Interviews
03.11.2015 Vincenzo Sarnelli  
Nicholas Müller von "Von Brücken"

"Hey Leute, hier bin ich wieder"

​​​Anderthalb Jahre war er wegen einer Angst-Erkrankung aus der Öffentlichkeit weitestgehend verschwunden. Jetzt ist Nicholas Müller (im Bild, links), Ex-Sänger der Band Jupiter Jones, mit neuem Projekt wieder zurück. Zusammen mit Tobias Schmitz ist er "Von Brücken". Wir sprachen mit ihm über Zäune, das neue Album und seine Erkrankung. ​

 
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hunderttausend.de: Nicholas… Wie oft bist Du heute schon gefragt worden, wie es Dir geht? 

Nicholas Müller: (lacht) Vom Frühstück ausgehend oder im professionellen Rahmen? 

Wie Du gerne antworten möchtest…

Lass mich kurz nachdenken. Ja doch, schon häufiger (lacht). Aber ich freue mich über jedes Mal, ist doch eine nette Frage. 

Und wie ist die Anwort?

Die Antwort ist: Sehr gut, Dankeschön. 

Oftmals beschreiben Menschen, die eine bestimmte Krankheitsgeschichte hinter sich haben oder voll drin stecken, dass es am unangenehmsten ist, dass viele Menschen sie nicht normal behandeln, sondern immer mit Samthandschuhen und übervorsichtig. Begegnet Dir das auch, nachdem Du öffentlich gemacht hast, dass Du unter einer Angststörung leidest?

Ja, natürlich ist mir das schon begegnet. Das ist aber ein ganz natürlicher und netter und empathischer Reflex. Da die ganze Sache auch so eine abstrakte Geschichte ist, ist es relativ schwer, den Leuten klar zu machen, dass man irgendwann keine Samthandschuhe mehr braucht. Man muss den Leuten klar machen, dass man gelernt hat, selbst zu sagen, wann es genug ist. Erst dann hat man wirklich die Angst besiegt, meiner Meinung nach. Das ist zumindest das große Ziel. Das große Therapieziel ist es, zu wissen, wie man seine Ressourcen einzuteilen hat. Von daher hält es sich bei mir in Grenzen, auch weil ich von Anfang an sehr offen darüber gesprochen und kein Blatt vor den Mund genommen habe. Wenn man dann an der ein oder anderen Stelle sagt, dass es wieder in Ordnung ist, auch wenn es eine Zeit lang mal richtig scheiße war, dann ist die Samthandschuh-Geschichte nicht mehr so akut. 

Du sagst, dass Du von Anfang an sehr offen mit deiner Krankheit umgegangen bist. Ihr seid gerade auf Promo-Tour und Du wurdest und wirst immer sehr viel darauf angesprochen. Wie schwer fällt es Dir denn da, Dein Innerstes so öffentlich nach außen zu kehren? Zum Beispiel, wenn Du in Zusammenhang mit deiner Angststörung auch auf Deine Familie angesprochen wirst oder so.

Es gibt natürlich Grenzen. Gespräche zwischen meiner Frau oder meinem Vater und mir und solche Dinge, die lege ich nicht offen. Bei allem Anderen glaube ich, dass es keine Frage der Hemmung ist. Sondern es ist das dringende Bedürfnis, klarzustellen, dass man sich für die Krankheit nicht schämen muss. Das fängt bei vielen Menschen ja schon bei einer psychischen Erkrankung an. Ich sage das Wort übrigens derzeit so oft, dass ich es fast nicht mehr rauskriege. Also da fängt es schon an. Und wenn es dann auch noch um Angst geht, dann ist es noch abstrakter. Angst hat so eine Konnotation, ein Zeichen von Schwäche zu sein. Und das ist es eigentlich gar nicht. Es ist nur ein Zeichen von Sensibilität. Und das möchte ich sehr gerne klarstellen, weil ich eine Menge Leute kennen gelernt habe, die darunter leiden, dass es viele Menschen nicht wirklich verstehen. Wenn ich also eine Kleinigkeit beitragen kann, wenn ich offen darüber spreche, dann ist mir das die Sache wert. Die Grenzen stecke ich aber auch selber. Die hat bisher, das muss ich wirklich sagen, niemand überschritten. Es ist noch nicht so yellow-press-boulevardesk ausgeschlachtet worden. Dann bekommt es nämlich ein Geschmäckle, wo es reißerisch und sensationsgierig wird. Und da hab ich überhaupt keinen Bock drauf. 

