ville de Luxembourg. hunderttausend.de hat sich im Vorfeld mit ihr unterhalten. 

 
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Frau Waltz, in den vergangenen Jahren haben Sie einige Preise verliehen bekommen. Wie fühlt man sich als eine der bedeutendsten Choreographinnen des Landes? Erhöht so eine Auszeichnung den Druck im Vergleich zu früher?

Sasha Waltz: Ob nach dem ersten Stück oder auch nach dem zehnten Werk - Druck hat man zu jedem Zeitpunkt. Es gibt natürlich Unterschiede je nach Größe des Events. Eine Oper zum Beispiel hat ja einen viel größeren Apparat hinter sich und ist allgemein anstrengender. Allerdings kann ich inzwischen, so denke ich, besser mit dem Druck umgehen.

Was würden Sie gerne überhaupt noch erreichen beziehungsweise was steht noch auf der Agenda?

Auf die Agenda gehört natürlich, dass ich bei meiner eigenen Kreativität bleibe, neue Sachen erforsche, bei dieser inneren Suche bleibe und nicht durch zu viele Anforderungen und Anfragen von außen aufgefressen werde. Schließlich können gerade letztere verführerisch sein, passen aber allzu oft nicht zu dem, was ich gerade als Künstlerin oder auch als Mensch brauche.

In verschiedenen Berichten spricht man davon, dass Sie aktuell dabei sind, die Oper zu revolutionieren, indem Sie Tänzer wieder zurück auf die Bühne bringen, nachdem diese lange Zeit weggelassen wurden. Wie kamen Sie darauf?

Als ich gefragt wurde, eine Oper zu inszenieren, wollte ich aus meiner Perspektive als Choreographin arbeiten und einen Gesamtkörper erschaffen, der alle miteinschließt: Die Tänzer, Solisten, den Chor und teilweise auch die Musiker, sodass alle an dem Ausdruck und dem Inhalt, der Verbildlichung beteiligt sind.

In der Tradition der Oper gab es immer Tanz, aber leider nur als Zwischenstücke, die Geschichte wurde mit den Sängern erzählt. Mein Ansatz war nun, dass der Tanz die Geschichte transportiert, gleichberechtigt zu den Solisten, als Erzählstrang mit dazukommt, parallel zur Musik. Das Gesamtkunstwerk bei der Oper fasziniert mich.  

Woher nehmen Sie die Inspiration für Ihre Werke?

Ich habe versucht, eine Balance zu finden zwischen Stücken, die mir persönlich wichtig sind, und den Arbeiten, die von der Musik ausgehen. Meist sind das Opern. Viel Inspiration bekomme ich vom Libretto. Stücke, die mich interessieren, haben oft einen mythologischen Hintergrund. Auch Bildende Kunst, die sich mit den gleichen Erzählungen beschäftigt, inspiriert mich zu meiner choreographischen Umsetzung.

Ich hatte vor kurzem eine Unterhaltung mit Kendra Horsburgh, in der es auch um die Rolle von weiblichen Choreographen, allerdings speziell im Hip-Hop, ging. Spielt für Sie Gender eine große Rolle beziehungsweise denken Sie, Sie hatten es schwerer, als Frau im Metier Fuß zu fassen?

Ich glaube, Frauen müssen stärker Position beziehen und auch für ihre Rechte eintreten. Die gesamte Theaterlandschaft ist noch sehr Männer-dominiert. Das merkte ich vor allen Dingen während der Zeit als Leiterin der Schaubühne. Es gibt insgesamt nur wenige Frauen, die in der Intendanz sind, sei es jetzt im Theater oder beim Tanz. Dafür gibt es sicherlich viele verschiedene Gründe. Ich selbst habe meine Positionen immer stark zu vertreten versucht, bin damit auch oft angeeckt, weil ich teilweise radikale Entscheidungen getroffen habe. Ich selbst versuche immer, eine Ausgewogenheit zwischen den Geschlechtern zu finden, sowohl in meinem Ensemble als auch im Büro. Beide ergänzen sich und diese Synergien sollten genutzt werden. Es ist ein Thema, mit dem man immer umzugehen hat und bei dem man auch viele Konflikte austragen kann.

Jetzt kommen Sie mit "Körper" nach Luxemburg. Warum wird dort dieses Stück aufgeführt und kein neueres?

Wir haben über die Jahre ein ganz enges Verhältnis mit dem Grand Théâtre und mit Frank Feitler aufgebaut. Frank hat viele Opern und Werke mit produziert. Viele Stücke sind erstmals in Luxemburg aufgeführt worden, teils auch als Weltpremieren. Jetzt habe ich nach zwei Opern kein neues Werk ausgearbeitet, aber im Rahmen der Planungen haben wir festgestellt, dass Körper tatsächlich noch nie in Luxemburg gezeigt wurde. Die Uraufführung liegt 16 Jahre zurück und wir wollen damit auch die Aktualität des Stückes noch einmal unterstreichen. Es kommen auch ganz neue Aspekte, wie das Thema Alter, dazu, da das Ensemble noch fast vollständig gleich geblieben ist.

Gab es im Laufe der Jahre - die Uraufführung war immerhin bereits 2000 - Veränderungen? Oder halten Sie an der Ursprungsversion fest?

Das Stück ist geschrieben und festgelegt. Da gehe ich nicht mehr ran, ich versuche, das so zu bewahren. Es ist wie eine Partitur, die Zeiten sind genau festgelegt und alles ist sehr präzise. Die Interpretation, wie das belebt wird, ist natürlich an jedem Abend anders, ähnlich wie bei einem Geiger, der etliche Male das gleiche Stück aufführt, aber es ist ja nie identisch mit den zuvor gespielten Interpretationen. Kurz nach der Uraufführung habe ich noch ein wenig daran gearbeitet und es verändert, aber das ist alles im ersten Jahr passiert.

Können Sie unseren Lesern Gründe nennen, warum man sich dieses Stück unbedingt ansehen sollte?

Körper ist ein Stück, bei dem es ums Menschsein geht, die Wahrnehmung des Körpers und auch der Sterblichkeit, die Vergangenheit und Themen, die den Körper betreffen, zum Beispiel, wie viel wir in den Körper eingreifen. Es ist eine Art Spiegel für jeden Einzelnen, bei dem man sich selbst betrachten soll, sich reflektiert und hinterfragt.

In diesem Jahr haben wir das Stück auch erstmals übergeben, an das Königlich-Schwedische Ballett. Das war so spannend, da man sehen konnte, wie aktuell das Stück noch ist. Die Tänzer*innen haben jetzt wieder das Alter, das mein Ensemble zu Beginn hatte, es kommt fast einer Wiedergeburt gleich. Ich bin also noch immer sehr zufrieden mit dem Stück. 

Foto: Bernd Uhlig

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