Beschreib uns doch mal Deine Gemütszustände bei den zwei entscheidenden Facebook-Posts: Der Bekanntgabe Deines krankheitsbedingten Abschieds bei Jupiter Jones im Jahr 2014 und am 21.07. dann die Ankündigung, dass es mit “von Brücken“ weiter geht. So der Moment, als du auf Enter gedrückt hast. 

Beim Ausstieg bei Jupiter Jones war ich einerseits natürlich total ratlos, weil ich überhaupt nicht wusste, wie die Zukunft aussieht und das ist für mich grundsätzlich eine schwierige Sache. Andererseits war ich sehr, sehr traurig. Traurig ist da das richtige Wort, wir waren ja zwölf, fast 13 Jahre gemeinsam unterwegs. Das mit Jupiter Jones war quasi die längste Beziehung meines Lebens. Die musste ich drangeben. Als ich mich dann öffentlich von den Jupiters verabschiedet habe, war da eine große Traurigkeit und ein riesiges Fragezeichen. Das Einzige, was gewiss war, war, dass ich gesund werden wollte. Wie das jetzt genau ablaufen sollte, wusste ich auch nicht. 
Als es dann darum ging, mich wieder zurück zu melden, hab ich das dann erstmal als "Privatperson" gemacht, mit meiner eigenen Facebook-Seite. So nach dem Motto: "Hey Leute, hier bin ich wieder. Ich wollte bescheid sagen, dass es wieder geht." Final dann der Post mit "Von Brücken" war dann natürlich unfassbar spannend. Natürlich stand auch die Frage im Raum, wie die Leute das jetzt auffassen: "Erst geht er und ist anderthalb Jahre weg, dann kommt er wieder…" Es konnte also in beide Richtungen schlagen. Wie es dann am Ende gelaufen ist, da kann ich einfach nur dankbar sein. Das hat mich sehr glücklich gemacht, weil 99,8% gesagt haben: "Juchuh, da isser wieder". Ich finde, das ist ein Privileg, da kann man einfach nur glücklich sein, dass Menschen sowas sagen. 

Wir hier in Trier sind auch froh, dass Du wieder da bist und noch jemanden mitgebracht hast. Du und Tobias Schmitz, der hier in der Region natürlich auch sehr bekannt ist, Ihr seid also „Von Brücken“. In einer Zeit, in der man das Gefühl hat, dass viele eher Zäune bauen wollen… 

Beziehungsweise Zäune bauen. Es bleibt nicht nur bei der widerlichen Absicht, sondern es wird ja durchgezogen. 

Ihr habt darüber auch einen Song geschrieben, "Blendgranaten", der auch auf dem Album "Weit Weg Von Fertig" zu finden ist. Was ging in Dir vor, als du den Song geschrieben hast und was geht in Dir vor, wenn Du derzeit Nachrichten schaust? 

Als wir den Song geschrieben haben, da waren diese Ausmaße dieser Flüchtlingssituation medial noch nicht so stark vertreten. Damals war erst mal die Hochphase unserer "geschätzten", besorgten Bürger, dieser Abendspaziergänger. Beziehungsweise auf Deutsch gesagt, und ich kann es einfach nicht anders sagen, dieser Haufen opportunistischer Schwachköpfe, die der Meinung sind, dass sie auf die Straße gehen müssen und sich hanebüchene Gründe dafür ausdenken müssen, dafür, schlicht und ergreifend, stumpfe Nazis zu sein. Anders kann ich es leider nicht sehen. Sie wollen sich in der Mitte positionieren und haben damit die Mitte so weit nach rechts geschoben, dass die Verhältnisse einfach nicht mehr stimmen. Das war der Status Quo, als wir den Song geschrieben haben. Wir haben ihn auch geschrieben in der Hoffnung, dass er bis zum Release-Datum der Platte, das damals noch gar nicht fest stand, vielleicht an Aktualität verliert.

Das hat er leider wohl nicht…

Überhaupt nicht. Er ist eher aktueller denn je. Ich höre mir gerne jede Meinung an, außer die von Nazis. Bei den besorgten Bürgern komme ich aber bei allem guten Willen nicht umhin, die alle über einen Kamm zu scheren. Es geht hier um den Komfort von Einzelnen, der darunter leiden könnte, auf der anderen Seite geht es darum, tausende, zehntausende, hunderttausende Menschenleben zu retten. Und da muss doch die Menschlichkeit im Vordergrund stehen.​​​

Ein wichtiges Thema. Aber lass uns von diesen schwierigen Themen doch zu etwas Schönerem kommen. Am Freitag hat deine Band "von Brücken" das Album "Weit Weg Von Fertig" raus gebracht. Hand aufs Herz: Wie nervös warst Du im Vorfeld? Immerhin hast Du doch das ein oder andere Mal schon vor einem Release gestanden. 

Doch, schon etwas nervös. Aber es hält sich auch in Grenzen, weil wir alle an die Platte glauben. Vor allem in der Hinsicht, dass es einfach ein schönes Album geworden ist. Wenn man mit so einer Einstellung an die Platte ran geht, ist alles, was von außen kommt, erstmal eine Meinung. Und Meinungen sind da, um gehabt zu werden (lacht). Wenn also irgendwer die Platte nicht gut findet, ist das vollkommen in Ordnung und das soll auch so sein. Wir haben die ja auch nicht für jeden geschrieben. Aber auch nicht nur für einen elitären Kreis. Es ist einfach eine spezielle Platte. 
Ach, und alles was dann so drumherum statt findet, habe ich eigentlich hinter mir gelassen. Jeder darf und soll seine Meinung haben. Und was Chart-Platzierungen anbelangt, ganz ehrlich, auch wenn sie natürlich wichtig sind, weil wir alle Berufsmusiker sind, rücken die in den Hintergrund. Wir sind total seelig mit der Platte. Wir wollten sie jetzt einfach mal in die Menschheit entlassen. Wir haben immerhin im Januar angefangen, sie aufzunehmen. Es wurde einfach jetzt Zeit, vor allem, damit wir jetzt auch live spielen können. 

Euer Album heißt "Weit weg von fertig". Fertig im Sinne von "Ich bin weit weg von Fix und Fertig" oder im Sinne von: "Ich bin weit weg von fertig mit erzählen"? 

Beides. Und dann kommt noch der Faktor hinzu, dass wir auch musikalisch weit weg von fertig sind. Wir bringen zwar jetzt nicht als nächstes eine Free-Jazz-Platte raus, aber wir schreiben derzeit schon wieder am nächsten Album, obwohl die erste grade erst veröffentlicht wurde. Der Titel lässt sich also auf alles Gute um uns herum übertragen. 

Es ist ein sehr persönliches Album geworden. Du singst über deine Ängste, aber auch zum Beispiel über oder für Deine Tochter. War es​ die logische Konsequenz daraus, dass Du mit Deiner Situation und Krankheit offen umgehst, dass das Album vielleicht auch das Persönlichste wird?  

Ich glaube, ich habe schon immer sehr persönlich geschrieben. Es haben sich natürlich auch immer schon gesellschaftskritische oder politische Themen eingeschlichen, aber ich bin jetzt kein Polit-Texter in dem Sinne. Mein Gewerk ist einfach das Leben, was da so passiert. Ich glaube aber, dass die Tatsache, dass ich Tacheles gesprochen habe, was die Angsterkrankung angeht, vielleicht die ganze Sache noch mal etwas nahbarer gemacht hat. Für mich hat sich dadurch auch die Möglichkeit ergeben, diesen kryptischen Schlüssel aus der Sache rauszunehmen und vielleicht noch etwas offensiver zu schreiben. Aber immer so am Seelenstriptease vorbei, weil das ist auch wieder nicht geil. Ich habe einfach die Möglichkeit, Dinge zu erzählen. Und warum sollte ich sie dann verklausulieren, wenn ich sie auch direkt wiedergeben kann. Es ist kein Song auf der Platte, der nicht auch biographische Inhalte hätte. Manchmal werden sie jedoch auf andere Charaktere projiziert oder überspitzt, um die Geschichte interessanter zu machen. Und das war eigentlich immer so. Ehrlich gesagt habe ich mir gar keine Gedanken gemacht, ob ich meinen Schreibstil verändert habe. Vielleicht ist es tatsächlich die Tatsache, dass ich sehr viel abseits der Musik von mir erzählt habe. 

Ihr habt bei Facebook immer wieder Strophen aus euren Songs gepostet. Du bist der Texter dieser Zeilen. Hast Du eine ganz besondere Lieblingszeile?

Ich glaube: "Wenn Gras über mich gewachsen ist, dann werde ich ein Garten". Da war ich ganz froh, als ich die geschrieben habe (lacht). 

Trier freut sich über das neue Album von "von Brücken" und auf das Konzert am 23. Februar 2016 in der Garage​, auch wenn es in Saarbrücken stattfindet. 

Ja, ja, ja. Wir wissen um das Spannungsfeld (lacht). Trier wird aber auch unter allen Umständen noch berücksichtigt. Wir wissen aber noch nicht, wann. Wir verraten es, sobald wir es wissen. 

Na, dann freuen wir uns da auch drauf. Vielen Dank für das Gespräch, Nicholas Müller. 

​Foto: Anne De Wolff​

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